© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    47/02 15. November 2002

 
Die Nerven liegen blank
Kulturkampf in der Oberlausitz: Theater in Bautzen, Görlitz und Zittau sollen fusionieren
Paul Leonhard

Frisch saniert präsentiert sich das ehrwürdige Musiktheater der Stadt Görlitz seit einigen Wochen. Allerdings mußten die Zuschauer nach der Wiedereröffnung feststellen, daß sich die Sicht zur Bühne von einer erheblichen Zahl von Plätzen nicht verbessert, sondern sogar verschlechtert hatte. Schuld daran sind fehlende Abstimmungen und der Zeitdruck, dem die Bauleute ausgesetzt waren. "Es scheint als wäre dem Architekten und den Projektanten nicht mitgeteilt worden, daß nicht nur Musiktheater, sondern auch Schauspielinszenierungen auf der Bühne und im Saal gezeigt werden", faßt Lutz Hillmann, Intendant des Deutsch-Sorbischen Volkstheaters Bautzen, seine Eindrücke in einem Brief an seinen Görlitzer Amtskollegen, Michael Wieler, zusammen. Der Austausch von Aufführungen wäre nicht einfacher geworden. Hillmann teilt weiter mit, daß einige Bautzener Inszenierungen in der niederschlesischen Metropole "höchstwahrscheinlich nicht umsetzbar sind". Zum gleichen Zeitpunkt begehen die Menschen im 35 Kilometer entfernten Gerhart-Hauptmann-Theater Zittau den 200. Geburtstag ihres Bürgertheaters mit gemischten Gefühlen. Weil Landkreise und Städte sparen müssen, liegen bei den Theaterfreunden in Ostsachsen die Nerven blank.

Denn just im Jubiläumsjahr ist die erst nach der friedlichen Revolution 1989 wieder erkämpfte Eigenständigkeit der Theater Zittau und Görlitz gefährdet. 25 Jahre hatten beide Einrichtungen in einer für beide wenig ergiebigen Zwangsehe leben müssen. An diese will nun der Konvent für den Kulturraum Oberlausitz-Niederschlesien, ein Gremium, das sich aus Landräten und Oberbürgermeistern zusammensetzt, anknüpfen.

Die Theater Bautzen, Görlitz, Zittau sowie die Lausitzer Philharmonie sollen ab 31. Dezember 2002 zu einem Kulturraumtheater fusionieren. So sieht es ein Mitte September gefaßter Beschluß des Kulturkonvent vor. Die dann existierende Mehrspartentheater GmbH mit Musiktheater und einem Schauspiel soll an zwei Standorten produzieren und in der Anfangszeit mit einem Etat von rund 15 Millionen Euro subventioniert werden. Derzeit stehen den Einrichtungen 16,5 Millionen Euro zur Verfügung. Von den bisher 389 Stellen sollen 54 Stellen wegfallen, Werkstätten und Verwaltung zusammengelegt werden. Technik soll ausgetauscht und eine Geschäftsführung für die verschiedenen Institutionen gebildet werden. Für das Publikum gebe es keine merklichen Veränderungen, verspricht Bernd Lange, Landrat des Niederschlesischen Oberlausitzkreises und Sprecher des Konvents. Der Zittauer Intendant Roland May, der die Schließung des Kleist-Theaters in Frankfurt/Oder miterlebte, spricht dagegen ganz offen vom "Zentralisierungswahn" des Kulturkonvents.

Darüber wo eingespart werden soll, herrscht Streit. Die Schauspielhäuser Bautzen und Zittau sehen vor allem im Musiktheater Görlitz größere Einsparpotentiale. Überhaupt ist Görlitz gefährdet, denn während hinter dem Bautzener Haus die Stiftung für das Sorbische Volk und hinter dem Standort Zittau ein Landkreis, der verkehrsmäßig weitgehend abgeschnitten im Dreiländereck liegt, stehen, ist das Musiktheater allein auf die kreisfreie Stadt Görlitz angewiesen, während die Philharmonie zusammen mit Hoyerswerda finanziert wird. Aber auch diese Stadt hat bereits signalisiert, bei der Kultur sparen zu müssen. Während der Konvent fordert, daß für Görlitz ein Stagionebetrieb reichen würde, bei dem Künstler nur für einzelne Inszenierungen engagiert werden, verlangen die Niederschlesier vor allem Einsparungen beim Schauspiel. Nach diesen Vorstellungen soll es in Zittau nur noch ein Kinder- und Jugendtheater geben.

Für den Bautzener Intendanten Hillmann ist es dagegen durchaus vorstellbar, daß es für die Häuser Bautzen und Zittau nur noch ein Ensemble gibt. Voraussetzung müsse allerdings sein, daß nach wie vor an beiden Standorten produziert wird. Bei dieser Variante sieht Günter Vallentin, Landrat des Kreises Löbau-Zittau, aber die Existenz des Gerhart-Hauptmann-Theaters gefährdet. Zumal nach dem Plan des Kulturkonvents vorgesehen ist, daß in Zittau lediglich die kaufmännische Leitung der künftigen Mehrspartentheater GmbH zu Hause sein soll. Die Gesellschaft und die Schauspielleitung sollen ihren Sitz dagegen in Bautzen haben. Für Görlitz ist die musikalische Leitung vorgesehen.

Dieses Szenario wollen die Zittauer nicht mitspielen. Deswegen wehrt man sich mit aller Macht gegen die Zwangsfusion. Ende Oktober stimmten alle Fraktionen des Landkreis Löbau-Zittau für den Alleingang. Der Landrat soll Konzepte prüfen, wie Landkreis und Stadt Zittau das Theater notfalls allein betreiben können. Immerhin kann man auf eine 80prozentige Auslastung verweisen. "Unsere Karten sehen nicht schlecht aus", sagt Vallentin zuversichtlich. Am Bestand des Zittauer Theaters gebe es für ihn keinen Zweifel. Als Untermauerung ihrer Zuversicht hat sich die Stadt im Dreiländereck den Neubau einer eigenen Theaterwerkstatt geleistet, der Ende des Jahres fertig sein soll. "Wir akzeptieren nicht die Schließung eines funktionierenden Theaters für den Neubau und die Stützung nicht wirtschaftlicher Einrichtungen", heißt es süffisant im Positionspapier des Kreistages Löbau-Zittau. Ein Hinweis auf die Situation in Bautzen, wo das Theatergebäude dringend saniert werden muß und nur noch mit Sondergenehmigung der Bauaufsicht überhaupt für den Spielbetrieb geöffnet werden darf.

Trotzdem finden in der Spreestadt ähnliche Planspiele wie in Zittau statt. Hier könnten sich Theater und das Sorbische National-Ensemble vereinigen. Stiftungsdirektor Marko Suchy wäre das recht, denn dann würden die sorbischen Interessen mehr Berücksichtigung finden als in einem Kulturraumtheater. Wenn es bis Jahresende nicht zu einer Theaterfusion in der Oberlausitz kommt, droht der Bautzener Landrat Michael Harig, "werden wir einen eigenen Weg gehen müssen".

Fototext: Gerhart-Hauptmann-Theater in Zittau: Mit aller Macht wehrt sich der Landkreis gegen eine Zwangsfusion


 
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