© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/02 11. Oktober 2002

 
Windige Geschäfte
Kino: "Auszeit" von Laurent Cantet
Ellen Kositza

Der Geschäftsmann Vincent (Aurélien Recoing), dreifacher Vater und eine Art bürgerlicher Durchschnittsfranzose, hat seine Arbeitsstelle verloren und traut sich nicht, seiner Frau davon zu berichten. Er scheut den Kummer, den er Muriel (Karin Viard) bereiten könnte, genauso wie den Druck, den sie bei der Suche nach einer neuen Stelle ausüben könnte. Vincent beschließt, sich eine kurze Auszeit zu gönnen und verbringt die Tage damit, ziellos durch die Gegend zu fahren. Seiner Familie täuscht er eine verantwortungsvolle neue Arbeit bei der Uno in Genf vor.

Sehr schnell aber entwickelt sich aus dem müßigen Nichtstun eine unheilvolle Lethargie, und es wird zu einer trägen Vollzeitbeschäftigung, die Arbeitsplatz-Lüge aufrechtzuerhalten. Weil schließlich auch das Konto gesättigt sein muß, bringt Vincent im Laufe weniger Monate seinen gesamten Freundeskreis dazu, in eine angeblich mit seinem neuen Posten verbundene, "todsichere" Sache zu investieren. So läßt er sich, dabei selbst alles andere als ein kaltblütiger Gauner, seine sich zur Lebensabschnittslüge auswachsende Arbeitslosigkeit durch ahnungslose Dritte finanzieren.

Ein anderer, ebenfalls im Kern gutmütiger, aber vom "Weg" abgekommener Windhund, der im gleichen Hotel absteigt, kommt Vincent dann auf die Schliche. Er erkennt die Notlage des traurigen Familienvaters und spannt ihn für seine Zwecke ein: Jean- Michel handelt mit Rolex-Imitaten und anderem Tinnef made in Polen, den er im Westen teuer verkauft. Um wenigstens einen geringen eigenen Erwerb zu haben, steigt Vincent als Assistent in das windige Geschäft ein - gleichzeitig wird aber Muriel mißtrauisch...

Regisseur Laurent Cantet debütierte 1999 César- und Fassbinder-preisgekürt mit "Ressources Humaine", und auch sein neues Werk erhielt nach den üblichen Filmfestspielen nicht die schlechtesten Kritiken. Dabei ist die Geschichte über ein ödes Psychoproblem - denkbar nur in einer Wohlstandsgesellschaft - lau und spannungslos, die Inszenierung des Konflikts langweilig und vor allem die Stringenz der inneren Handlung dürftig. Die einzig interessante Frage im Zusammenhang mit Vincents Sorge, nämlich die danach, ob der moderne Mensch keine Aufgaben jenseits der Erwerbstätigkeit zu finden und zu erfüllen imstande ist, wird nicht gestellt.

Der Zuschauer bleibt ratlos wie beim Blick auf die Alltagsdramen, welche die Protagonisten einschlägiger Vorabendserien durchleben: Welche Probleme haben diese Menschen eigentlich? Worüber spricht so ein Ehepaar, durchschnittlich wie das hier dargestellte, überhaupt? Warum wundert sich Muriel nicht darüber, daß sie die neue, angeblich teuer bezahlte Schweizer Wohnung nie vorgeführt bekommt? Welchen Grund hat Vincent überhaupt, sich keine Arbeit zu suchen? Vermutlich: Midlife-Crisis, Burn-out-Syndrom, kommunikative Krise, Sprachlosigkeit gar - und das alles ausgeleiert auf mehr als zwei Stunden. Wer möchte das alles bloß wissen?

Recht passend dazu der deutsche Untertitel, der klingt, als sei er sozialpädagogischer Ratgeberliteratur entnommen: "Kennt man seinen Partner jemals wirklich?"


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen