© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    50/02 06. Dezember 2002

 
Früher warnten Kanonenschüsse
Gewässerschutz: Sachsen plant nach der Elbeflut einen besseren Hochwasserschutz / Aussiedlungen gefordert
Paul Leonhard

Röderau-Süd hätte nie gebaut werden dürfen. Darin ist man sich in den sächsischen Verwaltungsstuben einig. Allerdings erst jetzt, nachdem es zu spät ist. Das Elbe-Hochwasser im August hatte den fünf Hektar großen Zeithainer Ortsteil gegenüber von Riesa völlig überschwemmt. Mehr als zwei Meter hoch stand das Wasser in den Häusern. Sechs Tage lang.

Nun sollen die knapp 400 Einwohner die Siedlung verlassen. Denn eine Prüfung des Umweltministeriums hat ergeben, daß Röderau-Süd alle fünf bis 20 Jahre die Überschwemmung droht. Kein Wunder, der Ort wurde 1992 mitten in einer Elb-Aue errichtet. Es ist nicht der einzige Fall, wo sich entlang sächsischer Flüsse nach 1990 Investoren über die warnenden Stimmen der Landschaftspfleger und Experten hinwegsetzten. Selbst am Dresdner Elbufer wurde gebaut, bis Bürgerproteste dem ein Ende setzten. Insgesamt wurden 45 Bebauungspläne in Hochwasser-Gebieten seit der Wende genehmigt, davon 33 im Regierungsbezirk Dresden und zwölf in Leipzig. Jetzt sollen sachsenweit Deiche zurückverlegt und erhöht, landwirtschaftlich genutzte Flußauen wieder für die Ausuferung freigegeben, Gebirge aufgeforstet und in den Talsperren 31 Millionen Kubikmeter mehr Strauraum freigegeben werden. "Wir werden überall anecken, wenn wir die Hochwasservorsorge verbessern wollen", sagt Sachsens Umweltminister Steffen Flath (CDU) ahnungsvoll. Aber nur wenn alle Maßnahmen gebündelt werden, hätten sie den gewünschten Effekt.

Während Flath auf der einen Seite harte Auseinandersetzungen mit Landwirten und Tourismus-Managern erwartet, muß er sich parallel dazu gegen Absichten in der Tschechei und Sachsen-Anhalt wehren, zusätzliche Staustufen in der Elbe zu errichten. Ein weiteres Sorgenkind sind die Vorwarnzeiten.

Vor 200 Jahren funktionierte die Warnung vor Hochwasser noch recht gut. Als am 23. Februar 1799 das Eis auf der Elbe die böhmisch-sächsische Grenze erreichte, verkündeten das Kanonenschüsse von der Festung Königstein in der Sächsischen Schweiz. Und über ein ausgetüfteltes Informationssystem gelangte die Nachricht nach Dresden.

In diesem Jahr wurden dagegen im Osterzgebirge zehntausende Menschen vom Hochwasser überrascht. Sie konnten mit knapper Not nur ihr Leben. Ein deutlich besseres Warn- und Alarmsystem soll nach diesen Erfahrungen geschaffen werden. "Die Vorwarnzeiten müssen entschieden vergrößert werden", betont Staatsminister Flath. Nur wenn ein hochleistungsfähiges Frühwarnsystem existiere, sei ein wirksamer Hochwasserschutz denkbar. Für die Elbe sollen künftig Vorhersagen von derzeit 24 auf dann 60 Stunden ausgedehnt werden, für die Mulde von sechs auf mindestens zwölf Stunden. Problematischer sieht es bei den Gebirgsflüssen im Osterzgebirge aus. Hier geht es darum, wenigstens einige Stunden Vorwarnzeit zu gewährleisten. Eine Aufgabe für die Meteorologen. Diese müssen früher, genauer und verständlicher über drohende Katastrophen informieren und auf mögliche Auswirkungen aufmerksam machen.

So werden der staatliche Deutsche Wetterdienst (DWD) und die private Schweizer Meteomedia AG ab 2003 mit Unwetterwarnungen auf Landkreisebene beginnen. Die Wettermacher um Jörg Kachelmann wollen eine mit fünf Fachleuten besetzte Unwetterzentrale einrichten. Außerdem sollen Unwetterwarnungen stündlich aktualisiert werden. Geplant ist auch, die Niederschlagsvoraussagen mit Satelliten- und Radardaten, Messungen über den tatsächlichen Niederschlag und den Abfluß sowie die Geländebedingungen in ein Computerprogramm einzuspeisen, das die Informationen dann zu aktuellen Hochwasservorhersagen verarbeiten kann. Ein entsprechendes Pilotvorhaben läuft zurzeit für das Gebiet der Freiberger Mulde.

Verbessert werden soll auch der Hochwasserschutz im Oberlauf der Flüsse. Zwar wird es keine Talsperren-Neubauten geben, aber über die Erhöhung von Dammkronen wird nachgedacht. Zu entscheiden ist auch, ob die Stauraumaufteilung in einigen Talsperren optimiert werden kann. Beispielsweise soll in der nahe Dresden gelegenen Talsperre Malter der Wasserspiegel soweit gesenkt werden, daß der Stauraum sich verdoppelt. Das Stauvermögen des künftigen Grünbeckens im Müglitztal soll von 2,5 auf fünf Millionen Kubikmeter erweitert werden.

Finanziell stehen in diesem Jahr für den Hochwasserschutz 35,5 Millionen Euro zur Verfügung. 2003 soll diese Summe einschließlich EU-Mittel auf 82 und ein Jahr später auf 87 Millionen Euro erhöht werden. Der Schaden, den die Augustfluten in Sachsen hinterlassen haben, wird auf sechs Milliarden Euro geschätzt.

Direkt betroffen waren 337.000 Menschen, 21 kamen ums Leben. Die Summe, die der Freistaat den vom Hochwasser geschädigten Einwohnern von Röderau-Süd zur Verfügung stellt, beziffert Justizminister Thomas de Mazière (CDU) auf rund 50 Millionen Euro. Damit sollen die Kosten für den Umzug und den Bau eines neuen Heimes an einem anderen Ort finanziert werden.

Der von den Einwohnern geforderte Ringdeich, der die Siedlung schützen könnte, wird von der Staatsregierung abgelehnt. Durch seinen Bau würden Nachbarorte wie Riesa, Promnitz und Nünchritz gefährdet. Im Gegensatz zu den Bewohnern des von den Braunkohlebaggern bedrohten Heuersdorf soll es im Fall von Röderau-Süd keine Zwangsumsiedlung geben, allerdings auch keine erneute Hilfe, falls das Hochwasser irgendwann wiederkommt.


 
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