© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/02 11. Oktober 2002

 
Geistliche Unschärfe
Pfarrertag: Viel Beifall für eine Ethik, die nicht wehtut
Karsten Huhn (idea)

Kommen Mediziner zu einem Jahrestreffen zusammen, sprechen sie gewöhnlich über Vorsorge, Operationen und Nachbehandlungen. Treffen sich Juristen, tauschen sie sich über die neuesten Gesetze aus. Der diesjährige Pfarrerinnen- und Pfarrertag hingegen diskutierte nicht etwa über gute Verkündigung, Mission oder Seelsorge. "In Verantwortung vor Gott und den Menschen" hieß das zeitlos schöne Thema, das man sich vom 30. September bis 2. Oktober in Kiel gestellt hatte. Eine Formulierung, die so zwar auch in der Bibel stehen könnte, tatsächlich jedoch dem Grundgesetz als Präambel vorangestellt ist.

Gleich mehrere Redner gaben zu, daß das gestellte Motto kein echtes theologisches oder Pastorenthema sei. Zudem sei es schon oft diskutiert worden. Dennoch müsse man darüber reden, zumal es viel öffentlichkeitswirksamer als ein Kirchenthema sei, wie Klaus Weber, der Vorstandvorsitzende des Pfarrerverbandes, erklärte. Es ist ja auch viel angenehmer, der Politik Ratschläge zu erteilen, Moral anzumahnen und über die großen Gesellschaftsfragen zu sinnieren, als über die Reform des eigenen Hauses nachdenken zu müssen. Es ist schon seltsam: Einerseits klagen viele Pastoren über Überarbeitung. Andererseits können sie der Versuchung nicht widerstehen, sich doch immer wieder neue Aufgaben zu suchen.

Die Hauptreferate hielten der CDU-Politiker Heiner Geißler und Wolfgang Huber, der berlin-brandenburgische Bischof. Geißler, der freundliche alte Mann mit dem Dalai Lama-Lächeln, ist ein guter, ein geschickter Redner, der in starken Bildern spricht und weiß, wie er das Publikum zum Lachen bringt. Der Mensch sei ein Sozialwesen, sagt Geißler, auch Turbokapitalisten seien auf andere Menschen angewiesen: "Selbst ein Neoliberaler wie Hans-Olaf Henkel hat sich nach seiner Geburt nicht selbst gefüttert."

Geißler kritisiert - wie er meint - Fehlübersetzungen der Bibel. Johannes der Täufer habe in Matthäus 3, Vers 2 nicht "Tut Buße" gefordert, sondern "Denket um". Wegen dieses Irrtums liefen Millionen Christen heute schuldbewußt und demütig herum, statt auf das befreiende Evangelium zu vertrauen. Das Christentum sei eine revolutionäre Bewegung, Jesus habe Herrschaftsstrukturen in Frage gestellt und "eine mit Sprengstoff geladene Botschaft" vertreten. Geißlers Evangelium läßt sich in zwei Begriffen zusammenfassen: Menschenrechte und soziale Marktwirtschaft. Er beklagt Megafusionen und Arbeitsplatzabbau, die Unterdrückung der Frauen, Folter, Armut und Gewalt. "Wo bleibt der Aufschrei der Kirchen?", fragte Geißler. Den Pfarrern scheinen Geißlers Ausführungen zu gefallen, der Beifall für ihn ist kräftig und anhaltend. Das alles ist zwar wohlfeil gesprochen, ist aber zugleich auch eine Ethik, die nicht wehtut, einen selbst nichts kostet. Es ist wie so oft: Die Kirche beklatscht sich selbst und versichert sich: Wir sind die Guten! Bei uns hat Gerechtigkeit ein Zuhause! Leider auch die Selbstgerechtigkeit.

Wie Heiner Geißler findet auch Wolfgang Huber große Zustimmung. Im Gegensatz zum leicht und verständlich plaudernden CDU-Politiker ist Huber ein gelehrter Kanzel-Feuilletonist, den das Publikum für seine Gelehrtheit bewundert, auch weil es ihm bei seiner akademischen Hetzjagd durch die Wissenschaften nicht immer folgen kann. Einst plante er, für die SPD in den Bundestag zu ziehen, nahm dann aber die Bewerbung zurück. Noch heute merkt man dem Bischof den verhinderten Politiker an, der mindestens ebenso gerne regieren möchte, wie er predigen will. Über seinen Streit mit Berliner und Brandenburger Politikern um den Religionsunterricht an Schulen berichtet Huber, als ginge es um die letzten Dinge, er doziert über Säkularisierung, zürnt gegen US-Präsident Bushs leichtfertige Wortwahl wie der vom "Kampf gegen die Achse des Bösen", wettert gegen den Skandal der Arbeitslosigkeit und richtet sich schließlich gegen Embryonenexperimente in der Petrischale.

Dem allen mag der Zuhörer kaum widersprechen, und doch ist es eine kraftlose Rede. Denn wer zu allem etwas zu sagen hat, dessen Worte werden stumpf und bleiben ungehört, was Huber ja auch in einem Seitenhieb auf die ignorante Medienbranche eingesteht. Trotzdem der Bischof ein überaus geschickter Wortakrobat ist, bleibt eine geistliche Unschärfe: Man versteht, was er denkt, aber nicht, was er glaubt. Nur beim letzten Thema, der Bioethik, stellt sich Huber gegen die Strömung des Zeitgeistes. Mit seinem Plädoyer, Embryos von Anfang an zu schützen, vertritt er eine Meinung, mit der er als Mann der Kirche erkennbar ist.

Immerhin: Die Themen, die Pfarrer bewegen müßten, kamen auf dem Pfarrertag auch vor. Vorgetragen wurden sie allerdings nur von den Lübecker Kirchen-(S)Türmern, einem Kabarett, das am Abend liebevoll-ironisch die Eigenarten von Pfarrern und Gemeinden aufs Korn nahm. Gespottet und gelacht wurde über durchaus ernste Themen: schlecht besuchte Gottesdienste, Einsparungen, Ärger mit dem Kirchenvorstand. In einer Szene hieß es: "Ist ein Pfarrer dran beteiligt/ist, was Blödsinn heißt, geheiligt." Nicht jeder der Zuhörer mochte solcherart Kritik hören. Nach einer Pause, die die frechen Theaterkünstler eingelegt hatten, war ein Drittel der Gäste bereits gegangen.


 
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