© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    44/02 25. Oktober 2002

 
Henker und Opfer auf die gleiche Anklagebank
Kroatien: Der 83jährige Volksheld General Bobetko soll an das Haager Kriegsverbrecher-Tribunal ausgeliefert werden
Carl Gustaf Ströhm

Vor einem illustren Publikum in der steirischen Landeshauptstadt Graz trat vor einigen Tagen ein alter Herr auf, der gewiß jede Aufmerksamkeit verdient: Otto von Habsburg, Sohn des letzten österreichischen Kaisers und damit zumindest theoretisch Thronfolger. In seinem Vortrag vor der Grazer Akademie kam der langjährige CSU-Europaparlamentarier auch auf ein besonders delikates Kapitel gegenwärtiger kroatischer Politik zu sprechen. Es geht um das Auslieferungsbegehren, welches das Haager Kriegsverbrecher-Tribunal an die kroatische Regierung gerichtet hat: die Haager, vor allem die aus der Schweiz stammende ehrgeizige Anklägerin Carla del Ponte verlangen die Überstellung des pensionierten, heute 83jährigen kroatischen Generals Janko Bobetko wegen angeblicher Kriegsverbrechen während des vaterländischen Krieges gegen die Serben und die jugoslawische "Volksarmee" in den Jahren 1991 bis 1995.

Nun ist aber General Bobetko nicht irgendein Offizier. Er war damals Chef des Generalstabes der aus dem Boden gestampften kroatischen Streitkräfte. Er gilt als einer der Freiheitshelden, der die Unabhängigkeit des Staates überhaupt erst möglich machte. Ihn auszuliefern und vor Gericht zu stellen, würde dem kroatischen Selbstwertgefühl einen schweren, möglicherweise irreparablen Schlag versetzen.

Der Kaisersohn aus dem Hause Habsburg, der am 20. November in voller geistiger Frische seinen 90. Geburtstag feiern wird - und der aus bescheidenen Verhältnissen stammende Bobetko, der kommunistischer Partisan und Tito-Offizier war, bevor er von der KP als kroatischer Nationalist abgestraft und erst von Präsident FranjoTudjman im Unabhängigkeitskrieg reaktiviert wurde, mögen eine ungewöhnliche Kombination sein. Aber von Habsburg merkte - als einziger westlicher Politiker - worum es ging. Vor seinen Grazer Zuhörern erklärte er, daß es sich bei diesem Auslieferungsbegehren nicht um das Schicksal einer Person, sondern um einen Angriff auf Kroatien als Ganzes handle. Damit solle die Geschichte "umgelogen" und die Täter und Aggressoren des Jugoslawien-Krieges mit den Opfern auf eine Stufe gestellt werden. General Bobetko, so das Resümee des Thronfolgers, dürfe deshalb auf keinen Fall nach den Haag ausgeliefert werden.

Wenn Bobetko zur Disposition steht, dann steht der ganze Unabhängigkeitskrieg und die ganze Armee, die ihn siegreich führte, zur Disposition. Dann werden aus den Helden, die an vorderster Front Leben und Gesundheit aufs Spiel setzten, gewöhnliche Verbrecher. Das aber stimmt genau mit der Linie einiger kroatischer Links-Medien überein, die den hochdekorierten General lieber heute als morgen nach den Haag ausliefern würden. Dabei sind die Vorwürfe, die gegen den General laut werden, eher schwachbrüstig: Er habe Greueltaten seiner Truppen gegen die Serben nicht verhindert. Nicht einmal die Anklage behauptet, daß Bobetko solche Verbrechen persönlich angeordnet oder sich gar an ihnen beteiligt habe.

Vergessen oder bewußt unterschlagen wird dabei, daß sich große Teile der serbischen Minderheit 1990 dazu hinreißen ließen, einen bewaffneten Aufstand gegen die demokratisch gewählte Zagreber Regierung zu beginnen und daß die Stimmung unter den kroatischen Verteidigern dementsprechend aufgeheizt war.

Es zählt zu den großen Leistungen führender kroatischer Militärs - Bobetko gehört hier zweifellos an die erste Stelle - aus dem Nichts eine schlagkräftige Armee geschaffen zu haben, der es gelang, den Vormarsch der Serben und Jugo-Truppen gegen Kroatien zu stoppen. 1992 gelang es, die serbisch-montenegrinische Belagerung der dalmatinischen Hafenstadt Dubrovnik (Ragusa) zu durchbrechen. Dann schaffte man es, das Hinterland der Adria und West-Slawonien zu befreien und schließlich in der "Operation Gewittersturm" 1995 die Krajina mit Knin als Hauptstadt, die sich als "Serbische Republik" etabliert hatte, zurückzugewinnen.

Es ist jedenfalls bezeichnend, daß beim Haager Tribunal ein offensichtliches Interesse besteht, durch die "Befehlshaber-Verantwortlichkeit" jeden (kroatischen) General für Verfehlungen seiner Truppen verantwortlich zu machen. Im klinisch "sterilen" Haager Gerichtssaal werden von Personen, welche mit der spezifischen Situation Tito-Jugoslawiens, mit aufgehäuften Nationalitätenproblemen usw. nicht vertraut sind, Verfahren eröffnet nach dem Motto "Eins links, eins rechts, eins fallenlassen". Die schon aufgrund ihrer "linken", wendekommunistischen Provenienz weitgehend anationale kroatische Linksregierung mußte sich im Fall Bobetko zu wehren beginnen, weil sonst die Gefahr einer innenpolitischen Destabilisierung bis hin zu Straßenunruhen bestehen könnte.

Die Regierung Racan ließ zunächst durch Vizepremier Goran Granic ausrichten, das Auslieferungsbegehren widerspreche der kroatischen Verfassung. Was aber ist dann mit den anderen, jüngeren Generälen? Sollen auch sie ausgeliefert werden? Einer von ihnen, General Ante Gotovina hält sich versteckt. General Mirko Norac steht in Rijeka wegen angeblicher Kriegsverbrechen vor einem kroatischen Gericht, ohne das ein Ende des Prozesses abzusehen wäre. Bezeichnend ist jedenfalls, daß die katholische Kirche Kroatiens sich auf die Seite des alten Generals gestellt hat. Der Zagreber Erzbischof, Josip Bozanic, sagte, er freue sich, daß das kroatische Volk in dieser Frage einig sei. Heute, so sagte der Vorsitzende der kroatischen Bischofskonferenz, wolle man den Henker und sein Opfer auf die gleiche Anklagebank setzen. Das war eine Anspielung auf Serbiens Ex-Präsident Slobodan Milosevic.

Während Staatspräsident Stipe Mesic zum Entsetzen der Mehrheit der Kroaten für "Auslieferung" plädiert, will die Linksregierung das Problem durch Umgehung lösen. Der alte General, so heißt es, sei angesichts seines hohen Alters nicht mehr vernehmungsfähig. Es bleibt das ungute Gefühl, hier solle nicht Recht gesprochen, sondern Politik gegen die Kroaten gemacht werden, die sich nicht ins westliche "Balkan"-Konzept einfügen wollen. Für die Stabilität des Raumes zwischen Adria und Donau ist das kein gutes Omen.


 
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