© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/02 18. Oktober 2002


Christoph Böhr
Mit dem Strom
von Peter Freitag

Der Titel seiner philosophischen Dissertation könnte das Dilemma des rheinland-pfälzischen CDU-Vorsitzenden Christoph Böhr nicht besser beschreiben: "Popularität als Programm und Problem". Bei den Landtagswahlen im Jahre 2001 mußte er als Spitzenkandidat gegen den Ministerpräsidenten Kurt Beck eine schwere Niederlage einstecken. Popularität diente dem kumpelhaften Amtsinhaber als Programm, dem intellektuellen Herausforderer geriet dies zum Problem. Im verheerenden Wahlergebnis von nur 35 Prozent in Helmut Kohls Heimatland spiegelte sich die mangelnde Akzeptanz des Trierer CDU-Fraktionsvorsitzenden im Volk wider. Daß er andererseits unbestritten einer der wenigen intellektuellen Köpfe der Union ist, davon zeugt nicht nur seine Magna-cum-laude-Promotion.

Als Vorsitzender der Wertekommission des Bundes beschäftigt sich der 1954 in Mayen nahe der Abtei Maria-Laach geborene Böhr mit der programmatischen Substanz der C-Partei. Widersprüchliches aus seinem Munde ist dabei keine Seltenheit. Konservativ gab er sich mit seiner Haltung zum Embryonenschutz sowie mit seiner Forderung, ausländischen Kindern ohne Deutschkenntnisse müsse der Zugang zu deutschen Schulen verwehrt bleiben, um ein weiteres Absinken des Bildungsniveaus zu verhindern.

Andererseits sprach Böhr, der seit 1987 im Landtag sitzt, wiederholt von schwarz-grünen Bündnissen als "verlockender Option". Dabei sind gerade die Grünen mitverantwortlich für ein Phänomen, das Böhr in einem Zeitungsartikel kürzlich so beschrieb: Daß durch die "Zertrümmerung fast aller handlungsleitender Autoritäten" ein "Lebensgefühl nahezu ungebundener Beliebigkeit" entstehen konnte. Seine Partei, der Böhr seit 1970 angehört und deren Jugendorganisation er zwischen 1983 und 1989 anführte, sei nicht mehr im Mittelpunkt des kulturellen Konsens verankert. Mit dieser Schlußfolgerung stellt sich der Pfälzer in die Reihe von Merkels Modernisierern, die die CDU bei Frauen, Alleinstehenden und Städtern populärer machen wollen: Popularität als Programm und Problem. Wenn die Bundesvorsitzende fordert, die Partei dürfe sich nicht auf eine Lebensform festlegen, so ist dies die Anpassung an eine Gesellschaft, die - in Böhrs Worten - "Bindungen als Bevormundungen" ablehnt.

An einer Bindung immerhin hielt Böhr in der Union fest: an seinem politischen Ziehvater Helmut Kohl, selbst in schwarzen Tagen ob ebensolcher Kassen. Die Demontage des einstigen Ehrenvorsitzenden und seine drohende Verbannung aus dem Kanon der Christdemokratie umschrieb der Katholik Böhr mit dem Bild einer Brücke, der man einen Pfeiler wegreiße, so daß sie einstürzt. Sein Namenspatron Christophorus trug einst auch ohne Brücke die wertvolle Fracht unversehrt durch den Fluß. So jedenfalls die Legende. In der Realität sind Strömungen offenbar zu verlockend, als daß man sich ihnen dauerhaft widersetzen könnte.


 
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