© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/02 01. November 2002


Schröders Regierungserklärung
Die Rede an die Nation
Dieter Stein

Wir Deutschen stehen vor einer unserer schwersten wirtschaftlichen Krisen seit der Nachkriegszeit, vor uns baut sich drohend die sozial verheerende Bugwelle einer immer stärker überalternden Gesellschaft auf, verursacht durch die demographische Zeitbombe jahrzehntelangen dramatischen Geburtenrückgangs.

Der Kanzler müßte in einer Regierungserklärung diese Dinge beim Namen nennen, er hätte die Chance, die Herausforderung einer nationalen Kraftanstrengung zu umreißen. Nichts davon jedoch in der Rede Gerhard Schröders. Völlig verblendet entfaltet er das verstaubte Panorama saturierter Polit-Prosa einer untergehenden Epoche.

Der Kanzler betet dreist die abgedroschensten Formeln herunter: "Wachstumskräfte stärken", "Reformen auf dem Arbeitsmarkt", "Qualität von Bildung verbessern", "Lebenschancen junger Menschen erhöhen", "innovative Kräfte" in Unternehmen schaffen, "mehr Flexibilität", "solider Wohlstand", "neue Gerechtigkeit" (die Betrugs-Vokabel "Gerechtigkeit" kommt alleine 24 Mal in der Rede vor), "intelligentes Sparen", "Investitionen in Zukunftschancen" (Verbraten von Steuer-Milliarden), "Verantwortungspartnerschaften", alles mündet in einer Maxime, die den Himmel zum Weinen brachte: "Das ist der Maßstab für unsere Politik: Sie hat sich im Alltag der Menschen zu bewähren."

Wenn Schröder gar mittels "Personal Service Agenturen" der Massenarbeitslosigkeit ans Leder gehen will, setzen Wagnersche Fanfaren ein. Dann öffnet er nie geglaubte Zeithorizonte: "Vieles von dem, was wir begonnen haben, weist über die nächsten vier Jahre hinaus." Unglaublich. Gar "die Gestaltung des gesamten Jahrzehnts" will der Kanzler schultern. Eine Wahnsinns-Herausforderung stellt Schröders Ahnung dar, dank knallharter sozialdemokratischer Politik sei es zu erreichen, "daß Deutschland in zehn Jahren zu den führenden Bildungsnationen zählt".

Doch nicht genug: "Erstklassige Bildungsangebote" verheißt der Kanzler (will er womöglich SPD-Gesamtschulen schleifen lassen?), er will "ein Land schaffen, in dem der Mensch im Mittelpunkt steht", damit "die Menschen" (draußen im Lande?) "leben können, wie sie wollen". "Freiheit zur Verwirklichung ganz persönlicher Lebensentwürfe" sichert der Kanzler zu. Er schenkt "materielle, soziale und kulturelle Sicherheit zur Vergewisserung der eigenen Identität".

An Kohlsches Maß eines Historikers tastet sich Schröder schließlich heran, wenn er orakelt, daß Europa "nie geographisch, sondern immer politisch definiert war", eine "echte Wertegemeinschaft geworden" sei. Integration will Schröder bei Ausländern "fördern". In was? In eine Nation? Der Begriff "Nation" taucht bei ihm bedauerlicherweise kein einziges Mal auf. Statt von Deutschland ist von "unserem Land" die Rede, oder von "Zivilgesellschaft". Schröder hat die Mentalität eines politisch heruntergewirtschafteten und geistig erlahmten Deutschlands auf den Punkt gebracht.


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