© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    44/02 25. Oktober 2002


EU-Absolutismus
von Catherine Owerman

Beim zweiten Mal hat es also geklappt. Die Iren haben in einer neuen Volksabstimmung den Vertrag von Nizza mit deutlicher Mehrheit gebilligt. Alles Jubelgeschrei aus Brüssel, nun sei der Weg für die Osterweiterung frei, vernebelt jedoch das Historische dieses Tages: Erstmals wurde in Irland eine neue Form europäischer Dampfwalzendemokratie praktiziert, deren Grundprinzip in der Aufhebung der Wahlmöglichkeiten besteht: Gewählt wird solange, bis das Ergebnis paßt. Erstaunlich ist, daß diese Perversion der Demokratie bei den sonst so beflissenen linksliberalen Verteidigern derselben nur matten Widerspruch erregte. Mehr und mehr fallen Europas politische Eliten in die Rolle "aufgeklärter Absolutisten", wie der Historiker Michael Stürmer in der Kontroverse um den Maastricht-Vertrag anmerkte.

Der Vertrag von Nizza ist ein politischer Kuhhandel, der die Bürger über die zentrale Frage der Kompetenzverteilung zwischen Brüsseler Zentrale und nationalen Mitgliedsstaaten weiter im Unklaren läßt. Um eine auf zwei Dutzend und mehr Mitglieder angeschwollene EU nicht völlig zu lähmen, sollen die Veto-Möglichkeiten eingeschränkt werden. Damit wurde in Nizza die Erweiterung mit einer weiteren Zentralisierung der EU verknüpft, denn das Mehrstimmigkeitsprinzip ist ein entscheidender Schritt in Richtung eines EU-Zentralstaats. Dagegen richtete sich das Nein der Iren: gegen die Entmachtung der nationalen Demokratien! Nicht gegen die Aufnahme der vom Kommunismus geschundenen Ostländer in die europäische Familie.


 
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