© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    50/02 06. Dezember 2002

 
Kämpfer für die Einheit Deutschlands
Feindbild aller Linken: Gerhard Löwenthal feiert seinen achtzigsten Geburtstag / Ein enger Weggefährte erinnert sich
Fritz Schenk

Es war Ende der siebziger Jahre. Wir kamen am späten Nachmittag aus den Schneideräumen, wo wir die Beiträge für das nächste "ZDF Magazin" zusammengestellt und sendefertig gemacht hatten. Der Rückweg in die Redaktion führte an der Kantine vorbei. Da der Tag noch lang werden würde, wollten wir noch schnell etwas essen. Die Kantine war fast leer. An einem Seitentisch saß allein Jochen Müthel, der damalige Redaktionsleiter und Moderator des ZDF "Länderspiegel". Noch während wir unser Essen bestellten, schlang Jochen seine letzten Happen förmlich hinunter, zahlte eilig und verabschiedete sich umgehend mit der Entschuldigung dringender Termine. Nachdem auch wir wenig später wieder an unseren Schreibtischen saßen, es mittlerweile auf die zwanzig Uhr zuging und die meisten Mitarbeiter das Haus längst verlassen hatten, kam Müthel noch "auf einen Sprung" zu uns herein. "Ihr müßt entschuldigen, daß ich mich vorhin so schnell aus dem Staub gemacht habe", war seine Einleitung, "aber wenn ich länger mit euch zusammengesessen und gequatscht hätte, bekäme ich in meinem Laden den allergrößten Ärger."

Er wurde zur Inkarnation des "Kalten Kriegers"

So war das damals. Dabei war Jochen Müthel ein gestandener Mann gewesen, hatte 1946 an der Uni Jena gegen die Zwangsvereinigung von SPD und KPD gekämpft, war zusammen mit seiner Frau Eva zu vielen Jahren Zuchthaus verurteilt und erst 1954 im Zusammenhang mit der Berliner Außenministerkonferenz der Alliierten nach sechs Jahren schwerster Haft entlasen worden. Wir hatten an diesem Abend noch geraume Zeit mit ihm zusammengesessen, waren politisch einer Meinung, aber Müthel war in seiner redaktio-nellen Umgebung schon wieder in die "innere Emigration" gegangen, wie er es nannte, weil er den permanenten "Druck der Linken" satt habe. "Ausgrenzung" kannten wir. Löwenthal, als überlebender Jude des NS-Regimes, nun schon zum zweiten Mal in seinem Leben.

Das hatte bereits nach dem Antritt der ersten sozialliberalen Koalition unter Brandt und Scheel Anfang der siebziger Jahre begonnen. Während die Mehrheit der Presse - und das damals nur öffentlich-rechtliche Fernsehen ausschließlich - in einen einmütigen Chor der Bewunderer der "neuen Ost- und Deutschlandpolitik" einstimmten, war Löwenthal zunächst nur auf Distanz gegangen. "Entspannung, Normalisierung und Friedenssicherung" sollte diese Politik bringen. Und entsprechend seinem Berufsverständnis von kritischer Begleitung und "Hinterfragung" der amtlichen Politik durch die freie Presse meldete er Zweifel an. Diese drängten sich besonders hinsichtlich der Lage der Menschen hinter dem Eisernen Vorhang auf. Wo "entspannte" und "normalisierte" sich auch deren Lage? Was überhaupt verstehen die westlichen Regierenden unter "entspannt und normal"?

Noch stärker drängten sich diese Fragen nach Aufnahme der DDR in die Vereinten Nationen 1972 und der KSZE-Konferenz von Helsinki 1975 auf, als sie nicht nur die UN-Grunddokumente, sondern in Helsinki auch die Schlußakte mit dem berühmten "Korb III" unterzeichnet und ratifiziert hatte. Als am 1. August 1975 SED-Staatschef Erich Honecker den Fehler beging, die Schlußakte im vollen Umfang im Neuen Deutschland veröffentlichen zu lassen, brach ein Damm. Uns erreichten ungezählte Briefe aus der DDR, in denen Betroffene schilderten, in welche politische Bedrohung sie allein dadurch gekommen waren, daß sie bei den DDR-Behörden anfragten, wo denn die Anträge für die nun nach dem "Korb III" zulässigen Westreisen zu stellen seien. Dies war der Beginn für die Rubrik "Hilferufe von drüben" in unserer Sendung. Da es obendrein gelang, den meisten, deren Fälle im "ZDF Magazin" vorgetragen wurden, zur Ausreise zu verhelfen, und diese dann auch regelmäßig in der Sendung zu Wort kamen, wurde Löwenthal zur Inkarnation des "Kalten Kriegers" schlechthin. Nun ging er nicht nur den Kommunisten auf die Nerven, sondern auch der westdeutschen Administration, die sich der von ihr mit losgetretenen Lawine der mitteldeutschen Reise- und Ausreisebegehren nicht mehr erwehren konnte.

Wer informieren will, muß selber informiert sein

Dies war zugleich der Beginn des RAF-Terrorismus. Mit den Morden an Bubak, Ponto und Schleyer waren auch Gerhard Löwenthal und das "ZDF Magazin" mit in die Zielrichtung dieser Mörderbande geraten und in "Sicherheitsstufe I" eingereiht. Mehr als ein Dutzend Mal haben wir unter strengster Absperrung und Bewachung durch die Sicherungsgruppe des BKA gesendet. Es ehrt Löwenthal, daß er über die Einschränkung seiner Bewegungsfreiheit in diesen Jahren kaum je ein Wort verloren hat.

Nach der Wende gaben meterlange Ordnerbände der Stasi Aufschluß darüber, in welchem Maße und mit welchen Methoden auch die "Firma Mielke" versucht hat, die "Feindzentrale ZDF Magazin" zum Schweigen zu bringen. Bedrückend, wieviele westdeutsche "Kollegen" ihr dabei zugearbeitet haben. Sie spielen heute die Unschuldigen, die "unwissentlich abgeschöpft" worden seien. Auch das nimmt Löwenthal eher gelassen hin, seine bereits im Dritten Reich entwickelte Sensibilität gegenüber "falschen Freunden" hat ihn immer rechtzeitig erkennen lassen, wo Vorsicht geboten ist.

Neben dem Kampf um die Menschenrechte, den er immer als Kampf empfunden und wahrgenommen hat und auch heute noch nimmt, ist er auch mit dem zweiten Thema der vermeintlich neuen Ostpolitik ein "Wadenbeißer" gewesen, nämlich dem der "Entspannung und Friedenssicherung". Während die "Sozial-Liberalen" die Friedensschalmeien bliesen, hat Löwenthal ihnen unter die Nase gerieben, in welchem schier unvorstellbaren Ausmaß der Osten aufrüstet. Im Ringen um die Nachrüstung gegen die sowjetischen Mittelstreckenraketen hat er sowohl auf der Seite von Helmut Schmidt, wie nach dessen Scheitern und dem Regierungswechsel von 1982, auf der von Kohl und Genscher gestanden.

Neben der konsequent kritisch-ablehnenden Haltung gegenüber den roten Diktaturen und dem Sozialismus im Grundsätzlichen, hat ihm vor allem das Thema militärische Sicherheit das Etikett des "schwarzen Pendants" zu den vielen rötlich bis roten anderen Fernsehmagazinen eingetragen, verstanden als "Speerspitze der Union" in der deutschen Fernsehlandschaft. Das verkennt total, daß Löwenthal von keiner Partei oder Interessengruppe zu vereinnahmen ist. Schon gar nicht wäre und war es möglich, daß er Sendungen oder auch nur Beiträge gewissermaßen als "Lohn- oder Gefälligkeitsaufträge" für irgend jemanden gesendet oder geschrieben hätte. Der Vielleser und Dauerinformant will es immer genau wissen. Wer informieren will, muß zunächst selber informiert sein, ist seine Grunddevise. Vom "Hörensagen" oder von "Zugestecktem aus zweiter Hand" läßt er sich nicht beeindrucken. Wohl aber kann solches ihn zu sehr intensiven Recherchen reizen, und wenn er dann rangeht, darf man sicher sein, daß er fündig wird.

Das "Löwenthal-Magazin" ist ein Begriff der Publizistik

Bei den "großen Affären" (Steiner/Wienand, Guillaume, Pauls-Telegramme, Moskauer Protokollnotizen, Barschel - wer kann sich heute überhaupt noch daran erinnern?) - waren seine Belege astrein. Selbstverständlich hat ihm das wenig Freunde geschaffen.

Und als er auch Helmut Kohl mehr und mehr auf die Nerven ging mit der Frage, wo denn die versprochene "geistig-moralische Wende" bleibe, knickten immer mehr dem schwarzen Flügel des ZDF-Fernsehrates zugerechnete Mitglieder ein, sehnten förmlich seinen Pensionstermin herbei, und machten nur ein Vierteljahr nach seinem Weggang in den "Unruhestand" (der es bis heute geblieben ist) dem "ZDF Magazin" den Garaus.

Es war und bleibt sein Verdienst, daß er diese Sendung zur dominierenden Politischen des Fernsehens der siebziger und achtziger Jahre gemacht hat, und daß sie daher auch fünfzehn Jahre nach ihrer Eliminierung noch als "Löwenthal-Magazin" ein Begriff in der deutschen Publizistik ist. Nun ist er Achtzig. Als einer seiner ältesten Weggefährten wünsche gerade ich ihm noch viele gesunde und erfolgreiche Jahre. Sein auf großer Erfahrung fußender Rat ist nach wie vor Gold wert.

Gerhard Löwenthal (hier in einer Aufnahme von 1975) wurde am 8. Dezember 1922 als Sohn eines jüdischen Kaufmanns in Berlin geboren. Nach dem Krieg studierte er zunächst Medizin und arbeitete als Reporter und stellvertretender Programmdirektor beim Rundfunk im amerikanischen Sektor (RIAS Berlin). Von 1954 bis 1957 war er ebenfalls als stellvertretender Programmdirektor beim Sender Freies Berlin (SFB) und von 1959 bis 1963 als Hauptabteilungsleiter für Wissenschaftliche Information bei der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Paris tätig. Von 1963 bis 1968 war er Korrespondent und Leiter des ZDF-Studios in Brüssel, bis er im Januar 1969 die Leitung und Moderation des ZDF-Magazins übernahm. Seit seinem Ausscheiden Ende 1987 ist er freiberuflicher Journalist. Seine Lebenserinnerungen sind 1987 unter dem Titel "Ich bin geblieben" im Herbig Verlag, München, erschienen.

 

Fritz Schenk war von 1971 bis 1988 Co-Moderator, zuletzt Redaktionsleiter des ZDF-Magazins, danach bis zu seiner Pensionierung 1993 Chef vom Dienst der Chefredaktion des ZDF.


 
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