© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    50/02 06. Dezember 2002

 
Härtere Tonart
Material gegen die SED-Diktatur
Ekkehard Schultz

Es gibt Buchtitel, die eigentlich schon beim ersten Überfliegen manche potentiellen Interessenten von der weiteren Lektüre abhalten. Zu ihnen muß wohl auch Gustav Rusts jüngste Dokumentation gerechnet werden.

Vielen Berlinern dürfte Rust kein Fremder sein. Immer wieder versucht er unermüdlich, bei Veranstaltungen zum Thema SED- und MfS-Unrecht Gäste und Besucher für seine eigene Biographie und die Anliegen kommunistisch Verfolgter zu interessieren. Rust, mehr als neun Jahre unter Ulbricht und Honecker als "Politischer" im Gefängnis, haben seine Lebenserfahrungen zu einem Vertreter der "härteren Tonart" gemacht. Diesen Geist atmen sowohl Vorwort als auch Nachbetrachtungen. Tatsächlich hat Rust alle Verzweifelung über die aktuelle Situation, die vielfache Begünstigung der Täter und das häufige Beiseiteschieben der Opfer der SED-Diktatur in politischer und finanzieller Hinsicht in Form von Worten fließen lassen, die teilweise über das Ziel hinausschießen und oft auch verletzend sind. Inhaltlich in den meisten Fällen richtig und klar urteilend, verliert sich der Autor zudem vielfach in nebensächlichen Details.

Der Hauptinhalt des über 700seitigen Werkes besteht zu 90 Prozent aus Staatssicherheits- und Justizakten der DDR, die verbleibenden Seiten sind dem heutigen Umgang von Behörden und Institutionen mit dem damaligen Unrecht gewidmet. Nahezu jedes abgedruckte Schriftstück spricht auch ohne jeden Kommentar für sich. In ihrer Gesamtheit zeigen sie neben der alltäglichen Spitzelpraxis des MfS die allgemeine Sphäre von Primitivität und Trostlosigkeit unter dem SED-Regime.

Es gibt zweifellos vieles, was an der Form dieses Werkes zu bemängeln ist, vom fehlenden Inhaltsverzeichnis bis zu den unklaren Auswahlkriterien einzelner Schriftstücke. Jedem, der sich nicht nur oberflächlich in die Situation der Opfer der jüngsten Diktatur in Deutschland hineinversetzen möchte und die unbequeme Auseinandersetzung nicht scheut, sollte indes in vorliegendem Fall das Anliegen einmal wichtiger als die Orientierung an herkömmlichen Kriterien sein.


 
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