© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/02 01. November 2002

 
Reiseführer von einer anderen Welt
Das historische Bild Ostdeutschlands in den Baedeckern unserer Zeit glänzt oftmals durch Unkenntnis und Geschichtsklitterung
Michael Schubert

Es ist sehr begrüßenswert, wenn auf dem Büchermarkt immer mehr Reisebegleiter erscheinen, die sich mit unserem östlichen Nachbarn befassen, schon deshalb, da das Reiseland Polen, gemessen an anderen europäischen Staaten, trotz zahlloser landschaftlicher und kultureller Schönheiten bei den (West)-Deutschen aus manchem Vorurteil heraus nie sonderlich populär geworden ist. Um so betrüblicher ist es deswegen, wenn festgestellt werden muß, daß einige dieser neuen Reisebücher keineswegs geeignet sind, dem sich unbedarft Polen nähernden Touristen ein informierender Begleiter sein zu können.

Jene neueren Reiseführer gehen zwar nicht so weit, vermengen aber die Unkenntnis der deutschen Historie mit den offiziellen polnischen Sichtweisen, so daß dem Benutzer nicht wenig dienliche Konglomerate entstehen. Aus der Fülle des Gesichteten sei ein besonders mißlungenes Beispiel angeführt.

In immerhin vierter überarbeiteter Auflage brachte im vorigen Jahr der Erlanger Michael-Müller-Verlag Mark Salters dickleibiges Werk "Polen" heraus. Auf 891 Seiten mit etwa hundert Bildern, Stadtplänen, wichtigen Adressen und Telefonnummern äußerlich sehr gut ausgestattet und damit durchaus auch informativ, kann das Buch dennoch in keiner Weise einem Test auf historische Verwendbarkeit standhalten. Ursprünglich war es in England als "Poland - The Rough Guide" erschienen. Wenn es auch dem britischen Verfasser Salter in der englischsprachigen Ausgabe für seine Leserschaft gerade noch gestattet sein mag, unzureichende Kenntnisse der deutschen Geschichte in Ost-Mitteleuropa einzubringen, ist das, was Übersetzerin Lilly G. Nielitz und Lektorin Gisela Fischer in der deutschen Ausgabe dann haben entstehen beziehungsweise durchgehen lassen, schlichtweg eine Unverschämtheit. Hier hat der Opportunismus der political correctness zu einer Geschichtsklitterung geführt, die ihresgleichen sucht. Weite Bereiche in diesem Reiseführer geraten auf diese Weise unfreiwillig komisch und könnten ein befreiendes Lachen hervorrufen, wenn es nicht so unverantwortlich wäre, das zarte Pflänzlein des aktuellen Konsenses im deutsch-polnischen Geschichtsverständnis so niedergetrampelt sehen zu müssen, besonders wenn zu befürchten steht, daß Unbedarfte sich die falschen Fakten und Interpretationen zu eigen machen.

Mark Salters Machwerk wie auch der Michael Müller Verlag haben so selbst polnischen Interessen einen Bärendienst erwiesen. Einige wenige Beispiele aus einem von schrecklichsten Entstellungen wimmelnden Buch sollen das verdeutlichen. Da gibt es beispielsweise im Abschnitt "Südlich von Olszytn" ein Kapitel "Hindenburg-Mausoleum", wo man dann unvermutet folgendes zu lesen bekommt. "Etwa einen Kilometer westlich ... stehen die Ruinen des berühmt-berüchtigten (!) Hindenburg-Mausoleums. (...) Nach Hindenburgs Tod 1934 ließ Hitler für seinen Reichspräsidenten ein riesiges Mausoleum bauen. Als sich 1945 die Niederlage abzeichnete, überführten die deutschen Truppen seine sterblichen Überreste in die Kathedrale von Worms (!). Die sowjetische Armee machte kurz danach das Mausoleum dem Erdboden gleich...." Doch erstens stehen da keine Ruinen, sondern bestenfalls einige ganz wenige Fundamentreste, zweitens wurde das Tannenbergdenkmal bereits in den zwanziger Jahren errichtet, drittens von deutschen Einheiten selbst gesprengt und Hindenburgs Leichnam ist viertens nach Marburg gebracht worden, wo er sich übrigens heute noch befindet.

Die Welt oder die deutsche Geschichte zwischen 1933 und 1945 ist nicht so, wie man sie sich im Angelsächsischen, verdummt durch Hollywoods stets latent kriegspropagandistische Bilderprodukte, imaginiert. Mit dem Wort "preußisch", das sowieso aus Unkenntnis des Unterschieds pruzzisch-preußisch bei dem identischen englischen Äquivalent "prussian" meist falsch verwendet wird und womit beispielsweise unter anderem die Herrschaftsverhältnisse in Danzig und im Weichselland im 14. und 15. Jahrhundert beschrieben werden, haben Autor und Übersetzerin besondere Probleme, besonders wenn sie (zugegeben nicht ganz falsch) auch die NS-Zeit als "Preußenzeit" charakterisieren.

Daß in diesen ganzen Zusammenhängen auch das Problem deutscher und polnischer Ortsbezeichnungen mißlingen muß, liegt auf der Hand. Denn es ist mehr als albern, wenn man sich aus vorsichtiger, aber dennoch unangebrachter und unsinniger politischer Korrektheit sogar scheut, beispielsweise die Bezeichnung "Frisches Haff" zu verwenden und dafür mitten im deutschen Text ständig das "Zalew Wislany" (polnisch für "Weichselhaff") erscheinen läßt.

Auch im Abschnitt "Schlesien" setzt sich der historiographisch besinnungslose Taumel fort, da nicht einmal das Habsburgerreich als bestimmend für die Geschichte der Region erwähnt wird: "Hirschberg ... ist seit fünfhundert Jahren ein Zentrum polnischer (!) Manufakturen... Angesichts dieser soliden Grundlagen überrascht es kaum, daß die Stadt, nachdem sie zu Preußen kam, Vorreiterin der industriellen Revolution in Deutschland wurde." Hirschberg im Riesengebirge als Industriezentrum?

Und ebenso aus Pommern weiß Mark Salter für uns Neues zu erzählen: "1720 verkauften die Schweden Stettin an Preußen, dem es bis 1945 angehörte. Unter preußischer Herrschaft wurde die Stadt zum Vorposten an der neu gezogenen Westgrenze. Da die Staatsgrenze zum Westen sozusagen vor den Stadttoren verläuft und Berlin, dessen Hafen Szczecin früher war, über die Autobahn nur eine knappe Stunde entfernt ist, erinnert noch vieles an die Deutschen." Der "Historiker" Salter liefert mit diesen Informationen über Berlins von Geographen bislang noch nicht entdeckte Ostseeanbindung ein wahrliches Bubenstück.

Seltsamerweise finden sich in jenen Abschnitten, die sich nicht mit ehemals deutschen Gebieten befassen, kaum historische Fehler. Anscheinend hat der Wahnsinn Methode. Wie gesagt, das Buch ist durchaus verwendbar, wenn es ausschließlich um Adressen, Hotels, Restaurants, wichtige Sehenswürdigkeiten, Anlaufstellen oder einfach nur darum geht, was in der jeweiligen Region beim Reisen ein "Muß" darstellt. Aber allein die geschilderten Kenntnisse des Autors bezüglich historischer Fakten erregen mehr als nur bloßen Zorn.

Daß es auch anders gehen kann, zeigt "Polens Ostseeküste & Masuren" von Brigitte Jäger-Dabek, erschienen in "Iwanowski's Reisebuchverlag" in Dormagen. Daß die Verfasserin seit fast dreißig Jahren als freie Journalistin in Osteuropa tätig ist, merkt man dem Buch von der ersten Seite an. Detaillierte Hintergrundinformationen, nicht zuletzt auch zum aktuellen deutsch-polnischen Verhältnis zeigen, daß die Autorin aus tiefer Liebe zum Land und auch zu seinen jetzigen Bewohnern berichtet. Im Gegensatz zur mißlungenen Baedecker-Kopie von Mark Salter liegt hier ein Reiseführer vor, der erfreut, weil dessen geschichtliche Darstellungen frei von jeder wie auch immer verstandener Ideologie sind und die Verfasserin weiß, wie und worüber sie spricht. Ein Buch, das bei keinem Freund Masurens und Pommerns im Bücherschrank fehlen darf.

Etwas zwiespältiger erscheint das Gesamtbild bei "Danzig und Ostpommern" von Malgorzata Omilanowska und Jerzy Majewski aus dem Starnberger Dorling Kindersley Verlag. Das polnische Original kam 1997 in Warschau heraus, die englische Übersetzung im gleichen Jahr bei Dorling Kindersley in London. Dessen deutsche Übertragung besorgte die bayerische Filiale dieses Unternehmens im Jahr 2000. Und damit gehen die Verwirrungen bereits wieder los. Denn unter "Ostpommern", also "Pomorze Wschodnie", versteht man in Polen ganz etwas anderes als ein deutscher Leser. In diesem grundsätzlich guten und informativen Reiseführer wird also keineswegs die Region zwischen Stettin und Hela behandelt, sondern das nördliche Westpreußen, mithin die Kaschubei und die Weichselniederung. Der geneigte Käufer, der gemäß seines Verständnisses des Buchtitels Reisetips für Kolberg oder Stargard sucht, wird folgerichtig hier nichts finden. Es schleichen sich durch diese mehrfachen sprachliche Übertragungen (da ja weder die englischen noch die deutschen Übersetzer wirklich mit der Materie vertraut gewesen zu sein scheinen) unwillkürlich einige Ungenauigkeiten ein. Gdingen wird zur drittgrößten Stadt Polens, 1945 gab es in Danzig einen "Stadtbrand" und so weiter.

Daß der Text ursprünglich aus polnischer Sichtweise heraus entstand, merkt man nicht an etwaigen kleineren Unrichtigkeiten in den geschichtlichen Betrachtungen, sondern es fällt oft anhand der bewußten Nichterwähnung der deutschen Zeit unangenehm auf. So wird, nur um zwei Beispiele zu nennen, im Abschnitt "Zoppot" die Waldoper mit keinem Wort erwähnt, und bei den historischen Abrissen einzelner Städte folgt auf die Zeit des Deutschen Ordens gleich das Jahr 1945 und die "Rückkehr" nach Polen. Diese Ignoranz leisten sich übrigens die meisten polnischen Stadtführer bis hinunter zu den knappen Faltblättern, die man in den großen Hotels zwischen Stettin, Danzig und Breslau in die Hand gedrückt bekommt. Auch vor dem EU-Beitritt Polens hat man nicht nur auf offizieller Ebene ein recht gebrochenes Verhältnis zur historischen Wahrheit und ist bestrebt, die Geschichte der 1945 vermeintlich "wiedergewonnen Gebiete" schamlos zu polonisieren.

Foto: Reisegruppe im Pückler-Park bei Bad Muskau: Geschichte auf dem Stand von vor 1989

Mark Salter: Polen. Vierte, überarbeitete Ausgabe. Michael Müller Verlag, Erlangen 2001, gebunden, 891 Seiten, 21,90 Euro

Brigitte Jäger-Dabek:: Polens Ostseeküste & Masuren. Ivanowski's Reisebuchverlag, München 2002, 416 Seiten, 19,95 Euro

Margorzata Omilanowsk, Jerzy Majewski: Danzig und Ostpommern. Dorling Kindersley Verlag, Starnberg 2002, 296 Seiten, 19,95 Euro


 
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