© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    50/02 06. Dezember 2002


Das Märchen vom Goldesel
von Roland Baader

Der breite Wohlstand einer Nation steht in engem Zusammenhang mit dem Grad der persönlichen Freiheit der Bürger. Wird die Freiheit der Bürger beschränkt, wird damit auch eine Wohlstandsminderung eingeleitet - und umgekehrt. Starke Knebelung der Märkte (und damit der Bürgerfreiheit) hat massive Verarmung zur Folge. In Deutschland drohen mit einer weiteren Knebelung der Märkte und weiterer Aufschuldung des Staates nicht nur drastische Wohlstandsverluste, sondern der Staatsbankrott (das heißt der millionenfache Bürgerbankrott) und der Zusammenbruch des Wirtschafts-, Finanz- und Währungssystems.

Dieser schwere Leidensweg zeichnet sich als unausweichlich ab, was folgende ausgewählte Thesen belegen mögen:

(1) Die Freiheit (und damit auch der Wohlstand) gehen mehr an ihren falschen Freunden zugrunde als an ihren erklärten Feinden. Die Freiheit hat viele Feinde, ja sie hat - genau besehen - fast ausschließlich Feinde. Ihre schlimmsten Feinde sind: Totalitaristen, Sozialisten, Utopisten, Fundamentalisten, Etatisten (Staatsgläubige) und Machtmenschen aller Art. Aber ihre gefährlichsten Feinde sind andere, nämlich: ihre lauen Freunde, ihre eitlen Freunde, ihre feigen Freunde, ihre kenntnisarmen Freunde (Unkenntnis der ökonomischen Gesetze - vor allem bei den Intellektuellen), ihre blauäugig-gutmütigen Freunde, und ihre kompromiß- und harmoniesüchtigen Freunde. Ob gegenüber Feind oder Freund: Die Freiheit bleibt ein einsames Phänomen. Wer sich ernsthaft mit ihr anfreundet, muß sich deshalb zugleich mit der Einsamkeit anfreunden.

(2) Glaubt man den Medien, so ersticken wir in Deutschland, Europa und der Welt unter einer Flut des Kapitalismus und Neoliberalismus. In Wirklichkeit ist davon - außer in ein paar Nischen - nichts zu sehen.

(3) Auch Unternehmer, Selbständige und Bildungsbürger sind nicht oder viel zu wenig mit den Wesenskernen von Freiheit, Kapitalismus und Liberalismus vertraut, um sie wirksam verteidigen zu können. Alle, die sich Konservative nennen, fallen bei dieser Verteidigung ebenfalls aus (weil sie Rettung stets vom Staat erwarten - und damit vom größten aller Freiheitszerstörer).

(4) Was von Nicht-Ökonomen über Markt und Liberalismus gedacht, gesagt und geschrieben wird, sind überwiegend Märchen und schwere Irrtümer. Leider sind jedoch auch die meisten Ökonomen - auch die meisten der sogenannten "liberalen Ökonomen" von der keynesianischen Paranoia befallen und somit keine effizienten Verteidiger der Freiheit.

In der Klassischen Nationalökonomie wurde noch deutlich, wie wenig wir vom sozio-ökonomischen Geschehen wirklich verstehen können (und - soweit überhaupt - dann ganz überwiegend im Rückblick, kaum in der Vorausschau). Außerdem haben die Klassiker erklärt, wie anmaßend, schädlich, gefährlich und "kontraproduktiv" deshalb ein Eingreifen in die Märkte ist (also jede Art von Intervention, Regulierung, Steuerung etc.). Die heutige Neoklassische Ökonomie hingegen setzt auf die Suche und die Analyse von "Automatismen" und "Formeln" - und damit auf die Systeme der "Politik" (wenn auch nicht so direkt wie der Keynesianismus, so doch indirekt und implizit).

Am schlimmsten aber ist, daß die ökonomische Neoklassik das fiat-money-System (staatliches ungedecktes Papiergeld) nicht in Frage stellt bzw. bekämpft. Sie beschäftigt sich mit Geldtheorie, Zinstheorie, Wachstumstheorie, Beschäftigungstheorie, Finanztheorie, Fiskaltheorie etc. (die irgendwie alle implizit - und oft genug auch explizit - zu politischen Handlungsanleitungen werden, also zu Empfehlungen und Rechtfertigungen der Politkaste, die sozio-ökonomischen Prozesse angeblich "verbessern" zu können - durch Fördern, Kontrollieren, Subventionieren, Regulieren, Lenken und Steuern.

Auch dieser Sündenfall der Ökonomie hat dazu beigetragen, daß der heutige (und schon lange bestehende und sich rapide verschlimmernde) Zustand von Wirtschaft, Gesellschaft und Politik Liberalismus oder Neoliberalismus und Kapitalismus genannt wird - und zwar entgegen allen Fakten und gegen alle Logik der Klassischen Ökonomie.

Noch desaströsere Folgen als die sogenannte Neoklassik hatte und hat jedoch der Keynesianismus. Er ist die Aids-Erkrankung des Kapitalismus. Seit Keynes (genauer: seit dem Zweiten Weltkrieg) haben die westlichen Industriestaaten keinen Kapitalismus mehr, sondern ein Wirtschaftssystem, das aus einem halbkapitalistischen Körper (oder einem "staatsversumpften" Kapitalismus) mit sozialistischem Blutkreislauf (= ungedecktem Papiergeld) besteht. Diese schwere Erkrankung verläuft als eine Art "euphorisches Siechtum" - und die diesem System entsprechende Nationalökonomie ist keine Wissenschaft mehr, sondern eine Art Voodoo-Quacksalbertum.

(5) Was Nationen reich (und damit auch potentiell frei) macht, sind Investitionen, nicht der Konsum. Daß hierüber gestritten wird, zeigt den Grad des Verfalls des ökonomischen Denkens (seit Keynes) an, sowie das Ausmaß der bewußten Irreführung durch Gewerkschaften und Parteipolitiker. Mehr Geld (mehr fiat money) kann keinen Reichtum schaffen, sehr wohl aber Reichtum zerstören. Denn zuviel Geld kann submarginale Unternehmungen scheinbar rentabel aussehen lassen und Unternehmer und Gläubiger (und Aktionäre) zu höheren Krediten verleiten, die irgendwann verlorengehen. Es kann den Wettbewerb um Ressourcen anheizen, die niemals dauerhaft rentabel sein können. Und es kann Investoren und Konsumenten zu Ausgaben verleiten, die sich als irrtümlich und falsch erweisen werden.

In Schönwetter-Zeiten werden Staatsausgaben und ein bestimmtes Verhalten der Zentralbanken aus den verschiedensten Gründen gefordert: Aus "sozialen" Gründen oder zur "Armutsbekämpfung", zur Wohlfahrtssteigerung oder aus sogenannten "Gerechtigkeitsgründen". Wenn es - genau deshalb - zu Rezession und Arbeitslosigkeit kommt, sind sich alle diese Fraktionen einig im Ruf nach einer "antizyklischen" Zins-, Fiskal- und Staatsausgaben-Politik. Haushaltsdefizite und steigende Staatsverschuldung werden bedenkenlos hingenommen oder sogar gefordert. Die "Nachfrage" muß um jeden Preis gesteigert oder gestützt werden - und die Investitionstätigkeit und Beschäftigungswilligkeit der Unternehmen soll gefördert werden. Keynes und seine Lehren gelten als wissenschaftliche Grundlage für diese Politik.

Nicht mehr auszurotten ist auch die herrschende Meinung, Staatsausgaben würden die Wirtschaft stimulieren. Man sieht nicht, daß jeder Pfennig, der von der Regierung oder Verwaltung ausgegeben wird, aus den Taschen der Steuer- und Abgabenzahler sowie der Inflationsopfer stammt (und/oder aus den Taschen künftiger Steuer- und Abgabenzahler oder Inflationsopfer), sowie daß diese Ausgaben verschwenderisch, ineffizient und diskriminatorisch sind, weil sie die Gesetze und Wertschätzungen des Marktes und der Konsumenten ignorieren und verfälschen - und weil sie immer von effizienteren (Markt-) Verwendungen abgezogen werden (oder solche Verwendungen verhindern).

Der ganze Zirkus teilt die Bevölkerung in feindliche Klassen: In Zahler und abhängige Nutznießer. Am schlimmsten aber ist, daß diese Politik den Rechtsstaat zerstört und die persönliche Freiheit. Sie macht alle Bürger zu Staatssklaven und Staatsmündeln. Das gesamte Leben der Menschen gerät in die machtgierigen Hände der politischen Kaste.

Besonders traurig ist der Umstand, daß die Ökonomen, die Wissenschaftler der Politischen Ökonomie, sich fast allesamt - unterschieden nur nach graduellem Maß ihrer Zustimmung - auf dieses Niveau begeben haben. Diejenigen Ökonomen und Gesellschaftswissenschaftler, die - wie die Klassiker oder die Denker der Österreichischen Schule der Nationalökonomie - den Standpunkt vertreten, Staat und Politik hätten im privaten und wirtschaftlichen Leben der Menschen nichts zu suchen (außer mit einem den Rechtsstaat und den Wettbewerb sichernden Ordnungsrahmen), sind eine verschwindend kleine Minderheit und gelten als Sektierer und Steinzeit-Theoretiker.

(6) Ökonomen sind in der Politik, die sich bekanntlich zu fast 100 Prozent mit Ökonomie beschäftigt, unerwünscht. Die alljährlich Bestellung von Gutachten der Sachverständigen-Räte sind reine Alibi-Übung. Die Gutachten landen ungelesen in den Aktenschränken. Ehrliche Ökonomen gehen auch nicht in die Politik, denn dort stehen sie unausweichlich vor der Frage, was sie aufgeben wollen: Entweder die politische Karriere oder die wissenschaftliche Wahrheit.

(7) Die tiefsten Ursachen aller großen Krisen und Depressionen der Neuzeit (seit etwa 1914) sind nicht die Zyklen des Kapitalismus, sondern das fiat money-System und seine Notenbank-Geldmaschinen.

Mit fiat money können die Regierungen 1. das gesamte Leben der Menschen politisieren, 2. die Bevölkerung zu ihrem Eigentum machen, 3. die Bürger still enteignen (ohne offizielle Überführung der Privatvermögen in Staatseigentum), 4. den Geldwert beliebig manipulieren - und die Bürger somit ihrer Lebensersparnisse berauben, 5. Macht durch (Wähler-) Bestechung erkaufen, 6. gewaltige Kapitalfehllenkungen (Reichtumsverluste) verursachen, und 7. riesige Spekulations-Blasen erzeugen, ohne die nachfolgenden crashs und Massenverarmungen verhindern zu können.

Das Beispiel der Zwanziger Jahre - und neuerdings das Beispiel Japan - haben gezeigt, daß eifriges Gelddrucken die Ursache (und nicht etwa das Heilmittel) für die Krise und die anschließende Deflation war oder ist. Und auch die Niedrigzinspolitik und die Ankurbelungsversuche der Notenbanken konnten nicht mehr helfen. Im Gegenteil: Die Liquiditätsschwemme gegen deflationäre Tendenzen führt zu gigantischen Spekulationsblasen und früher oder später zu Inflation. Und permanente Inflationierung führt irgendwann zur Hyperinflation.

Gibt es eine Möglichkeit, das "unabwendbare" Desaster zu vermeiden? Ja! Es gibt sie! Überlegen wir: Mit der kapitalistischen (und deshalb für den Kapitalismus existenznotwendigen!) Währungsordnung - nämlich dem Goldstandard - hätten die großen Kriege und verheerenden Gesellschaftsexperimente des 20. Jahrhunderts niemals durchgeführt werden können. Ebensowenig jener "zivile" fiskalische und bürokratische Wohlfahrts-Krieg der Regierungen gegen die eigene Bevölkerung, der seit fünfzig Jahren tobt und im Bankrott des eigentlich so reichen Westens enden wird. Nur mit dem Mastfutter der Marke "fiat money" (=staatliches Papiergeld) kann sich Leviathan zu einem Monster großfressen, das unser Leben bedroht und die Früchte unserer Arbeit niedertrampelt.

Außerdem: Das fiat money-System hat das Wort "Ersparnis" durch das Wort "Kredit" ersetzt. Die Tausende von Milliarden-Injektionen an Liquidität können ja nur auf dem Weg von Höherverschuldungen in die Volkswirtschaft eingebracht werden - sei es auf dem Weg von Mehrverschuldung des Staates, der Unternehmen oder der Privaten - oder von allen dreien.

Was bedeutet das? Man kann beim Bau eines Hauses Ziegelsteine durch Lehm ersetzen. Auf diese Weise läßt sich das Haus sogar schneller errichten. Aber der nächste starke Regen wird es wegschwemmen.

Der entscheidende Hebel zur Freiheit ist das kapitalistische Geld - und das heißt: die Goldwährung. Alle anderen Freiheitsforderungen - wie das private Bildungswesen, ein privates Rentensystem, private Krankenversicherungen etc. - erfüllen sich dann von selbst, weil ihre jetzigen staatlichen Formen Bestandteile des Weichspülersozialismus namens Sozialstaat sind, die nur mit fiat money (eine Weile) finanziert werden können.

Der Sozialstaat ist eine Utopie und seine politische (das heißt gewaltsame) Durchsetzung entspricht einem Krieg gegen die eigene Bevölkerung. Dieser Krieg kann mit privatem Geld genausowenig geführt bzw. finanziert werden wie militärische Großkriege mit Gold geführt oder finanziert werden könnten. Deswegen wurde ja der Goldstandard mit Beginn des Ersten Weltkriegs abgeschafft.

Kämpfen wir dafür, eine private Goldwährung wenigstens auf einem Umweg wieder einzuführen, nämlich als rein privates gold- und evtl. auch silbergedecktes Parallel-Geld zum Euro. Gelingt das nicht, stehen wir vor der traurigen Alternative: Entweder eine sozialistisch-zentralistische EU nach dem Muster der vormaligen Sowjetunion - oder schwere Depression mit anschließender Hyperinflation, gefolgt von "Lastenausgleich" (Teilenteignung) und Währungsreform (Vollenteignung), möglicherweise mündend in Bürgerkrieg und Revolution.

Im Labyrinth der Unfreiheit, der Unmündigkeit und des knechtschaftlichen Staatskleptokratismus haben wir keine andere Chance des Entrinnens mehr als uns mit diesem Hebel, mit dem goldgedeckten Parallelgeld als dem wirksamsten aller Brecheisen gegen Leviathan, wieder Luft, Freiheit und Menschenwürde zu verschaffen. Es war bemerkenswerterweise Alan Greenspan, amerikanischer Notenbankchef und größter Geldzauberer aller Zeiten, der einmal geschrieben hat: "Die Überreste des Goldstandards (im Bretton Woods-System) waren das einzige, was noch zwischen dem amerikanischen Volk und Leviathan stand."

 

Roland Baader ist Diplom-Volkswirt und Unternehmensberater. Zuletzt erschien im Resch Verlag, Gräfelfing, sein Buch "Totgedacht. Warum Intellektuelle unsere Welt zerstören".


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