© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    46/02 08. November 2002

 
Neulich im Internet
Marktlücke
Erol Stern

"Laß es wie einen Unfall aussehen" gebot mir der halbseidene ältere Herr mit dunkler Stimme und ebenso dunklem Anzug, mit dem ich mich im Hinterzimmer einer üblen Spelunke traf. Anschließend verabschiedeten wir uns - ohne den richtigen Namen des anderen zu kennen - er durch die Vordertür, ich durch den Hinterausgang. In meinem "Büro", einem ranzigen Wohnmobil, öffnete ich dann den Umschlag, den mir mein "Kunde" zugesteckt hatte. Ich zählte das Bargeld (steuerfrei) und studierte das beigeliegende Foto einer jungen Frau und den Namen darunter genau. Was sie ihm getan hatte, interessierte mich herzlich wenig. Sodann machte ich mich im Web ans Werk, so wie man es aus unrealistischen Agentenfilmen und Krimis des 20. Jahrhunderts oder dem Anfang dieses Jahrhunderts kennt. Ich besorgte mir erst aus diversen Onlineshops ihre Kontonummern und erschlich mir anschließend die Kreditkartennummern. Zunächst bestellte ich mit letzterer leicht verkäufliche Unterhaltungselektronik an eine fingierte Adresse, sozusagen als "Trinkgeld", und ließ anschließend die Kredikarten sperren, und sämtliche anderen Konten gleich dazu. Seit Papier Mangelware in den Behörden wurde, ist es ein Leichtes, die Existenz meiner Opfer weitestgehend auszulöschen. So kostete es mich in dieser Woche wenig Mühen, ihre Verkehrssünderkartei und die Daten beim Finanzamt zu "frisieren". Arbeit & Mietwohnung? Rente & Leasingauto? Email & Handy? Haha! Seit 2011 bin ich nun einer der dienstältesten Auftragsdatenkiller und habe noch jeden ruiniert, prahlt Euer EROL STERN


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen