© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/02 18. Oktober 2002

 
Wer und was kommt nach Schröder?
Außenpolitik: Die Verstimmung zwischen Deutschland und den USA wird unter Kanzler Schröder bleiben
Wolfgang Seiffert

Es mag vermessen erscheinen, vierr Wochen nach der Wahl, die Rot- Grün knapp gewann, die Frage zu stellen, wer und was nach Schröder kommt. Indessen das knappe Wahlergebnis und vor allem die Art und Weise, wie der Kanzler die Wahl schließlich zu seinen Gunsten entschied, rechtfertigen völlig solche Fragestellung. Hinzu kommt, daß viele politische Kräfte Rolle und Position der SPD verkannten und verkennen - Kräfte rechts von der CDU ebenso wie links von der PDS. Die Frage ist also eine prinzipielle.

Da ist zunächst und hauptsächlich die Irak-Problematik, so wie sie von der SPD im Wahlkampf instrumentalisiert wurde. Heute zweifelt niemand daran, daß Gerhard Schröder damit Stimmungen erzeugte bzw. verstärkte, Deutschland laufe Gefahr in einen Krieg gegen den Irak hineingezogen zu werden, aber unter ihm werde es in keinem Falle eine Teilnahme Deutschlands geben und zwar auch dann nicht, wenn der Sicherheitsrat der Uno etwas derartiges beschließe. Niemand zweifelt auch daran, daß diese Haltung, neben der Jahrhundertflut, den Wahlausschlag zugunsten von Rot-Grün herbeiführte.

Doch alle Argumente Schröders für seine Irak-Haltung waren falsch, und die Stunde der Wahrheit rückt immer näher, denn trotz anderslautender Erklärungen nach den Wahlen: Berlin wird diese Haltung nicht dauerhaft durchhalten können. Schon wurde von SPD-Politikern dementiert, man würde im Falle eines Krieges gegen den Irak Überflugrechte für die USA verweigern. Das ist auch tatsächlich wie rechtlich unmöglich, weil die USA Stationierungsrechte in Deutschland haben, die sie bei einem Krieg gegen den Irak natürlich bei Bedarf nutzen werden. Damit aber ist Deutschland zumindest indirekt am Krieg gegen den Irak beteiligt, ob es das will oder nicht. Hinzu kommt, daß Beschlüsse des Sicherheitsrates der Uno für die Mitgliedsstaaten verbindlich sind.

Eine neue Uno-Resolution aber wird es vor dem Einsatz von Inspekteuren im Irak geben und zwar nicht nur mit den Stimmen der USA und Großbritanniens, sondern auch mit denen Frankreichs und Rußlands, wenn letztere auch einen Automatismus von Militäreinsätzen zumindest abschwächen werden. Und auch China wird wohl kein Veto im UN-Sicherheitsrat einlegen, sondern sich bestenfalls der Stimme enthalten. Will und wird Schröder sich auch einer so zustande gekommenen neuen UN-Resolution widersetzen?

Damit aber manövrierte er Deutschland außerhalb des Völkerrechts. Denn auch die These, ein Militärgesetz gegen den Irak sei völkerrechtswidrig, steht dann auf schwachen Füßen. Einmal wird in der Resolution nichts vom Sturz des irakischen Diktators stehen. Zum anderen wäre eine solche Resolution - je nach Inhalt - auch als Weiterentwicklung des Völkerrechts interpretierbar; denn wo entsteht neues Völkerrecht, wenn nicht in den Resolutionen der Uno bzw. in der Staatenpraxis? Vielleicht aber folgt dann Schröder dem Pragmatismus des russischen Präsidenten, der sich in der Außenpolitik schon lange an die Maxime amerikanischen Pragmatismus hält: "If you can not beat them, joint them"?

Dies zu glauben fällt schwer, obwohl sich auch aus solcher neuen Uno-Resolution kein Zwang zur Entsendung deutscher Soldaten ableiten ließe. Auch insoweit ist die These Schröders, unter seiner Führung werde es keine Entsendung deutscher Soldaten in den Irak geben, schlicht falsch. Einmal folgt solches nicht aus Uno-Resolutionen, zum anderen liegt es nicht in der Kompetenz des Kanzlers, sondern in der des Bundestages. Wie sich die Dinge entwickelt haben, in der Uno, im Sicherheitsrat, in den deutsch-amerikanischen Beziehungen: die Verstimmung zwischen Deutschland und den USA ist so tiefgehend, daß sie unter Kanzler Schröder nicht mehr überwunden werden kann.

Aber vielleicht will Schröder wirklich einen neuen "Deutschen Weg"? Manche Linke in der SPD, wie etwa der SPD- Bundestagsabgeordnete Hermann Scheer, scheinen dies zu glauben und verteidigen ihren Parteichef öffentlich mit Argumenten, die Schröder nie benutzt hat und wohl auch nie benutzen wird, nämlich der These, es ginge den USA im Irak ausschließlich oder doch vorrangig um Öl. Aber auch rechte Gruppierungen unterstützen Schröder manchmal mit dem Argument, er habe "gesundes Volksempfinden" gezeigt.

Wenn Schröder einen solchen Weg neuer deutscher Außenpolitik irgendwann tatsächlich gewollt haben sollte, dann hat er den Zeitpunkt verpaßt. Diese Möglichkeit nämlich war die Nato-Militäraktion gegen Jugoslawien. Sie erfolgte ohne Mandat der Uno. Deutschland konnte sich auf seine Verpflichtungen aus dem Zwei-Plus-Vier-Vertrag berufen, niemals deutsche Truppen ohne Uno-Mandat im Ausland einzusetzen.

Doch damals handelten Schröder und Außenminister Fischer genau anders herum und begingen, was ich den "Sündenfall des vereinigten Deutschlands" genannt habe. Der Unterschied zu heute: dies geschah nicht während eines Wahlkampfes, sondern danach. Insofern bleibt also die Haltung Schröders heute nichts weiter als ein Wahlmanöver. Hierin aber liegt auch die Crux des Schröderschen Wahlkampfes: natürlich möchte er die Dinge heute nicht mehr so wie im Wahlkampf sehen und doch kann er nicht einfach schon vier Wochen nach der Wahl wieder davon abrücken.

Was also tun? Versucht wird alles mögliche; Reisen nach London und Paris; geplante Besuche Fischers in Washington. Doch das alles brachte bisher nichts und wird nichts Grundlegendes ändern. Nur: Deutschland kann nicht lange in dieser ungeklärten Lage bleiben.

Da erscheint die Berufung von Wolfgang Clement zum "Superminister" in ganz neuen Licht. Natürlich hat Schröder diesen "Mann seines Geistes" von Düsseldorf nach Berlin vor allem deshalb geholt, um ein schon einmal gebrochenes Wahlversprechen, nämlich das der Senkung der Zahl der Arbeitslosen anzugehen. Aber in der Wirkung geht diese Berufung weiter und tiefer, als Schröder vielleicht ahnt.

Mit Clement wird der neoliberale Wirtschaftskurs der SPD verstärkt, festgeschrieben und treibt die Wandlung der SPD in eine kleinbürgerliche Partei fern von sozialdemokratischer Tradition weiter voran. Für letztere bleibt nur Denkmalspflege für den vor zehn Jahren verstorbenen Willy Brandt. Damit folgt die SPD einer Tendenz, wie wir sie in Westeuropa generell feststellen: die Sozialdemokratie als politischer Faktor ist tot, aber sie wandelt sich zu einer kleinbürgerlichen Partei. Die PDS mit ihrem Anbiederungskurs an die SPD hat die Wahlen ja auch gerade deshalb verloren, weil der Partner, den sie suchte, gar nicht mehr existiert. Wenn es Clement gelingt, auf diesem neoliberalen Wirtschaftskurs Erfolg zu haben, hat Schröder die Chance, aus dem Dilemma der deutsch-amerikanischen Beziehungen herauszukommen, indem er Clement zu seinem Nachfolger macht. In ein, zwei oder vier Jahren.

 

Prof. Dr. Wolfgang Seiffert war bis 1994 Direktor des Instituts für osteuropäisches Recht der Universität Kiel und lehrt jetzt am Zentrum für deutsches Recht der Russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau.


 
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