© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    50/02 06. Dezember 2002

 
Ungerichtete Rebellion
Kino: "Führer Ex" von Winfried Bonengel
Ellen Kositza

Als Ingo Hasselbach, 1990 Mitbegründer der "Nationalen Alternative", vor knapp zehn Jahren aus der rechten Szene ausstieg, veröffentlichte er im Aufbau-Verlag sein Buch "Die Abrechnung", das über die politische Szene hinaus für Furore sorgte, auch deshalb, weil er im gleichen Atemzug eine Zusammenarbeit mit Bundeskriminalamt und Generalbundesanwaltschaft aufnahm, die von seinen ehemaligen Mitaktivisten nur als denunziatorisch begriffen werden konnte. Mediale Plattform für den attraktiven Aussteiger wurde der Stern, der Hasselbach zu einer Art grenzgängerischem Helden stilisisierte.

Seither läßt sich Hasselbach gern die Bezeichnung "Berufsaussteiger" gefallen und wird nicht müde, seine Warnungen vor dem "vernetzter und gewaltbereiter denn je" auftretendem rechten Mob zu vermarkten. Noch immer lebt Hasselbach unter Polizeischutz, kann selbst als Journalist, so sagt er, nur unter Pseudonym publizieren, und so wenig, wie den politisch vom Täter zum Opfer Geläuterten seine rechte Vergangenheit losläßt, läßt er selbst sie Vergangenheit werden. Der in Zusammenarbeit mit Regisseur Winfried Bonengel verfaßten "Abrechung" folgte, passend und planbar "Die Bedrohung - Mein Leben nach dem Ausstieg" sowie die Mitarbeit bei themengleichen Dokumentarfilmen verschiedener Regisseure.

"Führer Ex" lautete die amerikanische Fassung seiner "Abrechnungs"-Schrift und ist nun zum Titel von Bonengels Spielfilmdebüt geworden. Darin heißt Hasselbach Tommy (dargestellt von Christian Blümel) und lebt, gewissermaßen "bocklos", im Ost-Berlin der achtziger Jahre. Eine ungerichtete Rebellion umtreibt ihn und seinen ebenfalls gerade volljährigen Freund Heiko (Aaron Hildebrand), man ist ein bißchen Punk und Anarcho und will demnächst abhauen, nach Australien am liebsten. Je weiter weg, desto weniger DDR, glauben die beiden.

Nach einem gescheiterten Fluchtversuch landen die beiden im Zuchthaus Bautzen, im härtesten Knast der DDR. Dort gehen sie getrennte Wege, Heiko fügt sich in eine Clique dort inhaftierter Kriegsverbrecher und neu rekrutierter Jungnazis ein, während sich Tommy bemüht, allein zurechtzukommen. Das erweist sich schwieriger als gedacht. Als Einzelner heißt es in Bautzen, sich entweder der gnadenlosen Hierarchie unterzuordnen, Schmäh- und Frondienste, solche sexueller Art inklusive, anzunehmen - oder unterzugehen. Tommy entscheidet sich für letzteres, kann dennoch seinen buchstäblichen Hintern nicht retten, landet schließlich in Einzelhaft und muß wochenlang in einer Zelle ohne Bett und ohne Licht ausharren.

Ein Stasi-Offizier führt eines Tages Heiko an die Zelle seines Freundes. Der sieht Tommy, blutig, geifernd und brabbelnd, an den Wänden der Zelle kratzen. Für "ein bißchen Mitarbeit" - erwünscht sind Informationen über die einsitzenden Altnazis - seinerseits käme der Freund frei, verspricht die Knastleitung. Doch Heiko ist kein Verräter. "Ein guter Freund biste auch nicht", weiß der Partei-Offizier Schwäche und Ehrgefühl Heikos zu nutzen. Tatsächlich kommt Tommy frei, zumindest aus dem Loch der brutalen Einzelhaft. Mit seiner Hilfe gelingt dann wiederum Heiko die endgültige, abenteuerliche Flucht aus dem Knast. Zu diesem Zeitpunkt jedoch wackelt die Mauer bereits heftig, und kurze Zeit später wird auch Tommy in die Freiheit gespült.

Erst Monate später treffen sich die Freunde wieder. Während Heiko zwar immer noch ein "bißchen rechts" ist, sich aber an den westlichen Stil plan- und sorglosen Herumhängens ganz gut gewöhnt hat, agitiert Tommy - das Heil scheint so nah - als einer der Anführer und Organisatoren des berüchtigten, historisch verbrieften "rechtsalternativen" Wohnprojekts in der Berliner Weitlingstraße. Junge Männer haben dort, teilweise mit behördlicher Unterstützung, ein Haus "besetzt", um dort den Mikrokosmos einer "national bereiten Zone" zu schaffen. Straff organisiert wird hier tagsüber zu Bohrmaschine und Pinsel gegriffen, abends steht theoretische Unterweisung auf dem Programm. Tommys enttäuschte Sehnsucht nach Erlsöung ist zum blindwütigen Haß auf "die Gesellschaft" geworden. Heiko zieht mit in die Männer-WG, findet das zwar etwas stressig, aber dennoch ganz cool - bis er Zeuge einer Mordtat wird. Ein letztes Mal wird die Freundschaft der beiden auf eine harte Probe gestellt ...

Die Herausforderung eines solchen Films, der aus Sicht seiner Macher einen "brisanten" Stoff transportiert - einmal mehr die Mär von rechter Gewalt als gesellschaftlichem Tabu -, hätte darin bestanden, das Verlockende an der rechtsextremen Szene darzustellen. Das geschieht nicht. Die Altnazis im DDR-Knast genau wie die rechten Autonomen aus der Weitlingstraße sind vom Scheitel bis zu den Fußsohlen unappetitliche, ekelerregende Mordgesellen und Henkersknechte, faul, feige und verlogen. Das dürfte für jeden minderbemittelten Kinogänger deutlich erkennbar sein. Was könnte schon, selbst für einen haltlos Verlorenen, an einer kreischenden, gestikulierenden Hitlerparodie attraktiv sein? Was den sensiblen Tommy zum brutalen Überzeugungstäter werden läßt, bleibt ähnlich undeutlich wie die Wendung des Überzeugungstäters Hasselbach zum konformen Staatsbürger. Ein sehenswerter Film bleibt "Führer Ex" trotz des klischeebeladenen und vordergründigen letzten Drittels aber allemal.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen