© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/02 01. November 2002

 
In Scherben gehauen
Unter dem rot-roten Senat geht die Berliner Opernlandschaft allmählich zugrunde
Doris Neujahr

Auf dem Grunde angekommen, dachte man, müßte der leckgeschlagene Tanker doch endlich zu sinken aufhören. Der Tanker, das ist Berlin, und der Meeresgrund, das war das Finanzdesaster der Berliner Bankgesellschaft, das vor vor anderthalb Jahren die Große Koalition zum Platzen brachte. Danach, glaubte man, konnte es nur noch aufwärtsgehen, sogar unter einem rot-roten Senat.

Doch weit gefehlt. Jetzt wird das Letzte in Scherben gehauen, das Berlin noch hat: die Kultureinrichtungen. Vor vier Wochen wurde Udo Zimmermann, Intendant der Deutschen Oper, nach nur einjähriger Amtszeit gekündigt. Offiziell im gegenseitigen Einvernehmen, doch da die Spatzen das Gegenteil von den Dächern pfiffen, stellte Thomas Flierl, Senator für Kultur und Wissenschaft, denn auch klar: "Udo Zimmermann hat defizitär gewirtschaftet. Die Zustimmung ist gesunken. Als verantwortlicher Senator muß ich in einer solchen Situation handeln." Zimmermann bestritt das behauptete Defizit von 1,6 Millionen Euro und wies die Verantwortung dafür zurück. Er äußerte, daß Flierl wohl "fremdgesteuert" sei.

Als unmittelbare Folge dieser Personalie sind zwei von drei Opern faktisch kopflos, denn einige Wochen zuvor hatte Flierl auch dem Intendanten der Komischen Oper den Stuhl vor die Tür gestellt. In der Staatsoper Unter den Linden ist indes die Bühnentechnik derart marode, daß sie mitten in einer Aufführung einen Eklat verursachte. Für den Wiederholungsfall droht die baupolizeiliche Schließung. Und das alles mitten in der Diskussion um Schließungsoptionen und Streichlisten.

Der Senator hüllt sich über die Zukunft der Berliner Opernlandschaft in Schweigen. Monoton verweist er auf die Strukturreform, die in seinem Haus ausgebrütet und Ende des Jahres vorgestellt wird. Bis dahin wird man sich weiter in der Erwartung neuer Hiobsbotschaften üben. Dieser Zermürbungseffekt ist beabsichtigt. Die Senatspolitik läuft darauf hinaus, die Opernhäuser in den Niedergang und damit in eine Situation zu treiben, in der Zusammenlegungen oder Teilschließungen als einziger Ausweg erscheinen. Gleichzeitig will er seine Hände in Unschuld zu waschen.

So geht das schon seit Jahren. Große Kulturinstitutionen aber können so nicht seriös arbeiten, weil Künstlerverträge und Spielpläne einen mehrjährigen Vorlauf und Planungssicherheit brauchen. Da die nicht mehr vorhanden sind, geht es statt um künstlerische Inhalte nur noch um Abwicklungsgerüchte und den Streit um Finanzen. Die Tristesse, die in der verarmten Stadt ohnehin herrscht, hat nun auch die Kulturszene fest im Griff.

Die jüngste Opernhausaffäre bietet einen Querschnitt nicht nur durch die Kulturpolitik, sondern die gesamte Arbeit des rot-roten Senats unter Klaus Wowereit (SPD). Als Udo Zimmermann 1999 durch einen CDU-Kultursenator zum Intendanten ab 2001 berufen wurde, war klar, daß er mit dem amtierenden Generalmusikdirektor Christian Thielemann wegen unterschiedlicher Konzepte kaum würde zusammenarbeiten können. Zimmermanns Versuche, einen eigenen Chefdirigenten zu installieren, wurden aber durch politische Ranküne hintertrieben. Eine Schlüsselrolle spielte dabei Klaus Wowereit, damals SPD-Fraktionschef, der jede Gelegenheit nutzte, sich gegen den größeren Koalitionspartner zu profilieren.

Der unmögliche Kompromiß sah dann so aus, daß Thielemann weiterhin Generalmusikdirektor blieb, aber im eigenen Haus höchstens Gastspiele gab. So war der Intendant von Anfang an geschwächt und das Profil, das er dem Haus zu verleihen gedachte, verwässert, zumal das Opernorchester hinter Thielemann stand. Als Zimmermann eingegangene Gehaltszusagen nicht einhalten konnte, stellte der Orchestervorstand ihn mit der Erklärung öffentlich bloß: "Es mag gute Gründe geben, Herrn Zimmermann die politische Unterstützung zu entziehen."

Der spricht jetzt vom "Intrigantenstadl". Und es kommt noch unappetitlicher: Der Chef in Wowereits Senatskanzlei war ehedem Geschäftsführer der Deutschen Oper und nach dem Tod des alten Intendanten Götz Friedrich im Dezember 2000 ihr Interimschef. Es kursiert das Gerücht, daß er selber Intendant werden wolle und Wowereit daher Druck auf Flierl ausgeübt habe, Zimmermann den Stuhl vor die Tür zu setzen. Das mag so sein - oder auch nicht. Ausschlaggebend ist, daß man Wowereit diese Hinterhältigkeit ohne weiteres zutraut.

Nur zu vernünftiger Sachpolitik ist dieser Meister der Hintertreppe und des Küchenkabinetts unfähig. Noch immer ist nicht klar, wie der Bund sich bei der Finanzierung des preußischen Kulturerbes, zu dem auch die Staatsoper gehört, engagieren wird, und Wowereit scheint nicht in der Lage, Brücken zum Bund und den anderen Ländern zu schlagen. Als der Bundestag, angeführt vom Kanzler und führenden Oppositionspolitikern, im Sommer entschied, das Stadtschloß wieder zu errichten und damit ein klares Bekenntnis zur Hauptstadt ablegte, blaffte Wowereit, der sich als Anhänger moderner Architektur geriert, zurück, dann solle er es auch bezahlen. Das ist die typische Berliner Mischung aus Großkotzigkeit, Beschränktheit und schlechten Manieren. Wowereit wird als unwesentlichster Regierender Bürgermeister in die Berliner Nachkriegsgeschichte eingehen. Sein hinterlassener Flurschaden wird trotzdem beträchtlich sein.

Eine noch jämmerlichere Figur macht Thomas Flierl. Dem PDS-Mitglied war bei Amtsantritt eine stringent-ideologische Kulturpolitik unterstellt worden. Verglichen mit seiner tatsächlichen Amtsführung wäre das die bessere Alternative gewesen, denn mit einem intelligenten, zupackenden Ideologen könnte man sich wenigstens fetzen. Doch statt einen verantwortlichen Landesminister trifft man nur auf einen verantwortungsscheuen, unterwürfigen Frühstücksdirektor, auf ein amorphes Wesen, das einem, kaum nimmt man es in die Verantwortung, aus der Hand glitscht. Flierl ist außerstande, Politik als öffentliche Angelegenheit zu betreiben, er wurstelt nur in der Nachfolge von SED-Geheimzirkeln herum.

Kaum im Amt, argumentiert dieser promovierte Kulturwissenschaftler knallhart monetär und populistisch. Wenn aber ein Defizit von 1,6 Millionen Euro (Zimmermann meint: die Hälfte) ausreicht, einen Intendanten nach einem Jahr zu kündigen, dann müßte das 20 Milliarden Euro teure Bankenfiasko diejenigen Berliner Politiker und Finanzexperten, die dafür direkt oder indirekt verantwortlich sind, komplett hinter Schloß und Riegel bringen! Doch soviel Mentalitätswechsel ist von der Berliner Politikszene nicht zu erwarten.

Was diesen unfähigen Senat im Amt hält, ist die Tatsache, daß auch die anderen Parteien nicht über das Kiezniveau hinausragen. Im Kulturausschuß des Abgeordnetenhauses wird den Theatern zum Beispiel geraten, ihre Kosten durch den Wechsel von der Telekom zu privaten Anbietern zu senken. Man muß konstatieren, daß die Zeit seit dem Mauerfall zu kurz war, um ein neues, verantwortungsvolles Stadtbürgertum hervorzubringen.

In den Hauptnachrichtensendungen des Berlin-Fernsehens tobt derweil gnadenlos das metropolitane Leben. Im Mittelpunkt stehen unverrückbar die in Brand geratene Mülltonne im Wedding, der neueröffnete Sportplatz in Marzahn oder der Pelikannachwuchs im Tierpark Lichtenberg. Die Zeitungen wollen ebenfalls ein bißchen Glamour erhaschen und listen artig auf, welcher Senator wohin in den Herbsturlaub fährt. Höhepunkt sind spannende Reportagen über den Wahlkampf des Regierenden Bürgermeisters in Hamburger Schwulenbars: "Er kommt im schwarzen Anzug und rot-weiß gestreiftem Hemd. Darunter blitzt ein enges, schwarz glänzendes T-Shirt. Er sagt, er wolle gar nicht so viel über Politik reden ..."

Berlins Regierungschef Klaus Wowereit: "Typische Mischung aus Großkotzigkeit, Beschränktheit und schlechten Manieren"


 
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