© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/02 01. November 2002

 
Der Büchernarr als Zauberlehrling
Nachruf: Mit dem Tod von Suhrkamp-Chef Siegfried Unseld geht eine Epoche im deutschen Verlagswesen zu Ende
Günter Zehm

Er gehörte zu den großen Gründerpersönlichkeiten der Nachkriegszeit, zu den Grundig und Neckermann, Porst und Springer. Hitlerjugendführer und junger Marineoffizier vom Jahrgang 1924, wurde der geborene Ulmer nach 1945 Verlagskaufmann, stieg im renommierten Verlag von Peter Suhrkamp ein und übernahm 1959, nach dem Tod des Gründers, die alleinige Geschäftsführung. Sein Glück hieß Hermann Hesse, über den er in Tübingen promoviert und für dessen Werk er sich die Verlagsrechte gesichert hatte. Als im Gefolge der Hippie-Bewegung Hesse zum Guru aufstieg und weltweit gelesen wurde, kam Unseld zu Reichtum und gewann geschäftlichen Spielraum.

Er wurde, beeinflußt von seinem Studienfreund aus Tübinger Universitätsjahren, Martin Walser, Verleger sowohl der klassischen Moderne (Proust, Joyce, Beckett) als auch der jungen deutschen Nachkriegsliteratur (neben Walser Enzensberger, Johnson, Handke). Seine große Stunde aber kam mit der Studentenrevolte von 1968, für deren Aktivisten und Ideologen er die Taschenbuchreihe "edition suhrkamp" einrichtete, eine Reihe, die unmittelbar mit der "revolutionären Praxis" der 68er verbunden war, ihr sowohl Handlungstips als auch "theoretische Untermauerung" lieferte.

Im Rückblick bietet diese Reihe ein höchst diffuses, überwiegend abstoßendes Bild. Neben ernstzunehmenden philosophischen und sozialpsychologischen Titeln wimmelt es in ihr von undurchdachten, völlig aus der Luft gegriffenen Adhoc-Theoremen, in einem Stil geschrieben, daß einem noch im Nachhinein davon schlecht werden kann. Es gab damals faktisch keinen Politbrandstifter, der nicht sein Bändchen in der "edition suhrkamp" hatte.

Beinahe wäre Unseld, wie so mancher andere Zauberlehrling von damals, zum Opfer seiner eigenen Autoren und Lektoren geworden. Unter dem Schlachtruf des "Marsches durch die Institutionen" waren diese drauf und dran, den Suhrkamp Verlag zu "vergesellschaften" und den Geschäftsführer an die frische Luft zu setzen. Allein der Umstand, daß die Hauptautoren der belletristischen Abteilung (Frisch, Walser, Johnson und andere) zu ihrem Verleger Unseld hielten, stoppte die "Expropriierer" und zwang sie zum Auszug.

Der wissenschaftliche Zweig des Verlages hat sich danach stabilisiert, blieb aber (Jürgen Habermas war der ausschlaggebende Berater) entschieden linkslastig und fand sein sicheres Standbein in der Holocaust-Bewältigungsindustrie. Auch hier kam es freilich phasenweise zu Peinlichkeiten, so etwa, als Unseld das Buch "Bruchstücke" eines gewissen Binjamin Wilkomirski aus der Schweiz herausbrachte und damit viel Geld verdiente.

Dieser Wilkomirski hieß in Wirklichkeit Bruno Dösseker und behauptete, er sei das Kind litauisch-jüdischer Eltern und schon als Baby in ein NS-Konzentrationslager gekommen, wo er wie durch ein Wunder überlebt habe. Nach dem Krieg sei er irgendwie in die Schweiz gelangt und vom Ehepaar Dösseker adoptiert worden. Alle diese Behauptungen waren erlogen, und Historiker hatten frühzeitig auch schon Verdacht angemeldet. Dennoch blieb das Buch bei Suhrkamp im Programm, wurde vielfach übersetzt und zum Bestseller hochrezensiert - bis schließlich die Legende nicht mehr zu halten war, die Blase platzte und der Verkaufsschlager zurückgezogen werden mußte.

Natürlich bringen solche Vorkommnisse in Deutschland keinen Verleger in Verlegenheit, dafür aber Bücher wie Martin Walsers ebenfalls bei Suhrkamp verlegtes satirisches Kabinettstück "Tod eines Kritikers", das dort bereits vor seinem Erscheinen eine veritable Verlagskrise auslöste. Angestoßen durch eine unlautere Attacke des FAZ-Mitherausgebers Frank Schirrmacher, beschuldigte man Walser von außen abenteuerlicherweise des Antisemitismus, und die Beschuldigung zeigte Wirkung, spaltete den Verlag in eine Pro- und eine Anti-Walser-Fraktion und vergiftete das hausinterne Klima.

Siegfried Unseld lag da schon im Sterben und spielte - wenn überhaupt eine - nur noch eine Nebenrolle. Bis zuletzt umgab ihn der Ruf eines energischen, sowohl gebildeten als auch ungemein geschäftstüchtigen Verlegers, der seine (belletristischen) Autoren liebte und förderte wie ein Vater. Auch gelang es ihm, sein mittelständisches Unternehmen unabhängig zu halten, so daß Suhrkamp heute einer der ganz wenigen bekannten und einflußreichen Verlage ist, die noch nicht von einem Medienkonzern verschluckt worden sind. An dieser Leistung, die vielleicht die größte war, wird man Unselds Erben messen.

Foto: Verleger Siegfried Unseld in seiner Suhrkamp-Bibliothek: Mit Hermann Hesse fing alles an


 
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