© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    49/02 29. November 2002

 
Schröder war Schüssels unfreiwilliger Wahlhelfer
Österreich: Kanzlerpartei ÖVP erringt überwältigenden Wahlsieg / Absturz der FPÖ / Rot-Grün trotz Stimmengewinnen Verlierer
Gustaf Domberg

Es war ein Erdrutsch und ein politisches Erdbeben ohne Beispiel in der Nachkriegsgeschichte der Alpenrepublik: die Österreicher wählten ein neues Parlament und bescherten dem amtierenden Bundeskanzler und ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel, der bisher eher als Verlierer galt, den größten Wahlsieg: Österreichs Christdemokraten wuchsen von 26,91 auf 42,27 Prozent. Zum ersten Mal seit über drei Jahrzehnten wurde die ÖVP, die 1999 noch auf Platz drei hinter Sozialdemokraten und Freiheitlichen landete, wieder mit deutlichem Abstand vor der SPÖ stärkste Kraft in Österreich.

Das aber war nur möglich, weil der Koalitionspartner Schüssels, die FPÖ, von den Wählern mit einer gleichfalls erdrutschartigen Niederlage bestraft wurde: die FPÖ stürzte von 26,93 auf 10,16 Prozent der Stimmen - selbst in Haiders Kärnten gab es nur noch 24 statt 39 Prozent. In Wien war der Absturz am deutlichsten: von 25 auf magere acht Prozent. Anderswo hätte man von einem haushohen Sieg der Linken sprechen müssen, doch nicht so in Österreich, wo bekanntlich die Uhren doch etwas anders gehen als im Vaterland der deutschen "Nordlichter".

Die von Haiders Freiheitlichen Enttäuschten gingen größtenteils nicht ins Lager der Sozialdemokratie und schon gar nicht zu den Grünen. Vielmehr wählte eine überwältigende Mehrheit - über eine halbe Million Stimmen - die christdemokratische Kanzlerpartei und deren Chef, der bisher (halb herablassend) als "kleiner Prinz" tituliert wurde.

Dieser 57jährige "Prinz" hatte seinen großen Tag: er hatte (fast) alle Ziele erreicht: Haiders FPÖ war nur noch ein Trümmerhaufen, Haider selber offensichtlich vom Ausmaß der Niederlage schwer verstört, so daß er wieder einmal seinen Rücktritt ankündigte, ihn dann aber wieder zurücknahm. Die SPÖ unter dem hölzernen Alfred Gusenbauer legten zwar von 33,15 auf 36,90 Prozent zu, aber das war nur ein Trostpreis.

Die medial genährte Hoffnung, wieder Kanzlerpartei zu werden, zerstob. Das Hereinnehmen von weit linksstehenden Quereinsteigern - dem als Wissenschaftsminister gehandelten Fernsehmoderator Josef Broukal und der burgenländischen evangelischen Superintendentin Gertraud Knoll - ins rote Schattenkabinett schreckte die Wechselwähler ab. Viele SPÖ-Sympathisanten zeigten sich von solchen Linksauslegern, die dazu noch intellektuell über die Köpfe der Menge hinwegredeten, eher schockiert. Da hatte Schüssel ein ganz anderes Gespür: er warb in einem politischen Husarenritt der FPÖ im fliegenden Wechsel den einstigen Haider-Liebling und Strahlemann der Nation, Karl-Heinz Grasser ab. Die FPÖ schäumte über den Verrat (den Grasser jetzt mit dem Parteiausschluß zu bezahlen hat), aber Schüssel erreichte sein Ziel: Schwankende FPÖ-Wähler orientierten sich an Grasser und stimmten für Schüssels ÖVP.

Schüssel als Bollwerk gegen Rot-Grün gewählt

Entscheidend für die letztendliche Niederlage der "Roten" war aber, daß SPÖ-Spitzenkandidat Alfred Gusenbauer sich zu spät von der rot-grünen Option distanziert hatte. Als die Österreicher Schüssel wählten, wollten sie damit nicht zuletzt Rot-Grün verhindern. Millionen von Österreichern sehen über Satellit und Kabel sämtliche deutsche Fernsehkanäle. Man ist also ziemlich genau über die Zustände beim "großen deutschen Bruder" informiert - und möchte auf keinen Fall mit dem gleichen rot-grünen Chaos wie in Berlin beglückt werden.

Deshalb kam die Sozialdemokratie nicht recht vom Fleck, und deshalb stiegen die Grünen von 7,40 auf nur 8,96 Prozent. Und das trotz des endgültigen Absturzes des links-linken "Liberalen Forums" von 3,65 auf 0,97 Prozent. Vom "größten Wahlsieg ihrer Geschichte", den Grünen-Chef Alexander van der Bellen prophezeit hatte, blieben sie weit entfernt. Auch sie wurden teilweise Opfer der abschreckenden deutschen Zustände.

Wie aber kam es zum Debakel der FPÖ? Zum einen zeigte sich, daß Haider mit seiner populistischen Oppositionspolitik die eigenen Fronten überdehnt hatte. Als es zum Schwure - nämlich der Regierungsbildung kam, stellte sich heraus: die FPÖ hatte zu wenig qualifizierte, ministrable Leute zur Verfügung. So kam es, daß Haiders frühere Pressesekretärin, die einst dem Chef die Termine gemacht und Kaffee gekocht hatte, sich plötzlich als Vizekanzlerin wiederfand - oder der knapp 30jährige Grasser zum Finanzminister avancierte. Dabei waren das nicht einmal die fragwürdigsten Ernennungen: andere freiheitliche Minister wechselten so schnell, innerhalb von Monaten, daß man sich kaum ihre Namen merken konnte.

Im Sog von Haiders Erfolg waren in die Partei auch zahlreiche Glücksritter und Opportunisten geraten. Obwohl die FPÖ unter Haider den Kampf gegen Privilegien auf ihre Fahnen geschrieben hatte, gab es plötzlich in den eigenen Reihen Privilegienritter, die ohne die geringsten Qualifikationen auf hohe öffentliche Ämter gehievt wurden und von dort zum Teil unter skandalösen Begleiterscheinungen wieder verschwanden. Mitten im Eifer des Regierens zeigte sich, daß Haider - ein Egozentriker, der um sich keine wirklichen Gesprächspartner auf gleicher Ebene sehen will - im Grunde mit die Axt an die Fundamente seiner Partei gelegt hat. Es stellte sich als schwerer Fehler heraus, noch so "loyale" Sekretär(-innen) und Schleppenträger auf hohe Posten zu hieven und zu glauben, man könne sie vom fernen Klagenfurt aus bis Wien fernsteuern. Die bisherigen Diener und Lakaien saßen nun auf hohen Rössern. Sie brauchten Haider nicht mehr.

Haider erwies sich einesteils als durchaus geniales politisches Talent, zugleich aber als Ein-Mann-Unternehmen, der niemand neben sich duldete. Als er merkte, daß seine Adepten ihm entglitten, wollte er eingreifen; aber da war es zu spät. Sein Rivale Schüssel hatte das bessere taktische Gespür.

Wie sich die FPÖ auf wesentlich niedrigerem Niveau stabilisieren wird, steht noch in den Sternen. Inzwischen kursieren Gerüchte und anonyme Dossiers angeblicher FPÖ-Mitglieder, die vom "größten Verrat der zweiten Republik" sprechen. "Was in der letzten Zeit in der FPÖ abläuft, ist ein von langer Hand geplanter Zerstörungsfeldzug ... Die maßgeblichen Planer dieser Zerstörung ... waren bis vor kurzem noch im innersten Führungskreis der FPÖ selbst zu finden ... sie haben einflußreiche Hintermänner. Da sind Medienmacher und Wirtschaftskapitäne ... Sie haben Geld und Einfluß genug, um Menschen ... leider auch innerhalb der FPÖ kaufen zu können. Und sie haben die Macht, eine Partei und Personen, die nicht ins Konzept passen, einfach zu zerstören", heißt es in einem der Pamphlete.

"Ich habe immer daran geglaubt, daß wir, wenn's drauf ankommt, alle an einem Strang ziehen. Aber (Vizekanzlerin) Riess-Passer und (Ex-Klubobmann) Westenthaler, der Oberintrigant und (Finanzminister) Grasser, der skrupellos seine Karriere vor alles andere stellt, haben ihre eigene Suppe gegen die Partei gekocht und für ihren persönlichen Vorteil alles zerstört", so ein frustriertes FPÖ-Mitglied. Sollte das alles zutreffen, dann hat sich Haiders Partei derart an die Wand spielen lassen, daß man am taktischen und strategischen Urteilsvermögen der Protagonisten zweifeln muß.

Die Frage heißt jetzt: Wird in kurzer Zeit eine geschrumpfte, aber innerlich gefestigte FPÖ in der Lage sein, auch unter demütigenden Bedingungen eine neue Koalition mit dem siegreichen Schüssel einzugehen - oder wird die Partei daran zerbrechen?

Kommt es aber zu einer großen - schwarz-roten - Koalition, würde sich die Frage stellen, ob der siegreiche Kanzler dann in der Lage wäre, den Wählerauftrag zu erfüllen. Österreich wäre wieder da, wo es schon vor 1999 gewesen ist. Dem siegreichen Schüssel stehen schwere Entscheidungen bevor.

 

Foto: Parteichefs Van der Bellen, Schüssel, Gusenbauer, Haupt: Ein klarer Sieger und drei Verlierer


 
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