© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    47/02 15. November 2002

 
Eine himmlische Liebe
Ausstellung: "Amor und Psyche" in Bayreuth
Konrad Pfinke

Im Jahre 1962 wurden die Druckstöcke der Reste eines der bemerkenswertesten Kunstbücher des 19. Jahrhunderts entdeckt: nicht weniger als 44 Illustrationen zum Märchen von Amor und Psyche, die Edward Burne-Jones zu einem Text seines Künstlerfreundes William Morris hergestellt hatte, erblickten nach jahrzehntelangem Dornröschenschlaf das Licht der Welt. Nun sind sie im Kunstmuseum Bayreuth zu sehen, wo die Holzstichfolge von einem der eindrucksvollsten Pläne der Kunstbuchgeschichte zeugt.

Ursprünglich nämlich gedachten Burne-Jones und Morris, der den lateinischen Text des Apuleius in englische Verse übersetzt hatte, ein riesig dimensioniertes Buch herzustellen: "The Earthly Paradise". "Das irdische Paradies" sollte ein Zyklus von nicht weniger als 24 Geschichten mit Holzstichen werden. Zusammen sollten 200 bis 300 Illustrationen die poetischen Nacherzählungen tradierter literarischer Vorlagen ergänzen, und das alles im Geist des reinsten Präraffaelitentums, also jener spezifisch englischen Spätromantik, die zugleich zu einem der wichtigsten Vorläufer auch und gerade des deutschen Jugendstils werden sollte. Die englische Bewegung der Präraffaeliten wiederum wurde wesentlich beeinflußt von den Deutschrömern Friedrich Overbeck und Peter Cornelius, den Häuptern der Nazarener - so schlossen sich die Kreise.

Bei der Verwirklichung des Unternehmens standen dem Dichter und dem Künstler wohl auch ihr Qualitätsbewußtsein im Weg, denn die "arts and craft"-Bewegung, die die industrielle Produktionsweise als Tod der Kunst brandmarkte, stellte derart hohe qualitative Ansprüche an Material und Form, daß man über die eine, doch sehr berühmte Geschichte nie hinauskam. "The Story of Cupid and Psyche", die 1865 lediglich als Probedruck herauskam, ist somit das einzige Zeugnis des "Buchs, das niemals war".

Burne-Jones orientierte sich bei seiner graphischen Arbeit vor allem an der Ästhetik der italienischen Renaissance. Seine Venus ist unübersehbar an Botticellis berühmter "Geburt der Aphrodite" orientiert, wie der Schnittstil und die geplante Blattaufteilung sich am geschmackvollen Strich und der Druckkunst der Frühdrucke des 15. Jahrhunderts orientierten - und doch besitzt die Folge der 44 Stiche zuweilen etwas ausgesprochen Modernes. Man mag bei manch extremer Perspektive, bei manch origineller Bildfindung (der fliehende Amor, dessen Füße nur noch aus der Tür ragen; Psyche, die die Schlünde der Hölle betritt) sogar an das Medium des Comic-Strips denken.

Die technische Souveränität des Stechers war im übrigen der besten Tradition verpflichtet: Selbst die ausgezeichneten Reproduktionen des Katalogbandes vermögen nicht die Schärfe des Strichs wiederzugeben. So muß man wohl nach Bayreuth fahren, um einen Bildzyklus des neunzehnten Jahrhunderts in Augenschein zu nehmen, der selbst als Fragment noch von der Großartigkeit des sehr irdisch gescheiterten Unternehmens zeugt - allein auch Amor und Psyche konnten ja ihre Liebe nur im himmlischen Paradies verwirklichen.

Die Ausstellung ist bis zum 12. Januar 2003 im Kunstmuseum Bayreuth, Maximilianstr. 33, täglich außer montags von 10 bis 17 Uhr, Mi. bis 20 Uhr, zu sehen.


 
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