© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/02 11. Oktober 2002

 
"Dann sind wir weg vom Fenster"
Interview: Der CDU-Bundestagsabgeordnete Martin Hohmann warnt seine Partei vor der Aufgabe konservativer Leitbilder und Werte
Manuel Ochsenreiter

Herr Hohmann, noch vor zwei Wochen hat Frau Merkel eine Strategiedebatte kategorisch abgelehnt. Mittlerweile wird sie von allen politischen Flügeln in der CDU/CSU heftig geführt. Ist der offensichtliche Autoritätsschwund oder die Mißachtung des Wortes der Vorsitzenden eigentlich bereits ein Teil der Debatte?

Hohmann: Wir sind in einer schwierigen Situation. Wir haben die Bundestagswahl im Juli im Grunde gewonnen gehabt und stellen am 22. September und erst recht jetzt im Oktober fest, wir haben nicht gewonnen, wir haben verloren. Das gibt Verwerfungen, das wirft Fragen auf. Eine Führungspersönlichkeit tut in einer solchen Situation gut daran, die Diskussion in gewisse Bahnen zu lenken. Eine Strategiedebatte ist für die Spitze immer besser als eine Personaldebatte.

Frau Merkel stützt sich auf folgende Analyse: 40 Prozent der Männer und nur 37 Prozent der Frauen hätten CDU gewählt. Folglich fehlten genau diese 3 Prozent der Frauen zum Sieg in der Bundestagswahl. Deshalb müsse die CDU jetzt "moderner" werden.

Hohmann: So einfach ist es nicht. Wir müssen genauer hinsehen. Ich möchte mich auf Norbert Lammert beziehen. Er ist Landesgruppenvorsitzender von Nordrhein-Westfalen und einer unserer klügsten Analysten. Der hat verlangt: Wer kritisieren will, soll genau sagen, was wir im Wahlkampf falsch gemacht haben. Das muß erst mal jemand benennen, bevor er irgendwelche Schlüsse zieht. Unser Wahlkampf war im Grunde richtig angelegt. Die steigende Wählergunst bis Juli hat gezeigt - wir waren gut aufgestellt. Schröder ist mit seinem selbstgesteckten Ziel, die Arbeitslosigkeit auf 3,5 Millionen zu reduzieren, grandios gescheitert. Im Wirtschaftswachstum lagen wir in der EU nach vier Schröder-Jahren auf dem letzten Platz. Den Menschen wurde klar, so kann es nicht weitergehen. Wir hatten in dem Bereich Arbeit-Wirtschaft-Mittelstand klare Vorstellungen: 400 Euro-Arbeitsverhältnisse - Brutto gleich Netto, Scheinselbständigkeitsgesetz abschaffen, keine 5. Stufe der sogenannten Öko-Steuer. Das hätte den ersten Schub gegeben. Dann aber kam Schröder mit dem Instrument Kriegsangst und dem Abrufen des Anti-Amerikanismus. Zusammen mit der Elbe-Flut war eine neue Situation da. Darauf haben wir keine passende Antwort mehr gefunden. Deswegen warne ich vor Kurzschlüssen in Richtung Frauen. Wir wußten auch vor der Wahl, daß unser Spitzenkandidat bei jüngeren Frauen schlechter ankommt als Schröder.

Waren also weniger programmatische Unterschiede für die Wahl ausschlaggebend, sondern die Wahrnehmung der beiden Kandidaten?

Hohmann: Aber ja, die persönliche Ausstrahlung und die von Schröder ins Spiel gebrachten Themen gegen Ende des Wahlkampfes haben das sich abzeichnende Ergebnis vollkommen auf den Kopf gestellt. Und gerade bei den Menschen in den neuen Bundesländern, wo die Parteibindung eher gering ist und die Volatilität groß: Dort konnte mit dem Anti-Amerikanismus einiges bewirkt werden. Außerdem konnte Schröder in der Hochwasserkatastrophe den entschlossenen Deichgrafen geben. Damit hat er bei den Frauen, bei denen er sowieso besser ankommt, nochmals Wirkung erzielen können. Das alles hat mit der ursprünglichen Wahlkampfstrategie der Union nichts mehr zu tun gehabt. Ich warne also davor, ähnlich wie Schönbohm, unser Tafelsilber zu verhökern. Das ist unsere eiserne Ration, ohne die verhungern wir. In dem Moment, wo wir die Familie als unser Leitbild aufgeben, sind wir weg vom Fenster. Dann spielt unsere Kernwählerschaft nicht mehr mit. Das hat auch Thomas Goppel herausgestellt. Die Familie mit Mutter-Vater-Kind bleibt unser zentraler Begriff. Daß viele andere Lebenswege gehen, daß es viele andere Lebensentwürfe gibt, das wissen wir auch. Wir achten auch diese Menschen, wir werben um ihre Stimmen. Das Leitbild Familie aber bleibt für uns unersetzlich, nicht weil wir Bischöfen einen Gefallen tun wollen, sondern wegen der rational sichtbaren Ergebnisse: Ein junger Mensch, der in einer intakten Familie aufwächst, hat einfach die viel besseren Chancen, optimistisch, belastbar, zufrieden zu werden. Für uns ist die Erziehungsaufgabe der Eltern wichtig. Das Ansehen der Eltern, besonders der Mütter muß gestärkt werden, flankierend war unser Familiengeld von 600 Euro monatlich eingeplant. Geht die Erziehungsaufgabe schief, dann kostet es 3.000 Euro, Jugendliche in ein Erziehungsheim "einzusperren".

Ist die sogenannte "Patchwork-Familie", also eine Lebensgemeinschaft jenseits des klassischenVater-Mutter-Kind-Modells nicht mitunter auch die Folge einer verfehlten Familienpolitik? Kann es richtig sein, darauf die Standbeine einer "neuen" Strategie zu stellen?

Hohmann: Wir brauchen eine neue Familienstrategie, eine intelligente, wirklich gute Strategie. Das ist den Schweiß der Edlen wert. Sie bringen wir dem Menschen nahe: Es ist gut und richtig, sich für Beständigkeit, für Treue zu entscheiden! Warum? Weil es dem Ganzen und dem einzelnen am meisten dient. Daran sollten sich unsere Vordenker mal abarbeiten. Ich wünsche mir eine Strategie, mit der gegenseitiges Vertrauen und Bindungsfähigkeit als großer positiver Wert dargestellt werden. Das steht natürlich im diametralen Gegensatz zu den heute noch verfolgten Zielen der damaligen 68er und der heutigen Grünen. Für sie galt Familie als verächtlicher Hort alles Spießbürgerlichen. Und wenn sie sagten: Macht kaputt, was euch kaputt macht, dann dachten sie immer auch an die Familie. Die Feinde der Familie gab es natürlich auch im Sozialismus. Die DDR-Kommunisten mußten wie jedes totalitäre Regime den Nachwuchs durch Kindergarten- und Hortbetreuung möglichst schnell der Familie entziehen, um den kommunistischen Menschen formen zu können. Für mich gilt: stabile Familien, stabiles Land.

Ministerpräsident Böhmer aus Sachsen-Anhalt rührt die schwarz-grüne Werbetrommel. Es gäbe Überschneidungen zwischen der CDU und den Grünen nicht nur in der Gentechnik-Debatte.

Hohmann: Das sehe ich nicht so. Es gibt in Sachen Gentechnik bei einigen Abgeordneten der Grünen und vielen Abgeordneten der Union gewisse Übereinstimmungen. Aber da hört es auch schon auf. Für uns als Union ist nämlich der Lebensschutz entscheidend. Wenn wir zur zentralen Frage der Abtreibung kommen - sie ist für mich ein Skandal, weil sich so eine reiche Gesellschaft so brutal gegen die Allerschwächsten wehrt - ,dann hört es mit schwarzgrünen Schnittmengen total auf. Außerdem war es geradezu das ideologische Riesenergebnis für die Grünen, daß sie die Homo-Ehe durchgepeitscht haben. Da ziehen wir absolut nicht mit. Das ist für uns unmöglich.

Sind konservative Inhalte angesichts der Wahlergebnisse und des Schwindens potentieller Bündnispartner überhaupt noch mehrheitsfähig?

Hohmann: Die sind natürlich mehrheitsfähig. Ich muß es noch einmal sagen: Es ging wirklich im Juli auf einen klaren Sieg von Schwarz-Gelb zu. Ja, wir hatten die richtigen Rezepte, beispielsweise für die Wirtschaft, und weil vieles, was wir zu der Familie gesagt haben, von den Leuten auch geschätzt worden ist. Dann kam die Flut, dann kam der Anti-Amerikanismus und dann kam die Kriegsangst und die hat alles überlagert. Aus dieser Entwicklung darf man jetzt nicht die falschen Schlüsse ziehen. Wir müssen wissen: Eine Regierung wird in der Regel nicht deswegen verjagt, weil die Opposition so gut ist, sondern weil die Regierung so schlecht ist. Aus heutiger Sicht können wir bei den nächsten Wahlen mit den gleichen Grundrezepten antreten. Schröder wird bis dahin die Wirtschaft ganz abgewürgt und den Arbeitsmarkt total stranguliert haben. Dann hat es auch der letzte begriffen: Schröder kann es nicht.

Auf wen setzen Sie persönlich ihre Hoffnungen in den nächsten vier Jahren, falls die rot-grüne Regierung überhaupt solange bestehen sollte?

Hohmann: Ich bin ganz sicher, daß diese Regierung vier volle Jahre hält. Rot-Grün hat zwar eine knappe Mehrheit, aber gerade die knappen Mehrheiten stabilisieren. Außerdem sind die Grünen geradezu verliebt in Ministersessel und Staatslimousinen. An Personalspekulationen möchte ich mich nicht gerne beteiligen. Aber gewiß ist Roland Koch nach einer gewonnenen Hessen-Wahl ein ernsthafter Gegner für unsere Parteivorsitzende Angela Merkel. Wichtig aber ist: Wir brauchen alle drei Säulen der Union, die Wirtschaftsliberalen, den Arbeitnehmerflügel und die Wertkonservativen. Keinen dürfen wir vernachlässigen, sonst verlieren wir Stimmen.

Ist die aktuelle Debatte tatsächlich eine Strategiedebatte, oder handelt es sich vielleicht nur um einen gewöhnlichen Richtungsstreit nach einer verlorenen Wahl?

Hohmann: Es riecht allmählich ein wenig nach Beschäftigungstherapie. Es wird von persönlicher Verantwortung abgelenkt, wobei eines klar ist. Eine Personaldebatte brauchen wir schon gar nicht. Im übrigen, wenn uns Abgeordneten vor dem Wahlkampf und im Wahlkampf immer wieder gesagt worden ist, wir haben uns in den vier Jahren der Opposition erneuert und gut aufgestellt, dann kann die Strategie jetzt nicht völlig falsch gewesen sein. Mein Vorschlag: Genauer analysieren, dann die Schlüsse ziehen und mit klaren Aussagen den konservativen Wählern wieder mehr Hoffnung geben. Strategiedebatte, das Wort ist vollkommen überhöht, verdient das überhaupt nicht.

 

Martin Hohmann, Jahrgang 1948, Jurist, ist seit 1998 als Dregger-Nachfolger direkt gewählter Bundestagsabgeordneter der CDU für den Wahlkreis Fulda. Davor war er vierzehn Jahre lang Bürgermeister seiner Heimatgemeinde Neuhof.

 

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