© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    49/02 29. November 2002

 
Einblicke in eine Parallelwelt
Minderheiten: Eine Ausstellung in Salzburg widmet sich den unbekannten Europäern
Ekkehard Schultz

Vor einigen Jahren lernte der Fotograf Kurt Kaindl auf einer Reise nach Süditalien das Volk der Arbereshe kennen, Nachkommen von Albanern, deren Vorfahren bereits vor über 500 Jahren im kalabrischen Raum siedelten. Ihre eigene, vom heutigen Albanischen stark abweichende Sprache, die Pflege eigener Bräuche, Speisen, Sitten und Mythen faszinierten Kaindl so, daß er sich entschloß, den im heutigen Europa verstreuten und zumeist kaum bekannten kleinen Volksgruppen und Ethnien fotografisch nachzuspüren.

Aus über 50 Minderheiten wählte er neben den Arbereshe weitere vier aus: die Aromunen, ein kleines, heute sehr verstreut lebendes romanisches Volk in der Balkanregion; die Gottscheer, eine im Süden des heutigen Slowenien lebende deutschstämmiges Volksgruppe, deren Vorfahren aus Kärnten und Osttirol stammen; die Sepharden in Sarajevo, Reste der 1492 aus Spanien ausgewiesenen Juden sowie die slawische Minderheit der Sorben in der Lausitz. Das auf ausgedehnten Fahrten zwischen Ostern 1999 und Oktober 2000 entstandene Fotomaterial ist nun in einer Auswahl bis zum 6. Januar 2003 in einer Ausstellung im Salzburger Museum Carolino Augusteum zu besichtigen.

Es sind zumeist ältere Personen und Kinder, die Kaindl als Repräsentanten der Minderheiten vor die Kamera gebannt hat. Menschen im arbeitsfähigen Alter fehlen dagegen fast vollständig. Diese Auswahl ist ebensowenig dem Zufall geschuldet, wie die Tatsache, daß jene Bilder, die am eindrucksvollsten die eigene Kultur der Minderheiten belegen, fast durchweg Gegenstände mit weit über 50jähriger Geschichte zeigen; Erinnerungsstücke, die viel stärker auf das Leben der Vorfahren, als auf das der heutigen Generationen verweisen.

Mit dem Absterben der alten, eigenen Handwerks- und Handelstätigkeiten, die der effizienten Massenproduktion nicht gewachsen waren, wurden auch die speziellen Erfahrungen der Älteren nahezu obsolet. Einzig im Festhalten an einer gemeinsamen Sprache, einer eigenen Festkultur und an bestimmten Lebensriten können sich heute noch Minderheiten von ihrer Umwelt abgrenzen. Aber auch diese Kulturgüter sind in immer stärkerem Maße bedroht: Die Sprache, da sie in den Augen der Jüngeren immer mehr als ineffizient betrachtet wird und die Mehrheitsbevölkerung im Erlernen von etwas in ihren Augen ohnehin in naher Zukunft Aussterbenden keinen rechten Nutzen sieht. Die Festkultur, weil der Kreis der Familie und Freunde durch die zunehmende räumliche Verstreuung erheblich kleiner geworden ist und sich der Aufwand daher immer weniger lohnt. Die Lebensriten, weil sie durch das immer engere Zusammenleben mit Fremden die Gefahr des Auffallens beinhalten, etwas, was aufgrund der häufigen Repressionen und Benachteilungen der Vorfahren außerhalb des eigenen Kreises vermieden werden soll.

Auch vor einigen hundert Jahren waren Minderheiten immer wieder gefährlichen Situationen ausgesetzt: Ein starker Assimilierungsdruck von außen, insbesondere in Kriegs- und Konfliktzeiten, bedrohte häufig ihren Bestand. Aber es bestand die Möglichkeit, sich von den - wenngleich oft kärglichen - Einkünften aus selbständiger Tätigkeit zu ernähren, und so wurde zäh an der eigenen (kleinen) Scholle und am Handwerk der Väter festgehalten.

Große Gefahren für den Bestand der "kleinen Völker" hatten indes die gravierende Veränderung der Arbeits- und Lebensbedingungen zur Folge, die mit Industrialisierung, Mobilisierung und Globalisierung einsetzte. Es ist paradox, daß sich gerade eine Zeit den besonderen Schutz von Minderheiten auf ihre Fahnen schreibt, in der durch die Zwänge der kapitalistischen Marktordnung das langsame Sterben vieler Volksgruppen geradezu eine zwangsläufige Folgeerscheinung darstellt.

Kaindls Bilder sind nicht nur ein Panoptikum einer kaum wahrgenommenen Welt, sondern zugleich auch ein Zeitzeugnis ersten Ranges. Zugleich sind sie eine Mahnung an die Mehrheitsgesellschaften, sorgfältiger abzuwägen, mit welchen möglichen Opfern Zentralisierungen erkauft werden.

 

Die Ausstellung "Die unbekannten Europäer - Kurt Kaindls Fotoreise zu den Aromunen, Sepharden, Gottscheer, Arbereshe und Sorben" läuft bis 6. Januar 2003 im Salzburger Museum Carolino Augusteum, Museumsplatz 1. Telefon: 0043 / 662 / 62 08 08-0, E-Post: office@smca.at , Internet: www.smca.at 


 
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