© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    46/02 08. November 2002

 
Zweierlei Friedensbewegung
In den USA mehren sich die Stimmen von links und rechts gegen einen möglichen Irak-Krieg
Catherine Owerman

Tauben sind nicht gern gesehen in der Flugverbotszone. Es gibt in den USA eine Friedensbewegung, die gibt es fast gar nicht. Zumindest nicht im Fernsehen. Beiläufig und nur widerwillig berichteten die großen TV-Sender vorletztes Wochenende über die zentrale Kundgebung linker Friedensgruppen in Washington, an der nach Angaben der Veranstalter 150.000 Menschen teilnahmen.

Von der größten Anti-Kriegsdemonstration seit Vietnam erfuhren die amerikanischen Fernsehbürger in ein paar Sekunden Bildersalat mit Wortfetzen, dazu noch Einblendungen einer wirren US-Pazifistengruppe in Bagdad. Immerhin fiel die Nachricht nicht völlig unter den Tisch, wie vor einem Monat geschehen, als der New York Times ein Protestmarsch einiger zehntausend Menschen durch den Central Park keine Silbe wert war.

Seit dem Schock der Terrorangriffe vor einem Jahr fühlen sich die US-amerikanischen Medien zu patriotischer Parteinahme verpflichtet. Kritik lähme, heißt es allgemein, sei nicht schicklich angesichts der Bedrohung durch immer neue Terrorzellen, deren metastasenartiges Wuchern die Medien mit routinierter Hysterie begleiteten. Doch trotz aller geistigen Mobilmachung kühlt der Kriegsenthusiasmus der amerikanischen Massen langsam ab: Nach jüngsten Umfragen ist der Anteil der Befürworter eines präventiven Irak-Kriegs auf 56 Prozent geschrumpft. Je mehr Vollmachten der Präsident erhält, desto lauter ertönt die Kritik.

Freilich sind es vereinzelte Stimmen, die üblichen Nörgler. Neben anderen Linken und Liberalen, die nach dem 11. September zunächst auf Tauchstation gingen, agitierte vorletztes Wochenende der Bürgerrechtler Jesse Jackson am Washingtoner Vietnam Memorial. Jacksons Ruf ist allerdings etwas lädiert, seit ihn die Taliban während des Afghanistankrieges als geeigneten "Vermittler" ansahen und er sich für deren durchsichtiges Manöver beinahe einspannen ließ.

Es gibt in den USA noch eine weitere Anti-Kriegsbewegung, die in den Medien ebenso totgeschwiegen wird. Sie steht rechts, weit rechts vom US-Präsidenten. Bush und seinen "neokonservativen" Ministern werfen sie vor, im Zuge des "war on terror" die amerikanischen Freiheitsrechte einzuschränken. "Es gibt viele altmodische Konservative, die nicht begeistert sind, wie die Regierung die staatliche Gewalt ausdehnt. Diese versucht einen überaus mächtigen Staat mit quasi-faschistischen Tendenzen zu schaffen, und sowas mögen Konservative nicht", gab der linke Sprachforscher Noam Chomsky Anfang September einer deutschen Tageszeitung zu Protokoll.

Von den Demokraten höre er gar nichts, beklagte Chomsky. Das einzige grundsätzliche Argument gegen den Krieg käme von Rechts. Man solle keinen Angriffskrieg führen, der nicht der Selbstverteidigung dient, hieße es da. "Aber man muß bis zur äußersten Rechten gehen, um so etwas zu hören", so der Professor am Massachusetts Institute of Technology (MIT), der von der New York Times einst als der "bekannteste Dissident der Welt" bezeichnet wurde. Für europäische Linke bricht eine Welt zusammen. Unhaltbar wird bei näherer Betrachtung der amerikanischen politischen Szene die alte Formel, Linke stünden stets für Friede, Freude und Eierkuchen, die Rechte dagegen heize im Zusammenspiel mit der Rüstungsindustrie kriegerische Konflikte an.

Die Vielfalt rechter Strömungen in den USA ist verwirrend. In der öffentlichen Debatte und den Medien dominieren die Neokonservativen, häufig enttäuschte Anhänger der demokratischen Partei, die seit den späten siebziger Jahren als intellektuelle Stichwortgeber bei den Republikanern Karriere machen. Ihr Interesse gilt abstrakten "human rights", denen weltweit und notfalls mit Waffengewalt Geltung verschafft werden müsse. Ein Großteil ihrer Rethorik, die US-Kriege dienten den Frauen- und Menschenrechten, klingt verdächtig gutmenschlich. Spöttisch bezeichnet sie darum die linksliberale Zeitschrift The Nation als "let's-make-the-world-good-and-help-Israel-neocons". Letzteres ist Dreh- und Angelpunkt des außenpolitischen Denkens von Irving und Bill Kristol, Norman Podhoretz, dessen Frau Midge Decter, den Kolumnisten Charles Krauthammer und George Will, aber auch der christlichen Rechten, die sich in ihrer Israel-Blutsbrüderschaft von keinem übertreffen läßt.

Neben den Neokonservativen fristen die Paleokonservativen eine Schattenexistenz. Bei den Paleos finden sich "America First"-Isolationisten und Gegner der Freihandels, wie Patrick Buchanan, und Altliberale, denen der Staat, seine zentralistische Macht, seine Steuerwut, seine Armee und seine Interventionskriege suspekt sind. Als "brillanten Vorschlag" bewertet Llewellyn Rockwell die Idee, Bush und Saddam könnten sich ein Duell liefern. "Selbst Bush sagt, man habe nichts gegen das irakische Volk. Guter Gott, dann lasse man bitte sie und auch das amerikanische Volk aus der Sache raus." Ein einsames Duell irgendwo im Wüstensand könne die humanitäre Katastrophe des Krieges vermeiden, so der Präsident des libertären Ludwig von Mises Instituts.

Etwas ernster, mit Blick auf die harten Realitäten, fällt die Einschätzung von Patrick Buchanan aus. "Eine US-Armee in Bagdad wird von Marokko bis Malaysia den Ruf nach einem Dschihad entzünden", beschwört der bekannte rechte Fernsehjournalist, Bestsellerautor und mehrmalige Präsidentschaftskandidat die Gefahr eines weltweiten Religionskriegs herauf. In der ersten Ausgabe seiner neuen Zeitschrift The American Conservative attackiert Buchanan die neokonservativen Einflüsterer des US-Präsidenten. "Die konservative Bewegung ist entführt worden, pervertiert in eine globalistische, interventionistische Ideologie für offene Grenzen und ungehemmte Einwanderung."

Seine Gegner ortet Buchanan bei den Blättern Commentary, National Review und Weekly Standard. Er beschuldigt sie einer imperialistischen Außenpolitik. Erst wolle man den Irak in einen "Satelliten der USA" verwandeln, dann solle das Land als Ausgangsbasis für eine "Modernisierung" der arabischen Welt dienen. "Allerdings glaube ich nicht, daß 1,2 Milliarden Moslems, die immer militanter sind und ihre Grenzen mit Blut ziehen, pazifiert und in kleine westliche Staaten umgewandelt werden können." Eine Erstürmung des Irak werde trotz dessen maroder Wehrtechnik kein Spaziergang, warnt Buchanan.

In derselben Ausgabe von The American Conservative springt ihm Eric Margolis zur Seite. "Zerstörungslust ist keine Politik, egal wie sehr die Pentagon-Falken und die neokonservativen Medientrommler danach lechzen mögen, die Felder des Irak umzupflügen", donnert der leitende Redakteur der Sun-Mediengruppe. Margolis, der seit dreißig Jahren aus dem Mittleren Osten schreibt, vermutet "Piraterieideen" hinter der Rhetorik aus dem Weißen Haus. In Wahrheit wolle man "den Irak 'befreien' und seine Ölschätze plündern, um dieser Nation 'Zivilisation und Demokratie' zu bringen", so Margolis.

Wenn es der US-Regierung tatsächlich um Demokratie und Freiheit ginge, weshalb unterstütze sie dann seit Jahrzehnten autoritäre Regime in Marokko, Tunesien, Ägypten, Saudi-Arabien und den Golf-Emiraten, fragt der Journalist. Statt die Region zu demokratisieren könne eine neuer Golfkrieg die moslemische Welt destabilisieren und das Feindbild Westen verhärten. Anders als die linken Kritiker eines Irak-Kriegs argumentiert die Gruppe um Buchanan machtpolitisch: Ein erneutes Abenteuer am Golf könne die USA Kopf und Kragen kosten.

Erstaunlicherweise liegen sie damit auf einer Linie mit dem linken Yale-Historiker Immanuel Wallerstein. Dessen geopolitischen Erwägungen stehen im krassen Gegensatz zur weitverbreiteten Meinung, die USA seien der unangefochtene globale Hegemon. In einem provokanten Artikel "Der Adler hat eine Bruchlandung gemacht" wagte er vor kurzem in der Zeitschrift Foreign Policy eine Prognose, seit den siebziger Jahren befände sich die Machtposition der USA im Niedergang. Er sieht die Amerikaner momentan als "einsame Supermacht, der es an echter Macht fehlt, ein Weltführer, dem niemand folgt und den wenige respektieren, und eine Nation, die gefährlich dahintreibt inmitten des globalen Chaos, das sie nicht unter Kontrolle bringen kann".

Das Schwinden der US-Hegemonie steht für Wallerstein außer Frage. Ihn beschäftigt, "ob die Vereinigten Staaten einen Weg finden können, in Würde abzutreten, mit geringem Schaden für die Welt und sich selbst". Bush und seine Berater haben wohl verständnislos gelacht, als sie diese Zeilen lasen.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen