© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    44/02 25. Oktober 2002

 
Deutscher Zeitungsmarkt: Die wirtschaftlichen Tiefdruckgebiete haben sich festgesetzt
Das Herbstlaub fällt im Blätterwald
Werner Olles

Für die Frankfurter Allgemeine Zeitung begann die Misere im Juni 1999. Damals wurde das beliebte faz-Magazin, das wöchentlich freitags der Zeitung beigelegt war, kurzerhand eingestellt. Zu aufwendig und zu teuer sei das Magazin gewesen, wurde den Lesern beiläufig mitgeteilt. Zwei Jahre später, im Sommer 2001, folgten die sechs Tiefdruckseiten, die der Wochenendausgabe am Samstag beilagen. Im Sommer 2002 mußten dann die "Berliner Seiten" dran glauben. Keine Rede mehr war dann auch plötzlich von dem von Mitherausgeber und Feuilleton-Chef Frank Schirrmacher großartig angekündigten Umzug der Feuilleton-Redaktion in die deutsche Hauptstadt, in der man der Kulturszene bzw. dem, was Schirrmacher für Kultur hält, noch näher sein wollte als im eher provinziellen Frankfurt. Autoren und freie Mitarbeiter, die seit Jahren mit einem fürstlichen Zeilenhonorar von vier Mark entlohnt wurden, mußten nun mit einem um die hälfte gekürzten Salär klarkommen.

Bei Springers Welt, der Süddeutschen Zeitung, der Frankfurter Rundschau und dem Spiegel soll die Schadenfreude groß gewesen sein. Indes hielt sie nicht lange an, denn die leidvollen Erfahrungen der FAZ, das Wegbrechen wichtiger Segmente im Anzeigengeschäft und der Verlust von Käufern und Abonennten machte auch vor den anderen überregionalen Blättern nicht halt. Zwar ist wohl die Krise bei der FAZ noch längst nicht überwunden, sondern geht vermutlich tiefer als es der interessierten Öffentlichkeit bislang bekannt ist, und ein weiterer Stellenabbau gilt auch durchaus als möglich, aber bei der lokalen Konkurrenz, der linksliberalen Frankfurter Rundschau sieht es womöglich noch schlimmer aus.

Bis Ende 2004 sollen bei der Frankfurter Rundschau (derzeitige Auflage rund 183.000 Exemplare) 150 Stellen eingespart werden, betriebsbedingt wird nächstes Jahr 90 Mitarbeitern gekündigt, darunter 35 Redakteuren. Weitere 60 Stellen sollen "sozialverträglich abgebaut werden. Bereits im Sommer dieses Jahres hatte die FR 53 Mitarbeitern betriebsbedingt gekündigt. Nach dieser personellen Roßkur würde sich die Mitarbeiterzahl Ende 2004 dann auf etwa 1.150 belaufen, gegenüber 1.600 im Sommer 2001. Zur Disposition stand jedoch auch die Doppelspitze der beiden Chefredakteure Hans-Helmut Kohl und Jochen Siemens, die im Wechsel das Blatt führten. Tatsächlich kam es jedoch immer wieder zu Differenzen, und schließlich erwies sich die Doppelspitze als ein "nicht gangbarer Weg". Mit dem 48jährigen Sozialwissenschaftler Wolfgang Storz, der vor seinem Eintritt in die FR-Chefredakteur der IG Metall-Publikationen war, und vor seiner Berufung stellvertretender FR-Chefredakteur und Ressortleiter der Seite 3, hat die Zeitung nun seit dem 15. Oktober einen neuen Chefredakteur. Den bisherigen Chefredakteuren Kohl und Siemens wurden Aufgaben im Korrespondentennetz der FR angeboten.

Die Veränderungen gehen aber noch weiter. So wird es statt bisher vier nur noch drei Geschäftsführer und drei statt sieben Prokuristen geben. Nach dem massiven Anzeigeneinbruch von insgesamt dreißig Prozent forderten die Hausbanken der FR, Dresdner Bank und Frankfurter Sparkasse unter anderem eine Verschlankung in der Führung der Zeitung. Und trennen wird man sich auch von der bei den Lesern beliebten Wochenendbeilage "Magazin".

Wie der Spiegel in seiner aktuellen Ausgabe berichtet, hatten leitende FR-Redakteure aus "Unmut über das Krisenmanagement" in einem Brief einen "personellen Neuanfang" in der Geschäfts- und Verlagsleitung gefordert, da das Vertrauen in die Führungsfähigkeit dieser Gremien "zerstört" sei. Bemängelt wurde außerdem, daß bisher ein verlegerisches und publizistisches Konzept zur Überwindung der Krise der Zeitung fehle. Der Brief sei jedoch inzwischen wegen mangelnder Unterstützung zurückgezogen worden.

Während der Verlag der FR mit Einsparungen aus der Verlustzone kommen will und die Hausbanken dem Verlag weitere Kredite in niedriger zweistelliger Millionenhöhe zugesagt haben, womit die Voraussetzungen für eine Trendwende aus dem "Tal der Tränen" geschafft seien, hat die Tour der Leiden für die Süddeutsche Zeitung erst begonnen. Tiefer und tiefer trudelt man in München in die roten Zahlen. Nach dem Rekordjahr 2000, als der Verlag Anzeigen ablehnen mußte, weil die Druckmaschinen nicht mehr Anzeigenseiten bewältigen konnten, begann mit dem 11. September 2001 der dramatische Abstieg. Das Volumen der Stellenanzeigen ging um mehr als die Hälfte zurück, und die Verlagsgruppe erlitt 2001 einen Verlust von fast 44 Millionen Euro. Der Burda-Manager und Jurist Lutz überraschte daraufhin Gesellschafter und Geschäftsführung in seiner Eigenschaft als "Chief Operating Officer" mit einem Brandbrief, in dem er eine sofortige Kursänderung forderte, da der Verlag sonst im Oktober handlungsunfähig sei. Man müsse sich auf das Kerngeschäft mit der SZ beschränken und die Verlustbringer SZ-Magazin und die gerade gestartete Regionalausgabe NRW einstellen. Auf der Verkaufsliste von Lutz stehen außerdem die Regionalzeitungen Donaukurier in Ingolstadt (Auflage 87.000 Exemplare), die Frankenpost in Hof (74.276), die Neue Presse in Coburg (29.466) und das Freie Wort in Suhl (88.100).

Nachdem die Pläne für eine redaktionelle Zusammenarbeit mit der FR bislang an der Satzung der Karl-Gerold-Stiftung scheiterten, in der der 1973 verstorbene ehemalige Herausgeber, Verleger und Chefredakteur der FR die "ewige Unabhängigkeit" seiner Zeitung festschrieb, gewährte nun zunächst die halbstaatliche Bayrische Landesbank dem SZ-Verlag einen Kredit über 30 Millionen Euro. Inzwischen wird aber auch laut Spiegel das Essener Medienimperium WAZ (Westdeutsche Allgemeine Zeitung) als potenter und potentieller Käufer der SZ gemeldet. Denn trotz Stellenstreichungen, rigidem Sparkurs, dem Wegfall des Jugendmagazins Jetzt und der täglichen Berlin-Seite der SZ fürchtet man hier immer noch die Einstellung der ganzen Zeitung. Hatte der Verlag 1999 noch rund 58 Millionen Euro Gewinn gemacht, waren es allein im August 2002 sieben Millionen Euro Verlust, der bis Ende des Jahres nach internen Berechnungen auf 30 Millionen wachsen wird.

Die allgemeine Zeitungskrise hat längst auch die Schweiz erreicht. Der Einbruch im Anzeigengeschäft bei der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) führte hier zu einem rigiden Kostensenkungsprogramm. Insgesamt sollen 80 Stellen gestrichen werden, das sind zehn Prozent des Personalbestandes, 27 Entlassungen sind aus wirtschaftlichen Gründen unumgänglich. Verglichen mit dem Jahr 2000 ist bei der NZZ das Anzeigenvolumen von 11.400 auf voraussichtlich weniger als 8.000 Seiten in diesem Jahr zurückgegangen. Dies bedeutet eine Einbuße von über 40 Millionen Franken. Den großen Zeitungen stehen offenbar schwere Zeiten bevor.


 
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