© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    46/02 08. November 2002

 
Kolumne
Blockadebrecher
Hans-Helmuth Knütter

In der Tierwelt gibt es eine mysteriöse Erscheinung: Von Zeit zu Zeit packt die Lemminge ein Todestrieb. Sie stürzen sich von Felsklippen. Auch die Rechtsparteien in Europa scheinen von einem solchen kollektiven Wahn befallen zu sein. Vor kurzem erzielten sie noch Wahlerfolge und übernahmen in einigen Ländern sogar Regierungsverantwortung.

Vor vier Jahren galt Europa als rot-grün, und man schwadronierte von einem "sozialdemokratischen Jahrhundert". Zwei Jahre später die Kehrtwende: Rotgrün wurde fast überall abgewählt. Panik brach bei den Linken aus. Der Versuch, das unerwünschte Wahlergebnis in Österreich durch den Druck des antifaschistischen Straßenpöbels zu korrigieren, scheiterte so gründlich, daß man eine Wiederholung gar nicht mehr versuchte, als kurz darauf in Italien gar echte "Neofaschisten" an die Regierung kamen. Aber Rotgrün konnte sich beruhigen. Keine zwei Jahre, und die nächste Wende trat ein.

Schweden, Deutschland, Ungarn wählten links. In anderen Ländern aber nahmen die rechten Parteien die Lemminge als Wappentier und Vorbild an. In Österreich, den Niederlanden, bei Schill und der FDP in Deutschland, zum Teil auch in Italien handelten sie nach dem Motto "wozu brauchen wir Feinde, wir richten uns selbst zugrunde !" Ein kluger Beobachter sagte einmal nach einem skeptischen Blick auf das Führungspersonal rechter (konservativer, patriotischer) Parteien: "Regiert werden möchte ich von denen lieber nicht!" Sehr richtig.

Und dennoch haben diese Gruselpolitiker eine Funktion, nämlich die des Blockadebrechers. Sie bewirken, daß die abgewirtschafteten, politisch und moralisch diskreditierten Etablierten Forderungen übernehmen, die sie gerne als "populistisch" abqualifizieren. Asylmißbrauch, Kriminalität, Korruption - aus Angst, nicht aus Einsicht übernehmen die Etablierten, was die Mehrheit der Bevölkerung will. Sie wagen diese Themen erst dann aufzugreifen, wenn die "Populisten" sie ihnen aufgezwungen haben. Die Angst abgewählt zu werden und die einträglichen Posten zu verlieren - dieses heilsame Gefühl können die "Rechtspopulisten" den Etablierten allemal vermitteln. Wenn die rechten (Splitter-) Gruppen nach Anfangserfolgen wieder scheitern, weil sie weder Niveau noch Fähigkeiten noch Erfahrungen haben, so ist das nicht schlimm. Sie haben die nützliche Funktion eines Katalysators, Durchlauferhitzers und Blockadebrechers. Sie brechen die Tabus der politischen Korrektheit und andere mentale Blockaden auf - und das ist gut so.

 

Prof. Dr. Hans-Helmuth Knütter lehrte Politikwissenschaften an der Universität Bonn.


 
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