© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/02 18. Oktober 2002

 
Wer zu spät kommt, wird mit 45 Euro bestraft
Verkehrspolitik: Deutsche Bahn erhöht Fahrpreise für Stammkunden / Rabatte nur für "Frühbucher" / Wenig Alternativen
Jörg Fischer

Mit einem Millionenaufwand wirbt die Deutsche Bahn AG (DB) seit letzter Woche für ihr neues Preissystem, das nach dem Fahrplanwechsel vom 15. Dezember an gelten soll. "Einfach und transparent" sei es, "familienfreundlich preiswert" und die neue Bahncard sei sogar "deutlich günstiger".

Die Bahn starte mit der Preisreform "in eine neue Ära", erklärte DB-Vorstandschef Hartmut Mehdorn auf einer großen Pressekonferenz euphorisch. Bahnfahren werde "für Millionen Reisende billiger und so günstig wie nie zuvor". Im Schnitt würden die Tarife um zwölf Prozent sinken, in der Spitze sogar um 73 Prozent, so Mehdorn. Die Preise bei Strecken über 180 Kilometer reduzierten sich um bis zu einem Viertel, Kinder unter 14 reisen umsonst.

Das hört sich gut an, und so war es nicht überraschend, daß das neue DB-Konzept nicht nur von den meisten Medien, sondern auch von den oftmals kritischen Fahrgast- und Umweltverbänden begrüßt wurde. Die Bahn habe "ihre Hausaufgaben gemacht", lobte etwa Dirk Flege, Chef des Verbandes "Allianz pro Schiene", die Preisreform.

Doch die neuen Rabatte gelten nur für Bahnfahrer, die mindestens eine Woche im voraus ihre Fahrkarte für einen genau bestimmten Zug und eine festgelegte Abfahrtszeit kaufen, was Anna Brunotte, die telegene oberste Tarifexpertin der DB, so kommentierte: "Ein völlig gerechtes Preissystem hat es noch nie gegeben und wird es auch nicht geben können." Dafür schufen in mehrjähriger Arbeit fast 500 Fachleute für die etwa 22 Millionen DB-Verbindungen ein Preissystem nach dem Vorbild der Fluglinien: schließlich kommen sowohl Brunotte wie DB-Fernverkehrschef Hans Gustav Koch von der Deutschen Lufthansa. DB-Chef Mehdorn selbst begann seine Karriere 1964 als Ingenieur bei den Bremer Vereinigten Flugzeugwerken, bis 1995 war er beim Luftfahrtkonzern Dasa tätig.

Doch langsam regt sich Protest: "Die neuen Preise sind reine Abzockerei der Kunden", meinte der Präsident des Sozialverbands VdK Deutschland, Walter Hirrlinger (SPD). Rund 820.000 ältere, chronisch kranke oder behinderte Menschen besitzen eine Senioren-BahnCard, die 50 Prozent Rabatt bietet, der künftig wegfallen wird.

"Besonders kritikwürdig sind die hohen Storno- bzw. Umtauschgebühren von 45 Euro bei der Rückgabe der sogenannten Plan & Spar-Fahrkarten im Fernverkehr", erklärte Peter Eichenseher, verkehrspolitischer Sprecher der grünen NRW-Landtagsfraktion, letzten Dienstag. "Die Bahn muß endlich begreifen, daß ihr Hauptkonkurrent nicht das Flugzeug, sondern das unschlagbar flexible Auto ist. Bei der Autofahrt muß ich auch keine 45 Euro Gebühr zahlen, wenn ich eine Stunde später als geplant fahre. Die erreichte Flexibilität beim Bahnfahren durch den Aufbau von Taktfahrplänen darf nicht durch die Preisgestaltung unterlaufen werden."

Das wissen die erfolgreichen Schweizerischen Bundesbahnen schon lange: "Zwischen Zürich und Bern fährt alle 30 Minuten ein Zug. Für unsere Kunden wäre es undenkbar, sich auf einen bestimmten Zug festlegen zu müssen", erläuterte SBB-Chef Benedikt Weibel kürzlich in der 3sat-Sendung "Grenzenlos". Daher warnt Eichenseher zu Recht: "Werden die Bahnpläne unverändert umgesetzt, stößt die Bahn ihre besten Kunden vor den Kopf."

Leute, die aus privaten oder beruflichen Gründen flexibel sein müssen (und wer muß das in Zeiten von vier Millionen Arbeitslosen nicht), Kurzentschlossene, Vielfahrer und Wochenendpendler werden ab 15. Dezember eindeutig benachteiligt und zahlen 25 Prozent drauf. Die Bahncard kostet zwar nur noch 60 Euro, dafür wurde der Rabatt aber von 50 auf 25 Prozent halbiert.

Genau 102,20 Euro kostet bislang eine BahnCard-Fahrt von Berlin nach München und zurück, in zwei Monaten sind 125,40 Euro zu berappen. Nur wer sieben Tage vorher "bucht" und zusätzlich übers Wochenende bleibt, kann zum "Plan & Spar-Preis" von 75,30 Euro reisen. Wer aber den "gebuchten" Zug verpaßt oder mit einem anderen Zug fahren will, für den wird es teuer: Er muß 45 Euro "Strafe" zahlen, plus die Differenz zum "Normalpreis" - ein teures Vabanque-Spiel. Und 45 Euro werden auch fällig, wenn der Fahrpreis darunter liegt: Rabatt-Fahrkarten unter etwa 250 Kilometer Strecke taugen dann nur noch für den Papierkorb. Da ist der Ärger vorprogrammiert!

Gleichzeitg will die Bahn aus Kostengründen weitere Fahrkartenschalter schließen. Laut Süddeutscher Zeitung sollen von den knapp 900 "Reisezentren" bis 2005 nur noch 450 übrig bleiben. Sogar die Zahl der Automaten für den Fernverkehr soll von 3.000 auf unter 2.300 verringert werden. Wie so die Auslastung der DB-Fernzüge von durchschnittlich 40 auf 60 Prozent wachsen soll, bleibt ein DB-Geheimnis.

Doch wer auf die Bahn angewiesen ist, hat kaum Alternativen. Das Flugzeug ist nur in Teilbereichen ein Wettbewerber, denn es erschließt nur Ballungsräume, Fernbuslinien gibt es kaum. Bleibt lediglich der Pkw mit seinen bekannten ökologischen Nachteilen.

Wer allerdings an der Strecke Rostock-Berlin-Leipzig-Gera wohnt, hat schon heute eine kostengünstige Alternative: Die französische Connex-Gruppe macht seit März 2002 der DB auf dieser Relation erfolgreich Konkurrenz.

Während eine Fahrt von Berlin nach Leipzig bei der DB bislang mit BahnCard 16,70 Euro kostet (bald sogar 24,90 Euro), verlangt man im InterConnex-Zug nur 12,95 Euro - ohne BahnCard. Die Fahrkarte kann streßfrei im Zug gekauft werden - einfach einsteigen und mitfahren! Vielfahrer zahlen für die Reise sogar nur 11,01 Euro - dank Zehnerkarte. Ab 2003 will der private Wettbewerber weitere Verbindungen anbieten.


 
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