© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/02 18. Oktober 2002

 
Neue Technologien: Nanotechnologie
Ein Haar wird riesig
Angelika Willig

Die große Nachricht der letzten Woche ist der Medizin-Nobelpreis für Sydney Brenner, Robert Horvitz und John Sulston. Wie heute häufig, werden mehrere Wissenschaftler ausgezeichnet, die an verschiedenen Orten zum gleichen Thema gearbeitet haben. In diesem Fall ist es die Apoptose, der genetisch programmierte Zelltod, der nicht etwa erst im fortgeschrittenen Alter eintritt, sondern täglich einige Milliarden Mal. Ziel der Apoptose-Forschung ist die Bekämpfung von Krankheiten, bei denen der Zelltod entweder zu oft (Autoimmunerkrankungen) oder zu selten (Tumore) eintritt. Das Geheimnisvolle ist, daß das Todesgen auch in Krebszellen vorhanden und sogar aktiv ist, aber nicht stark genug. Woran das wieder liegt, bleibt noch zu erforschen. Doch schon bevor man alles völlig durchschaut hat, lassen sich oft wirksame Medikamente herstellen. Wäre das nicht so, könnte man an der Medizin verzweifeln, denn "ganz und völlig durchschaut" ist immer noch sehr wenig im Körper.

Die kleine und vielleicht noch erstaunlichere Nachricht aus der Krebs-Forschung spielt sich in Nano-Dimensionen ab, die für den Laien genauso unvorstellbar sind wie astronomische Größen. Die "Nano-Klinik", die US-Forscher gebaut haben, ist gerade 32 millionstel Millimeter groß. Um sie überhaupt wahrnehmen zu können, sei es auch unter einem supermodernen Mikroskop, müssen mit Farbstoffmolekülen Markierungen angebracht werden, die auf Infrarotstrahlung reagieren. Wozu braucht man so winzige Objekte? Die Idee der Nanotechnik geht davon aus, daß die entscheidenden Vorgänge, nicht nur in der Medizin, sich auf der molekularen Ebene abspielen. Der effizienteste Eingriff sollte also am einzelnen Molekül ansetzen. Jede andere Methode, wie sie notgedrungen bisher geübt wurde, gleicht dem Gießkannenprinzip. Markantes Beispiel dafür ist die sogenannte Chemotherapie. Es werden massenhaft wichtige Zellen zerstört, so daß der Patient fast umkommt, um dabei mit etwas Glück auch die Krebszellen zu erwischen. Die Nanotechnik verfolgt das gegenteilige Prinzip. Man will Nano-Roboter erzeugen, die einzelne Moleküle fassen und versetzen können. Damit könnte der Mensch sich seine eigene Welt bauen wie ein Kind mit den Legoklötzchen. Soweit ist es noch nicht. Doch auf der Zellebene wird schon erfolgreich operiert. Da begibt sich der Patient nicht mehr in die Klinik, sondern umgekehrt: Die "Nano-Klinik" wird in die Blutbahnen eingeschleust und an die Krebsherde transportiert. Das winzige Teilchen besteht aus Eisenoxid. Nun erzeugen die Forscher ein Magnetfeld, die Teilchen bewegen sich dorthin, durchstoßen dabei die Membran und zerstören die Krebszelle. Die Schwierigkeit liegt darin, die kranken Zellen von den gesunden zu unterscheiden. Dabei macht man sich einen Rezeptor zunutze, durch den die Krebszelle ein bestimmtes Hormon erkennt. Mit einer Nachbildung davon wird das Eisenoxid eingestrichen - ein klassischer Köder - und die Krebszelle öffnet ihrem Mörder eigenhändig die Tür. Ob das in der Praxis zuverlässig klappt, soll sich erst zeigen. Wenn ja, wäre der menschlichen Intelligenz mal wieder ein Meisterstück gelungen.

Weniger bewundernswert ist unsere Rolle im Umgang mit anderen Spezies. Der britische Primatenforscher Redmond Ian klagt, daß ein Drittel der Primatenarten kurz vor dem Aussterben stünde. Es sind nicht nur die kleinenMeerkatzenartigen, wie Pippi Langstrumpf einen hatte, sondern auch große Menschenaffen, der Orang-Utan in Sumatra und der Berggorilla. In Afrika wird ihr Fleisch noch immer gegessen oder für religiöse Rituale verwendet - abgesehen von der Verwüstung der Wälder, die ihren Lebensraum darstellen. Die Umweltschutzorganisation Conservation International hat den Appell aufgenommen und bestätigt. Reichen wird das wahrscheinlich nicht. Der Mensch scheint zwei Gehirne zu haben, ein technisches, das immer besser wird, und eines, das sich seit der Steinzeit nicht verändert hat.


 
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