© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    49/02 29. November 2002

 
Neugieriger Patriarch
Interviews mit Ernst Jünger
Tobias Wimbauer

Kurz vor seinem hundertsten Geburtstag, 1995, empfing Ernst Jünger in der Oberförsterei im oberschwäbischen Wilflingen Antonio Gnoli und den italienischen Philosophen Franco Volpi - der unter anderem Jüngers Essay "Über die Linie" (1950) über die Überwindung des Nihilismus ins Italienische übersetzt hatte - zu drei Gesprächen. Es waren die letzten ausführlichen Interviews des Jahrhundertautors. 1997 erschienen die "Conversazioni con Ernst Jünger" in der Mailänder Adelphi Edizioni. Nun endlich sind sie auf Deutsch publiziert worden. Peter Weiß hat sie rückübersetzt und im Karolinger Verlag herausgegeben.

Vieles in diesen Interviews ist dem Leser der Alterstagebücher "Siebzig verweht" bereits bekannt. Wiederholungen gehörten zum Altersstil, hat Jünger einmal gesagt. Trotzdem finden sich in den Gesprächen auch Perlen. So sagt Jünger über die Generation der Weltkriegsteilnehmer: "Unsere Haltung war die von Leuten, die mit einem nüchternen Blick die neue Wirklichkeit der Technik und der Arbeit erkennen und ohne nostalgisches Bedauern oder apokalyptische Vorstellungen an ihr teilhaben wollen. Darüber hinaus galt es, im Mythos und in der Geschichte eine Gegenkraft zum Pessismismus zu finden." Erst der Zweite Weltkrieg habe den "Optimismus", daß das zwanzigste Jahrhundert das des Fortschritts sei, zerstört: "Der wesentliche Wandel stellte sich erst in der Mitte unseres Jahrhunderts, nach 1945, ein."

Zu den Enttäuschungen nach 1945 gehörte auch das Fehlen des nationalrevolutionären Impetus, der Jünger und andere Protagonisten der Konservativen Revolution beflügelt hatte. Als exemplarisch hierfür kann der Weg des Nationalbolschewisten Ernst Niekisch, an dessen Zeitung Widerstand Jünger bis zu ihrem Verbot mitgearbeitet hatte, betrachtet werden. So äußert Jünger über die zeitweilige Hinwendung Niekischs zum Sozialismus: "Lange Zeit hoffte ich, daß er (Niekisch) nach seiner Befreiung sein politisches Engagement wieder aufnehmen und für die nationalistische Sache arbeiten würde. Unglücklicherweise hatten die Jahre im Gefängnis seine Gesundheit untergraben. Er wurde ernstlich krank und kam nicht mehr zu den nötigen Kräften."

Wohltuend ist, daß die Interviews kaum bearbeitet sind. Das heißt freilich nicht, daß Authentizität zugunsten einer Ästhetik des Schriftlichen geopfert wurde, sondern daß der Leser einen - abgesehen von gelegentlichen Unschärfen in der Diktion aufgrund der Rückübersetzung - "echten" Jünger präsentiert bekommt.

Antonio Gnoli, Franco Volpi mit Ernst Jünger: Die kommenden Titanen. Gespräche. Deutsch von Peter Weiß. Karolinger Verlag, Wien/Leipzig 2002, 155 Seiten, 18 Euro


 
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