© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/02 22. November 2002

 
Pankraz,
der Poetry Slam und die Glatze des Äschylos

Nun hat sich Pankraz auch dieses angetan: Er besuchte in München den "6. German Poetry Grand Slam", das ist die Deutschlandmeisterschaft der Lyriker, die Aufgipfelung aller regionalen "poetry slams", wo die Lyriker zur nationalen Endausscheidung antreten. Das Münchner Treffen war ein alptraumhafter Vorgang, des Nachts in einem katakombenartigen Bierkeller zelebriert, man sah kaum etwas, die Lyriker vorn kreischten rapperartig ins Mikrophon, das Publikum grölte, pfiff und klatschte. Aber das Fernsehen war da, es gab die üblichen Statements, der Sieger durfte eine gewaltige Flasche Schnaps mit nach Hause nehmen.

Lyriker sind furchtbare Menschen. Man kann mit ihnen kein vernünftiges Gespräch führen, sie wollen immer gleich etwas vorlesen, bzw. vortragen, wollen wie kleine Kinder einen "Fund" vorzeigen, eine Formulierung, eine Metapher, einen Vers oder Reim. Die Münchner "Slammer" machten da keine Ausnahme, nur gaben sie sich gröber und abgebrühter als der lyrische Durchschnitt. Sie knallten ihre Worte wie Torschüsse ins Publikum, und wenn sie danebenschossen, d. h. wenn ihnen Hohn und Gelächter zurückschallten, so reagierten sie wie angepiekste Arena-Stiere, beschimpften die Leute, daß sie keine Ahnung hätten.

Pankraz durchschaute nicht die Auswahlmechanismen, die die einzelnen Teilnehmer zur Endausscheidung geführt hatten. Lyriker aus den Sonntagsbeilagen waren nicht zu hören, weder Durs Grünbein noch Wolf Wondraschek noch Robert Gernhardt (obwohl die beiden letzten gut hierher gepaßt hätten), dafür aber junge Brillenträger vom Typ "dichtender Gymnasiast", glatzköpfige Rapper, die es offensichtlich zu Höherem zog, stellungslose Schauspielerinnen, unternehmenslustige Omas mit Johannistriebchen, die beim Vortragen mit den Hüften wackelten und kokett den Rocksaum anhoben. Um es zu wiederholen: Es war ein Alptraum.

Trotzdem konnte man dem Abend eine gewisse rauschartig-dionysische Aura nicht absprechen. Er war geistiger als musikalische "Pop-Events" und sinnlicher als die üblichen Dichterlesungen im Literaturhaus oder in der Stadtbibliothek. Die Atmosphäre glich der eines Fußballspiels, und Pankraz mußte daran denken, daß es bei den großen Treffen der Chorlyriker in der griechischen Antike kaum anders zugegangen sein dürfte.

Auch damals jubelten oder höhnten die Massen, es kam an auf kräftig-deftige, auch grobe Worteffekte, die nach genau den gleichen Kriterien prämiert wurden wie die Olympiasiege nebenan. Sportler und Lyriker - beide verausgabten sich, gaben ihr Letztes und empfingen dafür den Siegeslorbeer.

Nur war es damals eine Frühzeit, die Sprache war noch jung und wagte sich gerade erst in emphatische Formulierungen diesseits der priesterlichen Gottesdienste vor. Jedes neue Wort war ein Kollektivfund, der Lyriker und Volk gleichermaßen begeisterte, weil sofort bereicherte, und der Jubel über ihn war allgemein und ohne jede Differenz.

Beim "poetry slam" in München ging es genau umgekehrt zu. Jeder Ansatz zu emphatischem, feierlichem oder auch nur neuartigem Sprechen wurde sofort behöhnt und niedergebrüllt. Das Publikum wollte nur hören, was es schon lange wußte und wovon es von vornherein überzeugt war, und die Lyriker beugten sich dem Druck, übten sich in lingua pedestris, Massenjar-gon, fäkalischer Rapperei. Es hatte schon seinen Grund, daß die Gymnasiasten und die zu kurz gekommenen Omas dominierten und die guten Lyriker sich rar machten.

In welch fataler Position aber befindet sich der gute Lyriker! Er geht nicht zum Slam, sitzt statt dessen einsam am Schreibtisch und feilt an erlesenen rhythmischen Formulierungen. Und dann plötzlich, wenn er den Kopf von der Arbeit aufhebt, steht vor ihm - wie in einem (wirklich guten) Gedicht von Enzensberger - ein Engel, lächelt ihn an und spricht zu ihm: "Mein Lieber, du kannst dich noch so sehr abstrampeln, es ist alles vergebens. Alles, was du da aufschreibst, ist weniger wert und hat weniger Bestand als die wechselnden Farben des Himmels."

Der Lyriker in dem Gedicht kann darauf nichts antworten, will es auch gar nicht. Er schaut den Engel ernst an, wartet, bis sich dieser wieder in Luft auflöst, und fährt danach mit seiner Arbeit fort. Das ist immerhin ein Ausweg. Schlimmer erging es in der Antike dem großen Dichter Äschylos, der die Chorlyrik zur veritablen Tragödie fortentwickelte und auch bekannt war wegen seiner ausladenden, spiegelblanken Glatze.

Einmal, als Äschylos spazieren ging und dabei über eine neue Tragödie nachdachte, ließ ein Steinadler eine Schildkröte, die er gerade gefangen hatte, auf diese Glatze des Äschylos fallen, wodurch der Dichter zu Tode kam. Der Adler hatte die Glatze für einen runden Stein gehalten und die Schildkröte auf sie geworfen, um damit ihren Panzer aufzuknacken und an ihr zartes Fleisch heranzukommen.

Es geht aber die Legende, der Adler habe gar nicht das Fleisch der Schildkröte essen wollen, er sei in Wirklichkeit eine Inkarnation der Göttin und Zeustochter Erato gewesen, der Muse der Lyrik, die Äschylos nicht vergeben konnte, daß er den Chorgesang definitiv in die Tragödie umgewandelt und damit die Lyrik ihrer dionysischen Spontaneität und Massenwirkung beraubt hatte. In ihrer Tat lag Hohn. Das Einzige, so wollte sie zeigen, was in den Augen der Menschen und Tiere an Äschylos, nachdem er sich von der Chorlyrik abgewandt hatte, noch gut und scheinbar brauchbar war, sei seine Glatze gewesen, ein Fleischöffner, der jedoch unterm Anprall der Schildkröte schmählich zerplatzte.

Nun, wir wissen es besser. Keinem Lyriker, der sich dem "poetry slam" verweigert, sollte die Glatze geknackt werden, auf daß sich seine Gedanken und Verse auf Nimmerwiedersehen in alle Winde zerstreuen. Die Slammer ihrerseits müssen erst einmal zeigen, ob sie überhaupt etwas unter der Glatze haben.


 
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