© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    47/02 15. November 2002


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Lehrstück
Karl Heinzen

Der Preis des Friedens kann der Krieg sein: Dies dürfen wir nicht vergessen, wenn wir in wenigen Wochen die USA vollenden sehen, was sie vor einem Jahrzehnt im Irak begonnen haben. Sicherlich hat ein militärischer Konflikt immer wieder auch sehr unerfreuliche Seiten. Er dämpft die Stimmung der Verbraucher und läßt selbst Unternehmen, die ansonsten doch eher rational kalkulieren, zu einem emotional geprägten Pessimismus neigen. Beides können die entwickelten Zivilgesellschaften angesichts einer stagnierenden Weltkonjunktur momentan eigentlich kaum gebrauchen. Dennoch verhalten sie sich diszipliniert und kooperativ, weil sie im Falle eines erfolgreichen Vorgehens gegen den Irak langfristige Vorteile erwarten dürfen.

Es geht um viel, es geht um eine Welt, in der die Entscheidung über Krieg und Frieden auf jene beschränkt ist, denen man sie nicht nehmen kann. Die Entwicklung des Völkerrechts ist unterdessen weit genug fortgeschritten, um das Recht auf Definition und Durchsetzung eigener Interessen nur noch einem überschaubaren Kreis von Staaten konzedieren zu müssen. Die Alternative wäre keine tragfähige: In einer Welt von nahezu 200 von den Vereinten Nationen konzessionierten Staaten würde, selbst wenn sie dereinst alle vollgültige Demokratien sein sollten, die nackte Anarchie herrschen, wenn sie sämtlich den Anspruch auf Souveränität und Nichteinmischung in ihre inneren Angelegenheiten für sich in Anspruch nähmen. Kein Investor könnte mehr darauf vertrauen, daß seine unter welchen Umständen auch immer legal erworbenen Eigentumsrechte vor willkürlichen Entscheidungen eines sich als Herr über das Schicksal seines Landes aufspielenden Parlaments geschützt wären. Eine Population hingegen, die einsieht, daß ihr keine militärische Bedeutung zugedacht ist, wird sich klüger verhalten und ihre Rolle in der internationalen Arbeitsteilung akzeptieren.

Die meisten Staaten sind schon heute im Prinzip zu dieser Einsicht fähig. Manche sind per se zu klein, um militärische Kapazitäten aufzubauen. Andere wurden im vergangenen Jahrhundert zur Vernunft gebracht. Einigen muß die Chance, zur Besinnung zu kommen, aber erst noch gegeben werden. Der Irak steht auf dieser Kandidatenliste ganz vorne. Diese Priorität genießt er aus zwei Gründen: Er bietet aufgrund seiner Ressourcen die Gewähr, einen gewichtigen Teil der Kriegskosten direkt oder indirekt wieder in die Kasse zu bekommen. Und: Er ist auch ohne Entwaffnung schon schwach genug, um seine Bezwingung zu einem eindrucksvollen Lehrstück werden zu lassen. Viele Staaten, die in ihrem Selbstverständnis der Völkerrechtsentwicklung hinterherhinken, werden genau hinschauen - und hoffentlich die richtigen Schlüsse ziehen. Auch großen Mächten, die sich heute noch mit Recht als Elemente einer multipolaren Ordnung empfinden, kann es nicht schaden, schon einmal einen Blick zu riskieren.


 
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