© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/02 11. Oktober 2002

 
Briefe an einen Freund
Horst Janssen: Minusio
Thorsten Thaler

Horst Janssen und Joachim Fest lernten sich im Herbst 1968 kennen. Aus den ersten Begegnungen im Hause Fest entwickelte sich bald eine enge Freundschaft zwischen dem Künstler und dem Intellektuellen, die bis zu Janssens Tod am 31. August 1995 anhielt. Es war eine für Außenstehende gelegentlich seltsam anmutende und zuweilen schwer verständliche Verbindung: hier der nüchtern-analytische Publizist und Historiker, dort der hektische und von abrupt wechselnden Launen heimgesuchte Zeichner.

Wie wichtig Horst Janssen diese Freundschaft war, notierte er in einem für Fest bestimmten Reisetagebuch: "Es liegt wohl daran, daß Du nicht in mein Zentrum trittst, aber auch nicht in der Peripherie bist. Diese Freundschaft ist mir so angenehm, weil ich mich endlich mal genüßlich als Ellipse sehe - mit den zwei Zentren, und in dem einen bist Du der Spiritus Rector. Und das andere ist ganz meins."

Geschrieben hat Janssen diese Zeilen während eines Urlaubs mit seiner Lebensgefährtin Gesche Tietjens im Juni 1972, veröffentlicht wurden sie jetzt unter dem Titel "Minusio. Reise nach Italien und in die Schweiz". Es ist nach den Notizen von einer Skandinavienreise (JF 26/01) der zweite Band mit Skizzen und Tagebuchaufzeichnungen Janssens. Sie zeigen einen überaus empfindsamen, seine Umgebung beständig reflektierenden Menschen, der über eine genaue Beobachtungsgabe verfügt. Zum Beispiel wenn er festhält: "Kleiner Postabstecher nach Locarno. Bleibe vor der Bank im Auto und genieße die flanierenden unwahrscheinlichsten Paare. Eine gewisse Internationalität steigert das Groteske der menschlichen Mißgestalt für mein provinzgewohntes Auge."

Neben wohl unvermeidlichen Notizen über Alltagsbegebenheiten ("Endlich mal schlecht geschlafen") finden sich auch über den Tag und den Anlaß hinausreichende Bemerkungen. "Wie schön, daß es keine Eine-Wirklichkeit gibt, daß aber alle Wirklichkeiten im jeweiligen Moment wie eine einzige Immer-Wirklichkeit aussehen. Und wie bedauernswert die Individuen, die es so sehr sind, daß ihnen die Wirklichkeiten als Pott für ihre gewaltige individuelle Fülle nicht ausreichen. Getriebenes Volk im luftleeren Raum, ausschließlich mit sich selbst beschäftigt, was ihnen nicht langweilig wird, einfach mangels Erinnerung an gestern."

Alles in allem bieten die Aufzeichnungen eine kuzweilige, abwechslungsreiche Lektüre. Bedauerlich ist nur, daß der Verlag darauf verzichtet hat, dem Buch eine ergänzende Zeittafel mit den wichtigsten Daten zu Leben und Werk Horst Janssens beizufügen.

Horst Janssen: Minusio. Reise nach Ita-lien und in die Schweiz. Alexander Fest Verlag, Berlin 2002, 117 Seiten, zahl. Abb., 19,90 Euro


 
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