© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    49/02 29. November 2002

 
Es riecht nach Krieg
USA: Ob Fliegenschiß oder Ölbrocken, die Neokonservativen kümmern sich um alles
Catherine Owerman

Noch immer regnet es keine Bomben auf Bagdad. Manch amerikanischer Neokonservativer wird langsam nervös: Präsident Bush sei in eine Falle getappt, als er sich auf das UN-Verfahren und erneute Waffeninspektionen einließ, beklagen William Kristol und Robert Kagan in der aktuellen Ausgabe des Weekly Standard. Daß Saddam demnächst Massenvernichtungswaffen einsetzen wolle, setzen die beiden Publizisten voraus. Wenn die Waffenkontrolleure keine eindeutigen Beweise fänden, sei das lediglich ein Zeichen dafür, wie perfekt Saddam seine Pläne zu tarnen verstehe. Fatalerweise wollten die europäischen Zauderer die Wahrheit nicht sehen.

Von den Alliierten möchten die beiden neokonservativen Schwergewichte nur noch in Anführungszeichen schreiben. Besonders Frankreich, etwas weniger Deutschland gilt ihr Zorn. Aber auch innerhalb der Regierung vermuten sie Verräter. Nicht alle unterstützen die Kriegsvorbereitungen nach besten Kräften. Vor allem Außenminister Colin Powell und sein Stellvertreter Richard Armitage gelten als Bremser, weshalb Kristol im Weekly Standard eine "Axis of Appeasement" am Werke sieht.

Die tonangebende Clique der neokonservativen Regierungsberater tritt offen und ohne Umschweife "für ein amerikanisches Empire" ein, wie der Leitartikel im Weekly Standard kurz nach dem 11. September trompetete. In einer heftigen Trotzreaktion argumentierte da Publizist Max Boot, keinesfalls sollten die Vereinigten Staaten nun außenpolitisch kleinere Brötchen backen. Noch viel zu zaghaft sei die amerikanische Außenpolitik. Nicht zu viel, sondern zu wenig Einmischung der USA sei das Problem. Hätte man sich nach dem Kalten Krieg nicht aus Afghanistan zurückgezogen, wäre alles vielleicht ganz anders gekommen. Denn selbst ein "Fliegenschiß in Zentralasien", so Boot, dürfe nicht unbeaufsichtigt bleiben.

"9/11", wie der 11. September im Jargon der US-Medien heißt, bedeutet eine Zäsur in der Geschichte der USA. Häufige Wiederholung der Filmsequenzen in den Nachrichten vermittelt das Gefühl andauernder Bedrohung. Die Bush-Administration weiß die Gunst der Stunde zu nutzen. Bald schon werden die Amerikaner mit einem Heimatschutzministerium für Staatssicherheit gesegnet sein, das jede Bewegung der Bürger, jeden Brief, jede E-Post, jedes Telefonat überwachen soll. Mit den freiheitlichen Idealen der amerikanischen Gründerväter hat das alles nur noch wenig zu tun. Der "war on terror" rechtfertigt die Mittel.

Die Neokonservativen hatten am 11. September ihr Erweckungserlebnis. Der Rückständigkeit der weiten Welt könne man nur mit entschiedener Demokratisierung begegnen. In den Worten des Publizisten Michael Leeden: "Jeden Tag reißen wir die alte Ordnung ein, ob in Wirtschaft, Wissenschaft, Literatur, Kunst, Architektur oder Kino bis hin zu Politik und Recht. Unsere Feinde haben diesen Wirbelwind an Energie und Kreativität stets gehaßt. Denn er bedroht ihre Traditionen (was auch immer die sein mögen) und beschämt sie, wenn sie nicht Schritt halten können. Wir müssen sie zerstören, um unsere historische Mission voranzutreiben."

Ist es Leeden oder Lenin, der da spricht? Solche Sätze in Leedens Buch "The War against the Terror Masters" sind nicht bloß Phrasendrescherei, sondern entlarven die Gedankenwelt der Neokonservativen. Auch treue Anhänger der republikanischen Partei reiben sich nun die Augen. "Sowohl der moderne Konservatismus als auch der moderne Clintonsche Liberalismus scheinen gleichgültig gegenüber den zermalmenden, vernichtenden Auswirkungen der Globalisierung auf traditionelle Kulturen und Werte, nicht bloß in der übrigen Welt, sondern auch hier in Amerika", bemerkte jüngst ein Autor der Washington Times anläßlich einer Besprechung der neuen Zeitschrift The American Conservative.

Seit Anfang Oktober sorgt die Zweiwochenzeitschrift für Bewegung in rechten Kreisen (JF 46/02). Als Herausgeber zeichnen Pat Buchanan, Taki Theodoracopulos und Scott McConnell verantwortlich. Den bekanntesten Namen in diesem Dreigespann hat Buchanan. Trotz seiner gescheiterten Präsidentschaftskandidatur ist er eine nationale Figur und tritt regelmäßig im Fernsehen auf. Sein jüngstes Buch "The Death of the West" war ein landesweiter Bestseller mit über 200.000 verkauften Exemplaren. Das Startgeld für den American Conservative (Gerüchte über eine Summe von fünf Millionen machen die Runde) stammt offenbar aus Takis Taschen. Zudem sorgt der griechischstämmige Reedereierbe und äußerst bissige Kolumnist (Londoner Spectator und New York Press) für eine gewisse Portion Glamour.

An Neokonservativen wie William und Irving Kristol, Jonah Goldberg, Charles Krauthammer oder Norman Podhoretz läßt der American Conservative kein gutes Haar. "Wir waren schon Konservative, als die Podhoretzs dieser Welt noch mit Onkel Joe Stalin schmusten", stichelt Taki in Anspielung auf die Herkunft vieler Neokonservativer von der politischen Linken. Gleichzeitig versucht sich die Riege um Buchanan abzusichern: Kritik an neokonservativen Intellektuellen dürfe nicht als "antisemitisch" mißverstanden werden, erklärte McConnel bei einer Pressekonferenz. Er verweist damit auf eine stets präsente, doch kaum je thematisierte Unterströmung der politischen Auseinandersetzung in den USA, die spezielle Stellung israelischer Unterstützergruppen.

Auch in der Irak-Frage spielen Überlegungen zur Sicherheit Israels eine wichtige Rolle. Die Falkenpartei im Pentagon - allen voran der stellvertretende Verteidigungsminister Paul Wolfowitz, Defense Policy Board-Vorsitzender Richard Perle und Unterstaatssekretär Douglas Feith - ist identisch mit der Gruppe kaum verhohlener Unterstützer eines US-protegierten Zionismus. In einem Essay mit dem Titel "The Israel Lobby" machte Michal Lind auf diesen Zusammenhang aufmerksam. Lind, Republikaner und ehemaliger Chefredakteur der Zeitschrift National Interest, kritisiert die amerikanische Politik heute von einem linksliberalen Standpunkt. Sein Artikel über die "Israel Lobby", der bereits im April erschien (bezeichnenderweise nicht in den USA, sondern weit weg im britischen Magazin Prospect, einer Zeitschrift New Labours), hat bis heute rege Debatten ausgelöst.

Jüdische Wähler stellen in den USA nur eine kleine Minderheit von etwa drei Prozent der Bevölkerung dar. Doch zionistische Organisationen nehmen zielstrebiger als andere Lobbygruppen Einfluß auf die US-Außenpolitik. Eine Schlüsselposition hält das American Israel Public Affairs Committee (AIPAC), das die Aktivitäten koordiniert. Die Arbeit zeigt Wirkung: Jährlich erhält Israel aus amerikanischen Steuergeldern rund drei Milliarden Dollar, zudem noch Milliarden an privaten Spenden. Seit 1979 flossen rund 70 Milliarden Dollar offizielle Entwicklungshilfe, das meiste davon in Form von Militärunterstützung. Es war George W. Bushs Vater, der im September 1991 öffentlich den Druck jüdischer Organisationen ansprach: "Es gibt auf dem Kapitalhügel eintausend Lobbyisten, die im Kongreß um Kreditgarantieren für Israel werben", klagte er.

Traditionell stehen die meisten jüdischen Wähler eher links. An den Republikanern stört sie deren enger Kontakt zur christlichen Rechten. Repräsentanten der Christian Coalition wie Pat Robertson schwafeln bei Gelegenheit zwar ungeniert von einer "zweihundertjährigen jüdisch-freimaurerischen Verschwörung", gleichzeitig sind sie aus bibeltechnischen Gründen feuereifrige Unterstützer Israels - und natürlich auch lautstarke Befürworter eines neuen Golfkriegs. Lind sieht da eine Allianz von protestantischen Fanatikern und "radikal-zionistischen Rechten" am Werk, die den Friedensprozeß im Nahen Osten gefährde.

Während unter den Intellektuellen noch der Streit um die moralische Bewertung eines Angriffs auf den Irak tobt, nimmt die Öffentlichkeit den drohenden Krieg schon als fast unvermeidbar hin. Sie stellt nun handfeste Fragen, vor allem: Was wird das alles kosten? Eine Studie der Demokraten im Repräsentantenhaus geht für den Fall eines "schnellen Siegs" von etwa 60 Milliarden Dollar aus. Sollte der Irak seine Abwehr an wenigen zentralen Punkten in und um Bagdad konzentrieren, wäre ein stärkeres Bodenengagement notwendig. Die Kosten, schätzen die Analysten des Congressional Budget Office, würden sich dann auf 140 Milliarden Dollar belaufen, also nur 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Also ein Fall für die "Portokasse"?

Eine weit weniger günstige Gegenrechnung präsentiert William D. Nordhaus in der aktuellen Ausgabe der New York Review of Books. "Es scheint wahrscheinlich, daß die Amerikaner die ökonomischen Auswirkungen unterschätzen, die ein Krieg gegen den Irak mit sich bringt", warnt der Yale-Wirtschaftsprofessor. Neben den direkten Ausgaben für den Kampfeinsatz dürfe man die Belastungen durch ein eventuell jahrelanges Besatzungsregime nicht vergessen, dazu kämen Ausgaben für Wiederaufbau, "nation building" und humanitäre Hilfe. Als dicksten Brocken, den die Bush-Administration verkenne, nennt Nordhaus die indirekten negativen Auswirkungen des Krieges auf den Ölmarkt und die amerikanische Konjunktur. Im schlechtesten Fall, wenn die Beseitigung Saddams nicht so glatt wie erhofft laufe, sieht er Gesamtkosten von rund 1,6 Billionen Dollar auf die US-Volkswirtschaft zukommen.

Foto: US-Präsident George W. Bush, Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice (l.), Vize-Verteidigungsminister Paul Wolfowitz (r.): "Jeden Tag reißen wir die alte Ordnung ein"


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen