© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    47/02 15. November 2002

 
Pankraz,
der Westen und das Konsumistische Manifest

Darauf haben wir gewartet. Soeben ist (im Münchner Wilhelm Fink Verlag) "Das konsumistische Manifest" erschienen, das nicht nur das weiland Kommunistische Manifest von Marx und Engels konterkarieren will, sondern dazu auch gleich noch die Bibel einschließlich sämtlicher Apokryphen und Folge-Offenbarungen, z. B. des Korans. Der Konsumismus/Kapitalismus, verkündet sein Manifestant Norbert Bolz, Philosophie- und Medienprofessor in Essen, ist die einzige heute und morgen noch mögliche Religion, das neue Evangelium, das jedem sagt, wo's lang geht. Shopping ist der neue Gottesdienst, und wer das nicht glaubt, ist entweder ein islamischer Selbstmordattentäter oder ein total vertrottelter westlicher "Kulturkritiker", "Gutmensch", "Humanitätsdusel".

Ist aber die Zeit für Manifeste, für emphatische Kundmachungen, für Offenbarungen, nicht längst vorbei? Macht man sich nicht nur noch lächerlich, wenn man sich auf den Marktplatz stellt und etwas "verkündet"? Auch Bolz sieht das so, doch gerade deshalb hat er sein Konsumistisches Manifest losgelassen. Es verkündet das Ende aller Manifeste. Denn Manifeste sind Denkarbeit, das Konsumistische Manifest hingegen "entlastet den Verbraucher. Er kann das Denken durch Kaufen ersetzen und mit dem Kauf Ideen signalisieren, etwa so, wie man eine Flagge hißt".

Das Konsumistische Manifest ist also ein Endspiel. Es rafft noch einmal - ähnlich wie seinerzeit das Kommunistische Manifest - alle kurrenten Thesen und rhetorischen Figuren zusammen, um sie im Nichts der Müllkippe verschwinden zu lassen; das ergibt momentweise schöne Konklusionen und hübsche Witze, aber die Botschaft ist deprimierend und immer wieder gleich: Das Denken soll abgeschafft, soll durch Kaufen ersetzt werden. Und alle Menschen sollen darob jubilieren und sich endlich als wahrhaft befreite und befriedete empfinden.

Zitat aus dem Konsumistischen Manifest: "Die Friedfertigkeit der Existenz, die vom Markt ausgeht, setzt universale Geldwirtschaft voraus. Unter diesen Bedingungen ist aber nur ein einziger Lebensstil massendemokratisch möglich, nämlich der Konsumismus. Der Konsumismus ist das Immunsystem der Weltgesellschaft gegen den Virus der fanatischen Religionen."

Alle übrigen Äußerungsformen des kapitalistisch-konsumistischen Westens, das In-Stellung-Bringen der "Menschenrechte", die "Nächstenliebe" (Agape), der "innerreligiöse Dialog" usw., werden von Bolz, durchaus scharfsinnig, als Mogelpackungen des Konsumismus dekouvriert, als nur scheinbar überparteiliche, nur scheinbar für alle Kulturen akzeptable Perspektiven, die den blinden Fleck im eigenen Auge nicht sehen. Der Konsumisus, darüber läßt sein Manifest nicht den geringsten Zweifel, ist ein Macht- und Herrschaftsinstrument des Westens, Resultat einer spezifisch westlichen Rationalität, die sich weltweit durchsetzen möchte, wenn nicht gewaltsam, so eben, indem sie ihrerseits Viren ausstreut, die Viren der Verführung zum denkunabhängigen Konsum.

Natürlich gibt es auch im total durchgesetzten Konsumismus eine "herrschende Klasse". Es sind nicht mehr die Priester und Krieger und nicht einmal mehr die Kapitalisten im eigentlichen Sinne, sondern es sind die professionellen Werbe- und Marketing-Strategen, die nun gar nicht mehr geheimen "Verführer", die mit den Mitteln der Banal-Psychologie das menschliche Begehren zu immer neuen Käufen aufreizen und es nicht dulden wollen, daß die "Kulturkritiker" den Käufern ein schlechtes Gewissen einblasen, sie zu alten, abgelegten Religionen (Christentum, Islam, Humanismus) zurückholen.

"Verführer gegen Denker, Werbung gegen Kulturkritik". So lautet die Bolzsche Beschreibung künftiger "Klassenkämpfe". Das Herrschaftswissen der Verführer besteht in der Einsicht, daß der Mensch nicht (oder nur phasenweise) Objekte der Begierde begehrt, sondern das Begehren selbst, so daß er wie organisch von einem Kauf zum anderen gleitet und schließlich seine ganze geistkörperliche Trieb- und Seinsstruktur in Geld gemessen und kaufmännisch funktionalisiert werden kann. Das Konsumistische Manifest wirbt für diese Totalität, es stellt sie aber auch - genau wie seinerzeit das Kommunistische Manifest den Kommunismus - als unabwendbares Schicksal hin, als die menschliche Gesetzmäßigkeit an sich und überhaupt.

Weiter versucht es, ebenfalls wieder nach dem Vorbild von Marx und Engels, einen Bezug zur aktuellen Politik zu gewinnen. Wer nicht für den Konsumismus ist, dekretiert es, der ist dem "Antiamerikanismus" verfallen, denn Amerika in seiner gegenwärtigen Verfassung sei das Ur- und Vorbild aller braven Konsumisten, von ihm kämen die entscheidenden Thesen und die zugehörige Sprache. Das Konsumistische Manifest ist demgemäß in einem Slang aus Deutsch und amerikanischem Englisch verfaßt, englische Zitate ziehen sich über halbe Seiten hin und werden nicht übersetzt. Auch unter diesem Gesichtspunkt bietet es eine deprimierende Lektüre.

Humanisten, Ethnopluralisten, Sprachpfleger und Kulturkritiker dürften sich aber schwerlich einschüchtern lassen. Der Konsumismus mag sich bei Bolz noch so sehr "ausdifferenzieren", er bleibt trotzdem nur eine, mag sein wichtige, Facette unseres Lebens. Ausdifferenzierung heißt nicht Totalisierung. Totalität kann man nicht gewinnen, man kann sich nur scheinhaft zur Totalität aufblähen, und zwar auch nur so lange, bis die Blase platzt.

Das Konsumistische Manifest hat viel mit der "New Economy" seligen Andenkens zu tun, deren Blase bekanntlich bereits zerplatzt ist. Das von ihm in den Mittelpunkt gerückte unstillbare Begehren käuflicher Dinge, das Begehren immer neuer "Thrills" und Shopping-Abenteuer - sollte es seinen historischen Tag schon wieder hinter sich haben? Was seinen Tag dagegen nie hinter sich bringen wird, ist das Begehren ordentlichen Denkens und Versprachlichens. Dieses braucht nicht extra ein Manifest.


 
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