© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    47/02 15. November 2002

 
Zum Riesen aufgebläht
Betretenheit macht Zwerge: Die Nachrufe auf Rudolf Augstein wirkten streckenweise recht bemüht
Wilhelm Setzer

Rudolf Augstein ist tot. Der Mann richtete vieles aus, an und zugrunde. Für seine Nachrufer freilich kann er nichts. Die schauten jetzt betreten aus der Wäsche und stellten die Frage, die sich überhaupt nicht stellt: War er ein Großer? Gewiß, er war mächtig, ein toller Journalist und Bismarck-Verehrer. Gern gab er den Nachkriegsmephisto. Man fürchtete den kleinwüchsigen Pressedespoten, natürlich, aber groß? Reich-Ranicki bekennt in seiner stets offenen Unglaubwürdigkeit, er könne den Degen nicht senken, da er gar keinen habe, nur selber halt ein Haudegen sei. Aber er verneige sich schön und verzichte für ein paar Gedenkminuten auf seinen berüchtigten Holzhammer.

Auch Wolf Biermann hat mit dem Verstorbenen einst häufig telefoniert, jener Biermann, den mit Augstein stets die gemeinsame Heine-, Börne- und Tucholskytradition verbunden habe. Aber statt aus diesem blechernen Füllhorn zu klönen, mißbraucht der Barde die Gelegenheit eines Nachrufs, um alte Märchen aus seinem Rotkäppchenleben zu verbreiten. Rudi Dutschke habe ihn einmal ganz aufgeregt angerufen, wegen Freund Havemann. Er, Biermann, solle bei Augstein intervenieren, um die Veröffentlichung eines Artikels über Robert Havemann zu verhindern. Augstein habe Biermanns Bedenken zugestimmt - und ihn dann abblitzen lassen.

Nein, den alten Pappkameraden aus gemeinsamen Tagen fiel verdammt wenig ein. Nicht eine Anekdote, die wenigstens den inneren Schweinehund extra begrübe. Die kleinsten und gröbsten seiner Günstlinge und Bekannten meldeten sich in großer Zahl zum frommen Nach-Tarock. Sie übertrieben und türkten ihren Sermon so lange, bis die Verwandlung des zynischen Zwergs zum alles und jeden überragenden Riesen halbwegs hingebogen war. Kein Wunder also, daß sich die Zu-klein-Geratenen bei der Lobpreisung dessen, der alles mögliche, bloß gewiß kein Held war, sehr schwer taten.


 
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