© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    51/02 13. Dezember 2002


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Neue Doktrin
Karl Heinzen

Mit seiner Bemerkung, daß Deutschland fortan am Hindukusch verteidigt wird, hat Peter Struck der deutschen Ostpolitik ambitioniertere Ziele vorgegeben, als die Nationalsozialisten jemals zu formulieren wagten: Sie waren noch bereit, sich auf die Linie Archangelsk - Astrachan zu beschränken.

Der Unterschied der strategischen Visionen spiegelt einen ebensolchen des historischen Bewußtseins wider. 1941 war die Erinnerung daran, daß große Kriege auch verlorengehen können, noch frisch. Da man keine ernst zu nehmenden Bündnispartner hatte, war es im Prinzip leicht auszurechnen, wie lange die eigenen Kräfte wohl noch reichen würden. Diejenigen, die diese undankbare Kalku­lation anstellten, gehörten später zu den Gründervätern der Bundeswehr. Ihre Erfahrungen und Einsichten ließen sie von einstigen Gegnern der Alliierten zu verläßlichen Partnern in der Nato werden.

Heute steht die Bundesregierung im Banne ihrer eigenen Erfolge. Es ist gelungen, die unter anderem ja im Potsdamer Abkommen wurzelnde Bundesrepublik in einen Staat zu transformieren, der die Stabilität der internationalen Wirtschaftsbeziehungen und damit unseren Wohlstand auch mit militärischen Mitteln sichert, ohne daß man die übrig gebliebenen Pazifisten, geschweige denn das Volk gegen sich mobilisiert hätte. Dabei konnte man das Großraum- und Blockdenken des 20.Jahrhunderts hinter sich lassen und ist mit geringfügigen Modifikationen zu jenem Globalisierungsbegriff zurückgekehrt, der sich schon in der Kolonialzeit für Europäer und Amerikaner bewährt hat. Mit nicht einmal 10.000 Soldaten im Einsatz war es der Bundesrepublik vergönnt, sich gemeinsam mit Partnern und Verbündeten jenen Platz an der Sonne zu erkämpfen, von dem das Wilhelminische wie auch das Hitlerdeutschland nur träumen konnten. Mit einem kleiner und kleiner werdenden Etat für die Bundeswehr wurde ein Mehr an militärischen Erfolgen erzielt. Dies sollte das Vertrauen in die Bundesregierung stärken, daß ihre Reform unseres Gemeinwesens hin zu mehr Effizienz auch auf anderen Politikfeldern gelingen wird.

Peter Struck könnte man allenfalls vorwerfen, daß er den Wechsel der Militärdoktrin überhastet betreibt. Es ist jedoch nur sein Naturell, es ist seine Spontaneität, die den Eindruck vermittelt, die Kursänderung wäre das Resultat eines ohne Anteilnahme der Öffentlichkeit, sozusagen hinter verschlossenen Türen gefällten Beschlusses. So etwas machten nämlich früher vielleicht Politbüros, ist aber in etablierten Demokratien schlichtweg unmöglich. Die Vorstellung, daß Angriff für einen deutschen Staat wieder einmal die beste Verteidigung sein könnte, ist vielmehr peu à peu in den Köpfen von Sicherheitsexperten und politisch Verantwortlichen gereift - und sie haben die Menschen keineswegs im Unklaren darüber gelassen. Wer hinnimmt, daß die eigene Sicherheit globale Stabilität erfordert, muß auch den permanenten Präventivkrieg akzeptieren.


 
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