© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    50/02 06. Dezember 2002

 
CD: Pop
Schmusig
Holger Stürenburg

Das Berliner Duo Rosenstolz ist eine der erfolgreichsten und kreativsten deutschen Bands der letzten Jahre. Anna Rosenbaum (voc) und Peter Plate (keys) musizieren zusammen seit 1991. Die letzten fünf CDs von Rosenstolz erreichten sämtlich die deutschen Top 10, für die Best-of-Kollektion "Alles Gute" erhielten Rosenstolz eine Goldene Schallplatte für 300.000 verkaufte Einheiten. Bundesweit gaben Rosenstolz zumeist ausverkaufte Konzerte in immer größeren Hallen, arbeiteten mit exzentrischen Kollegen wie Nina Hagen oder Marc Almond von Soft Cell zusammen und wagten vor zwei Jahren sogar das Experiment, eine Single in lateinischer Sprache ("Amo Vitam") zu veröffentlichen.

In diesen Tagen nun kehrt das Duo mit seinem aktuellen Album "Macht Liebe" (Polydor/Universal) zurück. Die Musik von Rosenstolz klang schon immer schrill und exzessiv, aber zugleich melancholisch und romantisch. Sie zeigte sich von der schwülen Erotik des Berliner Chansons der zwanziger und dreißiger Jahre genauso beeinflußt wie von der Aufmüpfigkeit der Neuen Deutschen Welle und anderen einheimischen Popversuchen der 1980er Jahre. Peter, der die meisten Lieder komponiert, gab zu Protokoll, "Schlager zu hassen, aber Schnulzen zu lieben". Diese Haltung fand Eingang in viele seiner Stücke, obwohl bei den Arrangements keineswegs auf moderne Rhythmen, zeitnahe Synthiklänge und neuerdings sogar den Einsatz eines Vocoders verzichtet wurde. Im Gegensatz zu früheren Alben ist "Macht Liebe" wesentlich tanzbarer, poppiger und maschineller geraten. Techno-Beeps werden eingesetzt, auch wummernde Baßdrums, Synthesizer und Computer kommen zum Zuge.

Das Album mit seinen zwölf Titeln ist in vielerlei Hinsicht anders als seine Vorgänger. Dies zeigt sich besonders an den Texten. Frühere Lieder wiesen häufig mit betörender Offenherzigkeit auf das Leben im subkulturen Milieu zwischen Prostitution, Glücksspiel und Drogen hin. Obwohl die aktuellen Texte immer noch aussagekräftig sind, wurden die meisten neuen Songs mit eher seichten "Schmusetexten" versehen. Verschlüsselte Bezüge aufs Milieu finden sich nur noch in dem koketten Popsong "Komm doch mit (in das nächste Leben)" oder in der knisternd erotischen Ballade "Ich verbrauche mich an Dir". Und in "Paradies" bekennt sich die Prostituierte zur Liebe zu ihrem Gast: "Wenn ich Dich zu mir her zieh / Ist es Liebe, die mich bewegt", während in "Heiß" Erfahrungen im Drogenrausch geschildert werden. Insgesamt hat die Emotionalität und damit die Eindringlichkeit auf "Macht Liebe" merklich nachgelassen - und es ist zu hoffen, daß der kommerzielle Erfolg, den Anna und Peter in der letzten Zeit feierten, nicht alle Ecken und Kanten abschleift.

Musikalisch sind Rosenstolz auf "Macht Liebe" den Weg von Chanson und Schnulze in Richtung Dancefloor und Pop gegangen. Diese musikalische Neuorientierung klappt häufig, aber nicht immer: "Sternraketen", die zweite Singleauskoppelung, ist zwar sehr eingängig, aber für Rosenstolz-Verhältnisse einfach zu seicht und von einer matteren Nena kaum zu unterscheiden, während moderne Klänge bei "Raubtier" oder "Gebe niemals auf"Rosenstolz durchaus neuen, frechen Charme verleihen.

Am gelungensten sind jedoch wie immer die Balladen. Bei "Es tut immer noch weh" paaren sich Akustikgitarre und Piano auf spannende Weise, während "48 Stunden" ebenso deutlich wie sympathisch an Ulla Meinecke erinnert. Mit dem Fast-Tango "Tag in Berlin (November)" auf der Basis von völlig unaufgeregten Streichern endet ein imposantes, streckenweise hervorragendes Album, das jedoch dann Schwachstellen aufweist, wenn seine Protagonisten allzu deutlich auf Kommerz statt auf Kunst setzen.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen