© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/02 11. Oktober 2002


Pankraz,
Botho Strauß und der Fundamentalismus

Dichter der Gegen-Aufklärung" heißt ein Buch von Michael Wiesberg (erschienen in der Edition Antaios, Dresden), das dem Schaffen und der Gedankenwelt von Botho Strauß gewidmet ist und von dem man gern wüßte, ob es den Beifall des Porträtierten fände. Wiesberg versteht seinen Titel, wie die Lektüre erweist, als Kompliment, aber "Gegen-Aufklärer" läßt sich an sich niemand gern nennen. Ein gewisses Maß an Aufgeklärtheit und aufklärerischem Furor gehört seit jeher zur Grundausstattung jedes braven Intellektuellen, und auch Dichter sind ja - mit Einschränkung - Intellektuelle, Arbeiter im Weingarten der Sprache.

Im Falle von Strauß kommt hinzu, daß der Mann ein Geheimnis aus sich und seinen Überzeugungen macht, so daß es schwer fällt, herauszubekommen, wofür und wogegen er ist. Seine Theaterstücke, Komödien zumeist (früher hätte man gesagt: Salonkomödien), sind schwebende, kühl sezierende Psycho-Orgien über alle möglichen Zeitgenossen; der Autor selbst tritt in ihnen ganz zurück. Aus der sogenannten Öffentlichkeit hält er sich heraus, gibt kaum Interviews, meidet Talkshows, beteiligt sich nicht an Umfragen oder sonstigen Zusammenrottungen. Er ist und bleibt ein Rebus, eine Pythia, ein Gegenstand für (toll-)kühne Interpretatoren.

Auch Wiesbergs Buch wirkt recht kühn, doch immerhin unternimmt er es als erster, endlich einmal Straußens "theoretische", also philosophische und kunstästhetische, Äußerungen zur Gänze auszuleuchten und zu analysieren, wie versteckt und verstreut sie auch sein mögen. Es entsteht ein packendes, höchst aufschlußreiches Tableau, das Wiesberg sorgfältig mit dem konfrontiert und vergleicht, was unter Stichwörtern wie "Konservative Rovolution", "deutsche Lebensphilosophie" oder "deutscher Irrationalismus" bekannt ist und das Namen wie Hofmannsthal und Borchardt, Heidegger und George, Jünger und Kondylis im Register führt.

Bisher hielt sich ja, wer über den Philosophen und Kulturkritiker Strauß sprechen wollte, fast ausschließlich an den furiosen Essay "Anschwellender Bocksgesang", der 1993 gewaltiges Aufsehen erregte und auf der Linken schnödeste Aggressionen auslöste. Wiesberg zeigt nun, daß der "Bocksgesang" keineswegs als Solitär in der Strauß'schen Geisteslandschaft steht, sondern von vornherein in einen umfangreichen Kontext eingeordnet war, und daß Strauß tatsächlich seit langem ein prononcierter Repräsentant des "Irrationalismus" und der deutschen Klassik/Romantik ist.

Vernunft läßt sich aus seiner Sicht nicht auf Mathematik und Nützlichkeitskalkül reduzieren. Sie ist das Insgesamt menschlichen Fühlens und Denkens und findet ihren adäquaten Ausdruck in gelingender Dichtung, wo sich Wort und Wahrheit am weitesten annähern, sich das Dunkel der Welt punktuell lichtet und sich ein Glück einstellt, das nicht fade ist und nicht auf Kosten anderer gedeiht.

Solches Glück ist, wie gesagt, punktuell, vollendet und unvollendet zugleich. Sein sinnliches Bild ist das Fragment, seine methodische Attitüde die Verachtung des Geschwätzes, vor allem wenn sich dieses zum (angeblich herrschaftsfreien) Diskurs aufbläht und die Kanäle verstopft. In diesem Fall, der heute der Normalfall ist, schlägt jede Aufklärung in Ignoranz und Dummheit um, die Horizonte verdunkeln sich, jegliches Hören auf die Stimmen der Erde und auf den Ernst mythischer Überlieferungen geht verloren. Es findet statt die Regression im Namen der Aufklärung.

Nur in dem Maße, in dem sich Strauß gegen diese Regression wendet, ist er ein Gegen-Aufklärer. Im übrigen zeigt ihn gerade das Buch von Wiesberg als wahren homme de lettre, der äonenweit von allen pfäffischen Anwandlungen entfernt ist. Für Strauß gilt die Aufspaltung des Wissens in "Natur"-, bzw. "Geistes"-Wissenschaft überhaupt nicht. Er interessiert sich leidenschaftlich für neue Ergebnisse der Physik oder Biologie und zieht daraus gegebenenfalls die weitreichendsten Schlüsse.

Nicht zuletzt naturwissenschaftlicher Einsicht verdankt sich die zentrale Strauß'sche These, daß jenes neuzeitliche Prozeßschema der menschlichen Entwicklung, wonach ein "Fortschritt" vom Niederen zum Höheren stattfindet, in die Irre führt, "Geschichte", schreibt er, "vollzieht sich vielmehr im langwierigsten Wandel von gottnahen und gottfernen Zeiten. Das Heilige geht in ihr so wenig verloren wie Energie im Weltraum. Sein Kommen und Schwinden, Mythennähe und Profanität unterscheiden die Epochen".

Völlig zu Recht stellt Wiesberg scharf heraus, daß die Zurückhaltung des Dichters Botho Strauß gegenüber der sogenannten Öffentlichkeit, sein angestrengtes Sich-unsichtbar-Machen, keineswegs allein aus der Verachtung gegenüber dem aktuellen Diskursbetrieb gespeist wird, sondern die logische Konsequenz aus seiner "gegenaufklärerischen" Überzeugung ist. Sich-Zeigen und Sich-Verbergen stehen in einer schwierigen und notwendigen Dialektik zueinander. Es gibt Phasen und Situationen, wo es wesentlich darauf ankommt, ja, wo es überlebenswichtig wird, zu verhüllen und zu beschützen, statt auszustellen und ad infinitum darüber zu kakeln, wo es in Symbolen, Anspielungen und Ironien zu sprechen gilt. Und für dieses symbolische, behutsame und schützende Sprechen, das das eigentlich dichterische Sprechen ist, stehen das Werk und die Geisteswelt des Botho Strauß.

Als einen "ästhetischen Fundamentalisten" hat man ihn nach Veröffentlichung des "Anschwellenden Bocksgesangs" zu beschimpfen gesucht. Strauß hat dem die Wirkung genommen, indem er klarstellte: "Der poetische Fundamentalist kehrt gegen Geschichte und Vergehendes die gedenkende Macht der Dichtung, dem Zeitenwandel enthoben wie Religion..." Ästhetischer Fundamentalismus ist kein Gift, sondern ein Gegengift, ein Antidot, das gebraucht wird, dringender noch als Medikamente gegen Aids und Krebs. Eine Buchmesse ist nicht der schlechteste Ort, daran zu erinnern.


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