© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    44/02 25. Oktober 2002

 
"Hineinfahren wie ein Sturm"
Kirche: Kardinal Meisners löst mit seiner harschen Kritik an den religiösen Defiziten in den katholischen Institutionen eine Debatte aus
Alexander Barti

In einer Predigt am 25. September 2002 kritisierte der Kölner Kardinal Meisner die kirchlichen Einrichtungen: "Wir sind heute durch Gottes Erbarmen in eine Zeit gestellt, in der die Kirche in unserem Land vor lauter Strukturen, Statuten, Sekretariaten und Kommissionen zu einer reinen Organisation zu erstarren droht. Wenn die Struktur stärker ist als das Leben, das von ihr geschützt werden soll, dann wird sie zur Gefahr, das Leben zu erdrücken und zu töten, und dann hat man nur noch Knochen, nur noch Gerüst, nur noch Papier in der Hand. (...) Manche unserer Einrichtungen verdunkeln den katholischen Glauben. Die Apparate sind oft so mächtig geworden, daß wir uns selbst als Bischöfe häufig hilflos und machtlos vorkommen und dann gute Miene zum bösen Spiel machen. In diesen Wust von Apparaten, Strukturen, Zuständigkeiten und Kompetenzen muß der Gottesgeist hineinfahren wie ein Sturm und alles wegblasen, was die Stimme der Kirche, was ihr prophetisches Wort relativiert, was die Leuchtkraft ihrer Botschaft vernebelt."

Die Predigt, die der katholische Würdenträger anläßlich der Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Fulda hielt, löste bei zahlreichen kirchlichen Einrichtungen und Organisationen einen Sturm der Entrüstung aus. Man warf Meisner vor, den Einsatz der Laien nicht zu würdigen. In einem Interview am 5. Oktober 2002 mit der Tagespost wiederholte Meisner seine sachliche Kritik: "Es gibt in katholischen Verbänden viel positives Engagement und Glaubenszeugnis. Aber es kommt eben auch und zunehmend häufiger vor, daß sie als Plattform für die Verbreitung von Irrlichtern dienen." Und weiter führte er aus, daß er mit der Kritik vor allem die Bischöfe in die Verantwortung nehmen wolle, da diese ja die Aufsichtspflicht über den kirchlichen Betrieb hätten, bzw. die Strukturen und Statuten kirchlicher Einrichtungen errichten und anerkennen würden.

Zweites Vatikanische Konzil hat die Kirche "entmannt"

Der Streit, den Kardinal Meisner losgetreten hat, bewegt sich auf zwei Ebenen: Einmal kritisiert er die Glaubenshaltung der im katholischen Apparat Tätigen, zum anderen möchte er den "Wust" und den damit verbundenen Kompetenzwirrwarr beseitigt wissen. Beides ist in der Kirche, wie sie heute in Deutschland strukturell verankert ist, praktisch nicht möglich - Meisners Ausfall ist daher kaum mehr als das Brüllen einen gefesselten Löwen.

Theologisch gesehen - die erste Ebene - hat sich die Kirche durch das vor 40 Jahren, am 11. Oktober 1962, begonnene Zweite Vatikanische Konzil in Rom "entmannt". Denn was ein "neuer Frühling" werden sollte, entpuppte sich schon bald als Katastrophe ungeahnten Ausmaßes: Allein in der kurzen Zeit von 1967 bis 1974 ließen sich rund 35.000 Priester "laisieren". Neue Berufungen tendieren inzwischen gegen Null, so daß in deutschen Diözesen schon seit Jahren Priester aus Indien und Polen "importiert" werden müssen. Angesichts der sich Bahn brechenden Revolution sprach schon der "Konzilspapst" Paul VI. am 26. Juni 1972 von dem "Rauch Satans", der durch "irgendeinen Riß in den Tempel Gottes eingedrungen" sei. Dabei war genau das geschehen, was einflußreiche Geistliche, unter ihnen auch der deutsche Jesuit Karl Rahner, gewollt hatten: Die Öffnung der Kirche zur Welt. Um nur eine zentrale Problemtik aufzugreifen: Verheerende Wirkung hatte und hat das Dekret über die Religionsfreiheit, ein Zugeständnis, das schon von Papst Leo XIII. in seiner Verlautbarung "Libertas proestantissimum" als Schritt zur Gottesleugnung verurteilt wurde. Papst Gregor XVI. sprach in diesem Zusammenhang gar von "Wahnsinn", von Papst Pius IX. mit seinem Verzeichnis (Syllabus) der modernen Irrlehren ganz zu schweigen.

Denn die vor etwa vierzig Jahren verkündete Religionsfreiheit ist nicht einfach ein Beweis der Toleranz, die der Christ in bestimmten Situationen üben soll, sondern sie relativiert in nie da gewesener Weise die katholische Glaubenswahrheit - das nämlich nur innerhalb der einen heiligen katholischen und apostolischen Kirche das Heil des Menschen zu finden ist. Auf diesem Fundament stand die Sorge um das Seelenheil der Heiden, die den Christen praktisch zur Mission "zwang", wollte er sich nicht versündigen. Wenn aber Religionsfreiheit möglich ist, mußte auch den anderen Religionen die Möglichkeit zum Heil innewohnen - wozu also noch die Strapazen der Mission auf sich nehmen? Wozu den Ungläubigen predigen, wozu sie lehren, daß es nur eine Wahrheit gibt?

Von dieser Einsicht war es nur noch ein kleiner Schritt zu dem selbstgebastelten Glauben, von dem Meisner ebenfalls in seiner Predigt sprach, und dessen Zeuge man allenthalben werden kann: Buddhismus meets Jesus, Hexenweisheit tanzt mit der "Heiligen Geistin", Reinkarnationslehre verbrämt sich mit der Bergpredigt. Der moderne "Christ" kann sich frei auf dem Jahrmarkt des Glaubens bedienen, kein Bischof wird ihm sagen können, daß nur sein "Angebot" wirksam ist - solange er nicht zur traditionellen Lehre der Kirche zurückkehrt und die "Selbstzerstörung" (Paul VI. 1968) beendet. Dazu ist aber niemand im höheren Klerus bereit, im Gegenteil. Selbst sogenannte "Superkonservative" wie "Panzerkardinal" Ratzinger, Kardinal Meisner, oder der in St. Pölten residierende Bischof Kurt Krenn beziehen sich fortlaufend auf das Konzil, als habe es nicht vorher zahlreiche andere gegeben, die freilich meist das Gegenteil von dem verkündet haben, was heute allgemeine Lehrmeinung ist. So erklärte auch Bischof Krenn, die aktuelle Krise zeige, daß man sich noch nicht im Geiste des Konzils bekehrt habe (JF 49/01). Die Mühlen Gottes mögen langsam mahlen, aber sind 40 Jahre "Disco-Messe mit´m Keks am Ende" noch immer nicht genug, fragt sich der "normale" Gläubige? Auf der Ebene der Verwaltung ist die Lenkungsmöglichkeit ebenfalls stark eingeschränkt, denn ein weiteres Ziel des Zweiten Vatikanischen Konzils war die "Demokratisierung" der römischen Behörden. Unzählige Konferenzen, Kreise, Versammlungen und Vereine sind aus den Trümmern der zerstörten Hierarchie gewachsen, jeder mit seiner eigenen "Wahrheit". Besonders unangenehme "Partisanen" sind die quasi-kirchlichen Organisationen, die sich zum Ziel gemacht haben, die römische Zentralgewalt - den Papst und seine Behörden - konsequent zu bekämpfen: Die "Initiative Kirche von unten (Ikvu)", das "Kirchen Volks Begehren (KVB)", "Wir sind die Kirche (WsK)", aber auch das unselige "Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK)", mit dem nicht von ungefähr Wolfgang Thierse (SPD) eng verbunden ist. Sie haben meist eigene Geldquellen, so daß sie auch nicht durch Geldentzug diszipliniert werden können, falls die Kirchenleitung überhaupt solche drastischen Maßnahmen wagen würde.

Die katholische Kirche bezieht - wie auch andere Glaubensgemeinschaften - Geld aus vielen Quellen. Die bekannteste ist die staatlich eingezogene Kirchensteuer. Hinzu kommen die üblichen Kollekten, Spenden, Stipendien und die Entgelte für kirchliche Handlungen. Weiterhin die Einkünfte aus Vermögen und Verpachtung, aus der Führung kircheneigener Betriebe und den Beteiligungen an Firmen, Banken usw. Schließlich die positiven und negativen Staatsleistungen. Die Kirchensteuer ist im Grundgesetz verankert: Artikel 140 umfaßt die Kirchenartikel 136 bis 141 der Weimarer Reichsverfassung von 1919. Die entscheidende Bestimmung hinsichtlich der Kirchensteuer lautet: Die Religionsgesellschaften, welche Körperschaften des öffentlichen Rechtes sind, sind berechtigt, aufgrund der bürgerlichen Steuerlisten nach Maßgabe der landesrechtlichen Bestimmungen Steuern zu erheben. Das aus dem Artikel 137(6) abgeleitete Recht, Steuern zu erheben, hat Verfassungsrang und ist an den Status der "Körperschaft des öffentlichen Rechts" geknüpft.

Der Einzug der Kirchensteuer ist nicht durch das Grundgesetz garantiert, er basiert auf Ländergesetzen. Die Kirchensteuer ist an die Lohn- und Einkommenssteuer gekoppelt und beträgt (nach Bundesland unterschiedlich) acht bis neun Prozent der Lohn- und Einkommenssteuer. Sie wird von den Finanzbehörden der Bundesländer eingezogen. Die Länder behalten als Entgelt für den Einzug der Kirchensteuer je nach Bundesland unterschiedlich zwei Prozent (Bayern) bis 4,5 Prozent (im Saarland) des Kirchensteueraufkommens ein. Die Kirchensteuereinnahmen der römisch-katholischen und der evangelischen Kirchen, betrugen 1970 3,9 Milliarden Mark und stiegen bis 1992 auf 17,3 Milliarden an. Seit 1993 stagnierten die Zuwächse des Kirchensteueraufkommens. 1996 nahm es gegenüber dem Vorjahr um circa drei Prozent ab. Seit 1998 nehmen die Kirchensteuereinnahmen wieder zu.

Die Höhe der Kirchensteuereinkünfte wird infolge ihrer Anbindung an die Lohn- und Einkommenssteuer durch viele Faktoren beeinflußt, beispielsweise von wirtschaftlichen Faktoren: Weil die Höhe der Lohn- und Einkommenssteuer abhängig ist von der Konjunktur, vom Ausgang von Tarifverhandlungen und vom Umfang der Beschäftigung/Arbeitslosigkeit, schwankt das Kirchensteueraufkommen in entsprechender Weise.

Auch finanzpolitische Entscheidungen wirken sich aus: Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes, die Besteuerung des Existenzminimums für unzulässig zu erklären, wird nach bisheriger Schätzung dazu führen, daß etwa zwei Milliarden Mark an Kirchensteuern weniger eingenommen werden.

Der Anteil der Kirchensteuer beträgt bei evangelischen Landeskirchen im Durchschnitt siebzig Prozent, bei den römisch-katholischen (Erz-) Bistümern circa achtzig Prozent des Haushalts. Zur Ausgabenstruktur auf der Ebene eines katholichen Bistums können die folgenden Angaben aus dem Jahre 1996 (in DM) zur Erzdiözese Köln als repräsentativ auch für andere Kirchenprovinzen angesehen werden: 415 Millionen (39,19 Prozent) für allgemeine Seelsorge, 189 Millionen (17,87 Prozent) für soziale Dienste, 145 Millionen (13,66 Prozent) für Schule und Bildung, 99,9 Millionen (9,42 Prozent) für gesamtkirchliche Aufgaben, 75,44 Millionen (7,11 Prozent) für Verwaltungskosten/Finanzausgleich, 65,5 Millionen (6,17 Prozent) für Leitung, 48,57 Millionen (4,58 Prozent) für besondere Seelsorge, 21,1 Millionen (zwei Prozent) für Finanzen/Versorgung. Bemerkenswert ist der Einsatz und die Finanzierung der rund 48.000 Mitarbeiter der Erzdiözese Köln: 29.200 Mitarbeiter für Krankenhäuser und Heime werden ohne Kirchensteuer bezahlt, 2.800 Mitarbeiter in Schulen/Hochschulen bekommen zehn Prozent Kirchensteuer, Caritaspflegestationen mit 2.200 Mitarbeitern erhalten zwanzig Prozent Kirchensteuer, Kindergärten und Ausländerzentren mit 6.300 Mitarbeitern bekommen 25 Prozent, Bildungshäuser und Beratungsstellen mit 1.000 Mitarbeitern erhalten fünfzig Prozent und Seelsorge, Ausbildungs- und wissenschaftliche Einrichtungen des Bistums sowie die Verwaltung des Bistums und der Caritasverbände werden zu hundert Prozent durch die Kirchensteuer finanziert.

Die Kirche ist gefesselt in den institutionellen Gliederungen

Ganz erheblich unterstützt der Staat die Kirche, indem er sie steuerlich entlastet: Befreiung von der Körperschaftssteuer (wie alle Körperschaften des öffentlichen Rechts) außer bei "kapitalistischer" Betätigung (beispielsweise Kirchturmbesteigung gegen Entgelt). Alles, was überwiegend kirchlichen Zwecken dient, wird nicht besteuert (Internate, Studentenheime). Erhebung von Vermögens- und Gewerbesteuer nur bei wirtschaftlichem Geschäftsbetrieb, ausgenommen land- und forstwirtschaftlicher Bereich (Hotels und Brauereien werden besteuert, Alten- oder Pflegeheime jedoch nicht), generelle Befreiung von Erbschafts- und Schenkungssteuer sowie von der Grundsteuer, soweit das Geld für Zwecke der religiösen Unterweisung, der Wissenschaft, des Unterrichts, der Erziehung oder für Zwecke der eigenen Verwaltung benutzt werden, Erlaubnis zur Inanspruchnahme umsatzsteuerfreier Leistungen und Lieferungen (zum Beispiel die Kollekte, Kirchenchordarbietungen). Ermäßigter Steuersatz für Umsätze der kirchlichen Zweckbetriebe, Steuerbefreiung für Umsätze im Wohlfahrtsbereich (Krankenhaus), Steuerfreiheit nach dem Rennwett- und Lotteriegesetz des Bundes und nach den Vergnügungssteuersätzen einzelner Länder, Steuervergünstigungen auch für Organisationen privaten Rechts der Kirchen, wenn sie ausschließlich und unmittelbar kirchlichen, gemeinnützigen oder mildtätigen Zwecken dienen.

Angesichts des gigantischen Vermögens, das der Kirche in Deutschland zur Verfügung steht, scheint es für viele Menschen unverständlich, von Krise und Niedergang zu reden. Wer aber erleben durfte, wie kompliziert es ist, eine theologisch bedenkliche Kindergärtnerin oder einen "progressiven" Gemeindereferenten loszuwerden, der wird sich durch den materiellen Wohlstand nicht täuschen lassen. Die Kirche in Deutschland ist physisch gefesselt in ihren verwickelten institutionellen Strukturen und gelähmt durch eine selbstmörderische Theologie - Kardinal Meisner benennt die Symptome, aber eine wirksame Medizin hat er deswegen noch lange nicht gefunden.

Katholischer Pfarrer aus Augsburg segnet Delphine in schweizerischem Vergnügungspark: Öffnung der Kirche "zur Welt" gerät zum Klamauk


 
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