© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/02 11. Oktober 2002

 
Freie Bauern gegen die LPG-Großagrarier
Die 1990 erfolgte Bestandssicherung der früheren DDR-Zwangskollektivierung hat den bäuerlicher Mittelstand vernichtet
Theodor Schweisfurt

Durch die sogenante Bodenreform in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) wurden 3.225.364 Hektar Land und Forst konfisziert, d.h. entschädigungslos enteignet. Davon wurden 2.167.602 Hektar an circa 560.000 Kleinbauern und Flüchtlinge ("Siedler") aus den deutschen Ostgebieten verteilt; der Rest von 1.058.000 Hektar wurde als "Volkseigentum" dem staatlichen Bodenfonds zugeordnet. Davon wurden ungefähr 500.000 Hektar von Volkseigenen Gütern (VEG) bewirtschaftet, die restlichen knapp 600.000 Hektar des Bodenfonds waren Forstflächen. Bis zur Wiedervereinigung hatte sich diese Verteilung des konfiszierten Landes verschoben. 1990 wirtschafteten 515 VEGs auf einer Fläche von 424.205 Hektar. Die inzwischen entstandenen Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPGs) bewirtschafteten neben dem von den Bauern in die LPGs eingebrachten privaten Flächen 1.620.000 Hektar des staatlichen Bodenfonds. Dieser hatte sich vergrößert, weil "Siedlerland" wieder in ihn zurückgefallen war, denn die "Siedler" hatten durchschnittlich nur acht Hektar erhalten, eine viel zu kleine Fläche, um wirtschaftlich arbeiten zu können.

Diese Zahlen nennt Hanns C. Löhr in seiner Studie "Der Kampf um das Volkseigentum". Sie befaßt sich mit der Privatisierung der Landwirtschaft durch die Treuhandanstalt (THA) von 1990 bis zu ihrer Umbenennung in "Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben" (BvS) 1994. Die Studie stützt sich vorrangig auf das Aktenmaterial, das die THA für den Bereich Land- und Forstwirtschaft hinterließ, auf Protokolle der letzten Volkskammer der DDR und auf Mitteilungen der Arbeitsgemeinschaft für Agrarfragen (AfA), eines Verbandes von durch die Konfiskationen 1945 bis 1949 betroffener Alteigentümer. Im Zentrum der Studie steht das Schicksal der VEGs; mit den in der Nutzung der LPGs befindlichen Bodenfondsflächen befaßt sich Löhr nur bis 1992, dem Jahr der Gründung der THA-Tochtergesellschaft "Bodenverwertungs- und verwaltungsgesellschaft" (BVVG), der die THA etwa 1.500.000 Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche (LNF) und 700.000 Hektar Wald übergab.

Bei der Privatisierung des "Volkseigentums" durch Verkauf oder Verpachtung konkurrierten und konkurrieren drei große Erwerbsgruppen: die Alteigentümer, finanzkräftige Neuerwerber aus dem Westen und die bisherigen Nutzer, die Nachfolgegesellschaften der LPGs. Es mag manchen überraschen, aber Löhr zeigt auf, daß die THA in der Anfangsphase der Privatisierung, als noch kaum Richtlinien für die Vergabe der Liegenschaften existierten, versuchte, "durch pragmatische Bevorzugung der Alteigentümer politisch motivierte Ungerechtigkeit zu mildern". Diese Bevorzugung war jedoch wegen des sich dagegen erhebenden politischen Widerstandes, insbesondere seitens der Länder Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern sowie der SPD- und PDS-Bundestagsfraktionen, nicht durchzuhalten.

Am Ende des von Löhr untersuchten Zeitraums sah das Ergebnis der Privatisierung folgendermaßen aus: Von den Flächen der VEG verkaufte die THA bis Ende 1994 45.490 Hektar an 171 Käufer aus Westdeutschland, 567 an Erwerber aus den "neuen" Bundesländern und 15 an ausländische Käufer. Die Käuferbilanz zugunsten des Ostens täusche jedoch; denn Löhrs Vermutung liegt nahe, daß unter den Erwerbern aus den "neuen" Bundesländern sich auch Käufer aus dem Westen befanden, die, anders als Interessenten aus dem Osten, kapitalkräftig genug waren, sich Firmen mit Sitz im Osten Flächen zu kaufen. Von den verpachteten Flächen der VEG gingen 40 Prozent an Bodenreformopfer (Wiedereinrichter), 26,5 Prozent an ostdeutsche Hofgründer (Neueinrichter), 21,5 Prozent an westdeutsche oder ausländische Neueinrichter, 11 Prozent an die LPG-Nachfolgegesellschaften und ein Prozent an Wiedereinrichter, die einen Restitutionsanspruch hatten. Waren danach 61,5 Prozent der VEG-Flächen an Bodenreformopfer und westliche Neueinrichter verpachtet und 37,5 Prozent an Pächter aus der ehemaligen DDR, so verschob sich diese Statistik bei den Verpachtungen durch die BVVG.

Bis Ende 1993 gingen von den 1.150.000 Hektar der Bodenfondsflächen 9,72 Prozent an Bodenreformopfer, 19,57 Prozent an ehemalige Genossenschaftsbauern (ortsansässige Wiedereinrichter), 10,24 Prozent an ostdeutsche Hofgründer (Neueinrichter), 5,47 Prozent an auswärtige Hofgründer, 1,9 Prozent an Wiedereinrichter mit Restitutionsanspruch und 53,09 Prozent an die LPG-Nachfolgegesellschaften. THA- und BVVG- Verkäufe und Verpachtungen zusammen gesehen zeigen, daß bis Ende 1994 ostdeutsche Bewerber trotz der anfänglichen Bewerber trotz der anfänglichen Bevorzugung der Alteigentümer das meiste Land erhielten.

Ob dies eine Statistik des Erfolges oder des Mißerfolges ist, kommt auf den Blickwinkel an. Löhr schreibt am Ende seiner Studie zu Recht, die "von Bonn" favorisierte Politik, im Osten die Genossenschaften und Staatsgüter durch bäuerliche Familienbetriebe zu ersetzen, sei gescheitert. Können umgekehrt die verbissenen Gegner der Konfiskationsopfer von 1945 bis 1949 zu Recht von einem Erfolg reden? Ihre politische Zielsetzung, stets emphatisch vorgetragen, ist, "die ostdeutschen Bauern" zu schützen. Dies ist nur insoweit gelungen, als ehemalige Genossenschaftsbauern (ortsansässige Wiedereinrichter) und ostdeutsche Hofgründer (Neueinrichter) durch die Privatisierung Land erhalten haben. Schutz der "Bauern" meint jedoch weniger Wiedereinrichter und Neueinrichter, sondern Bestandsschutz der LPG-Nachfolgegesellschaften. Deren Betreiber als Bauern zu bezeichnen ist eine ebenso auf Sympathieerzeugung gerichtete Wortverfälschung wie es auch der Begriff "Bodenreform" für die Landkonfiskationen 1945 bis 1949 gewesen war. Der "Bauer" steht dem Gutsbesitzer gegenüber. Die Betreiber der LPG-Nachfolgergesellschaften sind keine Bauern, sondern Gutsbesitzer. Doch diese Bezeichnung ist auch noch nicht exakt genug. Die Betreiber bewirtschaften in die Tausende gehende Hektar Land - sie sind Latifundienbesitzer, es sind Agrarfabrikanten. Für sie ist die Bilanz positiv.

Aus Löhrs Studie kann man nur den Schluß ziehen: An der "Bodenreform" in Gestalt der LPG-Nachfolgegesellschaften derzeitiger Größenordnung festhalten zu wollen, ist ein Treppenwitz deutscher Landwirtschaftspolitik. Die Parole von 1945 "Junkerland in Bauernhand" hat sich in ihr Gegenteil verwandelt. Wo sind die "Bauern"? Die DDR hat den Bauernstand vernichtet und die Bauern zu Landarbeitern gemacht, die einstmals Knechte und Mägde hießen. Wo sind die Landarbeiter geblieben? Sie als Arbeitslose in den stummen Dörfern, wo kein Schwein mehr quiekt, keine Kuh mehr muht, kein Pferd mehr wiehert, wo allenfalls noch ein Hahn kräht. Löhr gibt an, daß zwischen 1989 und 1994 die Zahl der Arbeiter in der gesamten Landwirtschaft der "neuen" Länder von 923.500 auf 154.000 also um faßt 83 Prozent gesunken ist. Auch diese Zahlen gehören in die Privatisierungsstatistik. Schutz der ostdeutschen Bauern? Fast totale Fehlanzeige! Und wo ist das Junkerland geblieben? Es befindet sich zu mehr als 50 Prozent im Besitz der neuen, der "jungen Herren", "Junker" bedeutet nichts anderes als "junger Herr". Ob es dort endgültig bleibt, ist noch nicht entschieden. Das meiste Land des ehemaligen Bodenfonds ist nur verpachtet, Eigentümer ist er Bund. Eines Tages muß es verkauft werden. Doch an wen?

Im Bundestagswahlkampf haben SPD, CDU/CSU und FDP übereinstimmend die Stärkung des Mittelstandes gerade auch in den "neuen" Ländern, als ihr vorrangiges politisches Ziel betont. Den schwächsten Mittelstand gibt es in den "neuen" Ländern. Die Post-LPG-Latifundienbesitzer gehören nicht zum Mittelstand, es sind Großagrarier. Soll der Mittelstand in den "neuen" Ländern gestärkt werden, muß er überhaupt erst einmal auf die Beine gestellt werden. Im Landwirtschaftsbereich heißt dies, die Politik der Schaffung bäuerlicher Familienbetriebe wieder aufzunehmen, und dies kann nur zur Konsequenz haben, die Post-LPG-Latifundien auf die Größe von Mittelstandsbetrieben abzuspecken und das Land an andere Landwirte zu verkaufen. Daß dabei in erster Linie die Alteigentümer zu berücksichtigen sind, muß jedem, der sozialen Ausgleich und damit sozialen Frieden haben will, einleuchten. Das schöne Wort, wonach die Teilung nur durch Teilen überwunden werden kann, kann hier praktisch verwirklicht werden. Eine Regelung, wonach die LPG-Nachfolgegesellschaften und die Alteigentümer das ehemalige Bodenfondsland je zur Hälfte zu Eigentum erhielten, wäre eine gute Lösung. Vermutlich - der Rezensent ist hier nicht Fachmann genug - würde dies auch zu einer Verringerung der Arbeitslosigkeit auf dem Lande führen.

Nicht zu vergessen: Löhr schildert, daß der Restitutionsschluß nur durch beide deutsche Regierungen zustande gekommen war, daß das eigentumsrechtliche Schicksal des Bodenreformlandes der Sowjetunion völlig gleichgültig war. An vielen Stellen der Studie wird auch deutlich, was immer vermutet wurde: der Restitutionsausschluß hatte fiskalische Gründe. Die Schlußrechnung konnte Löhr noch nicht erstellen, aber die angeführten Zahlen lassen vermuten, daß der Restitutionsschluß durch die Kosten der Treuhand, ihrer Berater, die Verwaltung und Sanierung der VEG für den Bundesfiskus zu mehr Verlust als Gewinn geführt hat.

Hanns C. Löhr: Der Kampf um das Volkseigentum. Eine Studie zur Privatisierung der Landwirtschaft in den neuen Bundesländern durch die Treuhandanstalt (1990-1994). Duncker & Humblot, Berlin 2002, 205 Seiten, 24 Euro

Prof. Dr. Theodor Schweisfurth war langjähriger Rechtslehrer am Heidelberger Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht sowie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/ Oder.


 
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