© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/02 11. Oktober 2002

 
Aufgewärmt
Otto Köhlers Biographie über Rudolf Augstein entpuppt sich als Etikettenschwindel
Thorsten Thaler

Vor gut zehn Jahren, im Mai 1992, erschien in der linksorthodoxen Zeitschrift Konkret ein Aufsatz von Otto Köhler über Rudolf Augstein und die Anfänge des Spiegel. Auf vier Seiten widmete sich Köhler, der von 1966 bis zu seinem Rauswurf 1972 Medienkolumnist des Hamburger Nachrichtenmagazins war, darin "Augsteins unbewältigter Vergangenheit". Bereits der Vorspann faßte Inhalt und Botschaft des Artikels erschöpfend zusammen. Der Spiegel, hieß es da, sei schon zu seiner Gründerzeit "ein nationalistisch-antisemitisches Kampfblatt" gewesen, "das NS-Mörder verteidigte und ehemalige hohe Beamte des Sicherheitsdienstes (SD) der SS zu Ressortleitern beförderte". Illustriert war der Text mit einem Foto Augsteins, das mit einer ebenso eindeutigen Bildunterschrift versehen war: "Der Drahtzieher: SS-Schutzpatron Rudolf Augstein".

Jetzt hat Otto Köhler, Jahrgang 1935, der heute für den WDR arbeitet und Mitherausgeber der Ossietzky-Hefte ist, seinen zehn Jahre alten Aufsatz ein zweites Mal veröffentlicht - in Buchform, aufgebläht auf 416 Seiten, Titel: "Rudolf Augstein. Ein Leben für Deutschland". Doch was sich im Klappentext als politische Biographie ausgibt, ist ein ausgemachter Etikettenschwindel. Köhler will nicht die Lebensgeschichte des Spiegel-Herausgebers erzählen, er will Augsteins Ankläger und zugleich sein Richter sein. Tatsächlich ist er von dem Motiv besessen, Augstein als "großdeutschen" Nationalisten und Antisemiten vorzuführen, der in den Gründungsjahren des Spiegel mit NS-Tätern paktiert habe. Und weil er offenbar enttäuscht darüber war, daß sein Konkret-Aufsatz von vor zehn Jahren kaum öffentliche Resonanz fand, versucht Köhler es jetzt eben noch einmal. Frei nach dem Motto: Was nicht in Büchern steht, ist nicht in der Welt.

Wie dümmlich es dabei zugeht, wird bereits auf den ersten Seiten deutlich: "Vier Tage später, Klein-Rudi hat schon einige Male kräftig in die Windeln gemacht, marschiert in München Adolf Hitler mit seinen Getreuen zur Feldherrnhalle. So kommt eins zum anderen." Und so gerät die "Biographie" Köhlers mit jeder Seite mehr zum Ärgernis, möchte man hinzufügen.

Dabei gäbe es über den am 5. November 1923 in Hannover geborenen Augstein sicher einiges zu berichten, was sich bis heute der Öffentlichkeit verschließt. Doch statt sich der Geschichte hinter der Geschichte des Spiegel-Übervaters anzunehmen, schildert Köhler im ersten Teil seines Buches nur die hinlänglich bekannten Stationen: die Lizensierung des Nachrichtenmagazins durch die britische Besatzungsmacht nach dem Vorbild von Time und News Review; den sogenannten Spiegel-Untersuchungsausschuß, der sich 1950/51 mit der Bestechlichkeit von Abgeordneten in der Hauptstadtfrage Bonn oder Frankfurt am Main befaßte; die Spiegel-Affäre (Adenauer: "Abgrund von Landesverrat") des Jahres 1962, die Augstein für 104 Tage hinter Gitter brachte; die Machtkämpfe in der Spiegel-Redaktion 1970/71 um ein Redaktionsstatut und mehr Mitbestimmung; den kurzzeitigen Ausflug Augsteins 1972 in den Bundestag als FDP-Abgeordneter; schließlich Augsteins Eintreten - gegen redaktionsinterne Widerstände - für die Wiedervereinigung.

Der Rest sind Anekdoten und Abschweifungen ins Nebensächliche, bissige Spitzen und Seitenhiebe. So schreibt Köhler über die berühmten "Teegespräche" Konrad Adenauers: "Diese 'Teegespräche' mit einflußreichen Journalisten und Chefredakteuren hatte er stilsicher an einem 20. April - dem des Jahres 1950 - begonnen, ohne Rücksicht darauf, daß mancher der Geladenen von früher her mit diesem Tag sentimentale Erinnerungen an Führers Geburtstag verbinden mochte." Und über das Bundeskriminalamt weiß Köhler zu berichten: "Das BKA war personell die Fortsetzung der Terrorzentrale des Dritten Reiches, des Reichssicherheitshauptamts."

Im zweiten Teil des Buches kommt Köhler dann zu seinem Hauptanliegen. Als Beleg für die aus seiner Sicht unrühmliche Vergangenheit Rudolf Augsteins dienen ihm drei Spiegel-Serien aus den Jahren 1949 und 1950, deren Autoren in der NS-Zeit hohe Ämter bekleideten und die nun "pünktlich mit der Konstituierung des neuen Staates", der Bundesrepublik Deutschland, im Spiegel "die Rehabilitierung der Täter des alten Staates" (Köhler) betreiben durften. Da ist zum einen der erste Gestapo-Chef Rudolf Diehls ("Die Nacht der langen Messer fand nicht statt"), der Ende April 1934 abgesetzt wurde und danach Regierungspräsident erst von Köln und, ab 1936, von Hannover war. Da ist zum anderen Bernhard Wehner, als Kriminalrat ehedem Angehöriger der Reichskriminalpolizei im Rang eines SS-Hauptsturmführers, der eine Serie über "Glanz und Elend der deutschen Kriminalpolizei" verfaßte. Wehner wurde später Leiter der Düsseldorfer Kriminalpolizei. Und schließlich sind da Georg Wolff und Horst Mahnke, beide ehemalige SS-Hauptsturmführer im Reichssicherheitshauptamt, mit ihrer Serie "Am Caffeehandel beteiligt - Deutschland Schmuggler". Wolff und Mahnke wurden später Ressortleiter beim Spiegel, Wolff sogar zeitweilig stellvertretender Chefredakteur.

Das alles ist, wie gesagt, kalter Kaffee, der auch aufgewärmt nur noch schal und bitter schmeckt - erst recht, wenn er von einem unter Verfolgungseifer leidenden Kellner wie Otto Köhler serviert wird.

Dem ersten Teil seines Buches hat Köhler ein Zitat des Schriftstellers Erich Kuby über Rudolf Augstein vorangestellt: "Die Zeitgeschichte, die Soziologen und vor allem auch die Psychologen werden sich eines Tages an ihm die Zähne ausbeißen." Das gilt nach der Lektüre seiner angeblichen Biographie uneingeschränkt auch für den Journalisten und Pamphletisten Otto Köhler.

Otto Köhler: Rudolf Augstein. Ein Leben für Deutschland. Droemer, München 2002, 416 Seiten , Abb., geb., 24,90 Euro


 
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