© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/02 11. Oktober 2002

 
"Hier weht die grüne Fahne des Propheten"
Bosnien-Herzegowina: Nationale Parteien der drei Volksgruppen gewinnen die Parlamentswahlen / Westliche Wahlempfehlungen ignoriert
Carl Gustaf Ströhm

Die Wirklichkeit den eigenen Wünschen anzupassen und nicht umgekehrt, gilt nicht gerade als Beweis übergroßer Intelligenz. Umso erstaunlicher war es, in letzter Zeit zu beobachten, wie die Repräsentanten der internationalen Staatengemeinschaft sich in Bosnien-Herzegowina eine Scheinwelt zusammenbastelten, die nur wenig mit der Wirklichkeit zu tun hatte.

Die Quittung wurde bei den bosnischen Parlamentswahlen am vergangenen Wochenende präsentiert. Auf der ganzen Linie siegten sowohl in der bosnisch-kroatischen Föderation als auch in der serbischen "Republika Srpska" jene Parteien, welche der Westen partout nicht haben wollte: Nämlich die "Nationalisten". Verlierer waren die von internationaler Seite kräftig unterstützten Sozialdemokraten samt einiger kleinerer Gruppen, die sich mit ihnen in der "Allianz" verbündet hatten.

Schon der frühere "hohe Bevollmächtigte" Wolfgang Petritsch - ein österreichischer sozialistisch ausgerichteter Diplomat, der nun für die SPÖ in Wien als Spitzenkandidat in den Wahlkampf zieht, hatte geglaubt, durch politische "Ingenieur-Kunststücke" die unbequemen nationalen Parteien der Moslems (SDA), Serben (SDS) und Kroaten (HDZ) an die Wand manövrieren zu können. Selbstherrlich wie ein Kolonialgouverneur verhängte der Österreicher vor allem gegen nationalbewußte und kritische Kroaten Verbote politischer und öffentlicher Betätigung. Petritsch ließ offenbar zum Zwecke der Einschüchterung der Bevölkerung mehrfach schwerbewaffnete KFOR-Soldaten aufmarschieren. Unvergessen ist der von ihm inszenierte Überfall auf die in kroatischem Besitz befindliche "Herzegowina-Bank", von der Petritsch behauptete, sie sei eine Geldwäsche-Institution. Obwohl die zentrale Bank in Mostar ähnlich wie im Krimi-Klassiker "Rififi" überfallartig besetzt wurde, wobei erheblicher materieller Schaden entstand, liegt bis heute kein einziger Beweis gegen die Bank vor (siehe auch JF 18/01). Der "hyperdynamische" Petritsch aber beendete sein Mandat, ging als Botschafter seines Landes nach Genf und könnte demnächst als Außenminister einer rot-grünen Koalition nach Wien zurückkehren. Die herzegowinischen Kroaten aber schmoren weiter im eigenen Saft - und niemand erklärt ihnen, was da eigentlich passiert ist.

Nicht viel besser sieht es mit seinem Nachfolger, dem britischen Liberalen Ex-Unterhausabgeordneten Paddy Ash-down. Er befleißigt sich einer etwas gemäßigteren Sprache und ist nicht ganz so grobschlächtig wie der Österreicher Petritsch. Dafür aber führt auch er sich wie ein königlicher Kolonialbeamter auf.

Noch am Vorabend der Wahl wandte sich Ashdown per Postwurfsendung und dann auch noch per Fernsehansprache an "seine" bosnisch-herzegowinischen Völkerschaften. Er beschwor sie, die "Reformer" von der Allianz und ja nicht die bösen Nationalisten zu wählen. In einem Interview bezeichnete er den kroatischen Staatsgründer Franjo Tudjman als "destruktiven Nationalisten" - was für einen Diplomaten einer Ungezogenheit und jedenfalls groben Unkorrektheit gleichkommt.

Erst nach Bekanntwerden der Wahlergebnisse, die für Ashdowns "Freunde" in der "Allianz" sehr negativ ausgingen, begann der hohe Repräsentant aus Britannien Kreide zu schlucken und zu betonen, in der Demokratie sei es fast normal, Wahlen zu verlieren. Vor dem Urnengang las sich das ganz anders.

Bis jetzt wollen auch viele hochgestellte westliche Politiker nicht einsehen, warum die westlichen Manipulations-Kunststücke in Bosnien nicht funktioniert haben. Erstens waren die "Sozialdemokraten" (SDP) des bisherigen Regierungschefs Slatko Lagumdzija keine wirklichen Sozialdemokraten, sondern Ex-Kommunisten mit den ganzen Erfahrungsschätzen roter Kaderschulen. Zweitens regierten sie zwar mit dem "Vertrauen" des "hohen Repräsentanten" und anderer Ausländer - waren aber selber niemals in freier Wahl bestimmt oder bestätigt worden. Es gehört schon ein gerüttelt Maß an Abgehobenheit dazu, wenn jetzt westliche Politiker und Medien sich entsetzt zeigten, weil die "Nationalisten" die Sozialdemokraten (sprich: Kryptokommunisten) samt ihrer "Allianz" hinweggefegt haben und sich an ihrer Stelle als führende Kräfte etablierten.

Es war naiv, zu glauben, man könnte mit Hilfe einiger verfahrenstechnischer Tricks oder mit Brachialgewalt seit Jahrhunderten gewachsene Strukturen, Sympathien, Antipathien, Ängste und Hoffnungen über Bord werfen und den Menschen - seien es nun bosnische Moslems, Serben oder Kroaten - ein künstliches "Multi-kulti-Treibhaus" anbieten.

Das Gegenteil des Erwarteten trat ein: Als die Menschen merkten, daß nichts vorwärts geht, daß aber die Pressionen und Manipulationen zunehmen, flüchteten sie unter das vertraute Dach ihrer eigenen Nation und Volksgruppe. Obwohl es in den letzten Jahren durch massiven westlichen Druck eine Stärkung der zentralen Institutionen gegeben hat, fehlt es dem Staatsgebilde Bosnien-Herzegowina an innerem Zusammenhalt. Für den Linzer Völkerrechtler Manfred Rotter ist Bosnien-Herzegowina ein "Kunstgebilde, daß durch einen völkerrechtlichen Vertrag geschaffen wurde". Es handle sich um zwei Teilstaaten, die "nur sehr mühsam zu einem Gesamtstaat zusammenwachsen".

Entsprechend dem Staatsaufbau wurde in der Föderation und der Republika Srpska getrennt gewählt und gezählt, insgesamt gingen knapp 55 Prozent zur Wahl. So entfielen bei den Wahlen für das Zentralparlament in Sarajevo wie bei der Wahl zum Föderationsparlament etwa 32 Prozent der Stimmen aus der Föderation auf die von Alija Izetbegovic gegründete Moslem-Partei SDA, knapp 17 Prozent auf die national-kroatische HDZ, sowie je rund 16 Prozent auf die westlich orientierte Partei für Bosnien-Herzegowina (SBiH) und die SDP.

In der "ethnisch" noch immer weitgehend "reinen" Republika Srpska wählten etwa 37 Prozent die Serbische Demokratische Partei (SDS), die einst der heute als Kriegsverbrecher gesuchte Radovan Karadzic gegründet hatte. Knapp 25 Prozent wählten die sozialdemokratische SNSD, über 11 Prozent die Partei des demokratischen Fortschritts (PDP). Neuer Präsident der Republika Srpska wurde mit 40,57 Prozent Dragan Cavic von der SDS. Im dreiköpfigen zentralbosnischen Staatspräsidium sitzen nun ebenfalls nur "Nationalisten": Als moslemisches Mitglied zieht Sulejman Tihic (38,2 Prozent) von der SDA ins Präsidium ein, serbisches Mitglied wird Mirko Sarovic (39,7 Prozent) und kroatisches Mitglied Dragan Covic (62,15 Prozent).

Vor lauter sozialen "Ingenieurs-Kunststücken" übersahen die westlichen Repräsentanten das eigentliche Problem, über das sich aus Gründen der political correctness tiefes Schweigen ausbreitet: Daß nämlich die ethnisch-demographische Situation zu erheblicher Sorge Anlaß bietet. Sarajevo ist seit dem Frieden von Dayton eine faktisch rein moslemische Stadt geworden, aus der die Kroaten langsam aber sicher abziehen - und in die die Serben nicht zurückkehren wollen. "Sarajevo und Mittelbosnien sind für uns Katholiken verloren. Hier weht die grüne Fahne des Propheten", sagte ein katholischer Geistlicher. Während die Christen in Bosnien - Kroaten ebenso wie Serben - unter einem bedrohlichen Geburtenrückgang leiden, vermehren sich die moslemischen Bosniaken ungebremst. Die westlichen Repräsentanten stehen dieser Entwicklung weitgehend hilflos gegenüber - wenn sie diese überhaupt erkennen.

Hinzu kommt ein weiterer "unter den Tisch gekehrter" Aspekt: Es ist in höchstem Maße fragwürdig und wahrscheinlich kontraproduktiv, wenn hohe Repräsentanten des Westens, der EU oder der Amerikaner sich mehr oder weniger offen in den Wahlkampf einmischen, die einen Parteien verdammen, die anderen Parteien loben - um am Ende die Bosnier zu bedrohen, man werde das vom Krieg immer noch gezeichnete Land nicht in die EU oder Nato aufnehmen und sogar Sanktionen verhängen, wenn die Bewohner Bosniens wieder die "falschen" Parteien, das heißt die "bösen Nationalisten" wählen sollten. Diese bösen Nationalisten aber sind für die verschiedenen Völker - die eigenen Leute, die man kennt und zu denen man mehr Vertrauen hat als zu irgendwelchen a-nationalen Gestalten, die einen nicht verstehen wollen und die als "Hilfssheriffs" der internationalen Staatengemeinschaft auftreten.

Bei einer zufälligen Begegnung zwischen serbisch-orthodoxen und katholischen Geistlichen in Bosnien, sagte ein kroatischer Pfarrer den Serben: "Es war ein Wahnsinn, daß eure Leute uns angegriffen, erschlagen und vertrieben haben. Denn gemeinsam hätten wir den Moslems entgegentreten und dafür sorgen können, daß Bosnien wenigstens zu einem Teil christlich bleibt. Dafür ist es jetzt zu spät. Die Islamisierung ist nicht mehr aufzuhalten."


 
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