© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    41/02 04. Oktober 2002

 
Der Menschenfischer
Am Sonntag wird der Gründer des Opus Dei, Josemaria Escrivá, heiliggesprochen
Alexander Barti

Nonnen, die Frisbee spielen, "witzige" Rapper-Priester wie Stan Fortuna, afrikanische Trommelgruppen, mit Poprock "aufgelockerte" Liturgiemusik - selten war die aktuelle Kirchenkrise so deutlich zu bestaunen wie beim katholischen Weltjugendtag in Toronto vor wenigen Wochen. Aber es kam noch schlimmer, als der Papst in der Basilika von Guadalupe die Seligsprechung von Juan Baptista und Jacinto de Los Angeles leitete: Beide wurden im Jahre 1700 grauenhaft zu Tode gefoltert, weil sie als brave Katholiken heidnische Beschwörungen gemeldet hatten - jetzt ließ es sich Johannes Paul II. nicht nehmen, durch ein von Indianern durchgeführtes "Reinigungsritual" mit geräucherten Kräuterbüscheln gleichsam von bösen Geistern "exorziert" zu werden. Selten war die Schizophrenie der "Inkulturation" und des "Ökumenismus-über-alles" deutlicher sichtbar.

Da scheint es auch nichts besonderes zu sein, wenn am 6. Oktober eine in der Geschichte Roms noch nie dagewesene Heerschar der Heiligsprechung von Josemaria Escrivá de Balaguer (1902-1975) beiwohnen wird. Hauptsache alle sind glücklich und finden ihre Erfüllung, scheint das oberste Dogma der Kirchenführung zu sein, die Aufsicht über die Integrität der Glaubenslehre hat nachgeordneten Rang.

"Fürchte die Wahrheit nicht, selbst wenn sie dich in den Tod führen sollte" - "Es bedarf eines Feldzuges für Männlichkeit und Reinheit, um die verheerende Arbeit derjenigen zu durchkreuzen und auszulöschen, die den Menschen für ein Tier halten. Dieser Feldzug ist eure Sache" - "Dein größter Feind bist du selbst" - "Mit welch infamem Scharfsinn argumentiert Satan gegen unsern katholischen Glauben! Aber sagen wir stets, ohne uns auf Diskussionen einzulassen: Ich bin ein Sohn der Kirche" - wer war der Mensch, der solche und Hunderte ähnlicher Aphorismen als Leitfaden für sein Leben und seine Getreuen wählte?

Josemaria Escrivá wurde am 9. Januar 1902 im spanischen Balbastro in einfachen Verhältnissen geboren. Seine Berufung zum Priester bemerkte er, als er einen Mönch barfuß im Schnee gehen sah - davon war er so beeindruckt, daß auch er sein Leben Gott weihen wollte. Die Priesterweihe empfing Josemaria 1925, und kaum drei Jahre später "schaute" er das "Werk Gottes", besser bekannt als Opus Dei.

Hauptziel der 1928 in Madrid gegründeten Laienorganisation war und ist die "Heiligung durch die tägliche Arbeit". Damit machte Escrivá deutlich, daß nicht nur die Ordensleute und Priester eine Berufung zur Heiligkeit haben, sondern potentiell alle Christen - wenn sie ihre Tätigkeit Gott weihen. Doch ganz so simpel geht es im "Werk" nicht zu. Die engsten Mitglieder der Organisation, die Numerarier, leben geschlechtlich getrennt und zölibatär in den diversen OD-Zentren, meist Villen in den besseren Wohngegenden, und versuchen während ihrer normalen Tätigkeit andere Menschen für das Werk zu gewinnen. Sie verstehen sich in Anlehnung an eine Bibelstelle als moderne "Menschenfischer". In ihrer Arbeit werden sie von den Supernumerariern unterstützt, die ein normales Familienleben führen.

Escrivá, der auch das Zweite Vatikanische Konzil (1962-65) mitgestaltete, erreichte für seine Organisation zunächst den kirchenrechtlichen Status eines Säkularinstituts, aus dem 1982 eine sogenannte Personalprälatur wurde. Das Besondere an dieser rechtlich bisher einzigartigen Konstruktion ist, daß ihre Mitglieder direkt dem Papst unterstellt sind - die Bischöfe, auf deren Terrain das Werk aktiv ist, haben keine Befehlsgewalt. So bildet das Opus Dei quasi eine virtuelle Diözese, die sich potentiell auf alle Länder der Erde erstreckt. Die Leiter eines Landes oder einer Region sind die "Regionalvikare" - für Deutschland ist das Christoph Bockamp, der auch beste Kontakte zu Kardinal Meisner und Ratzinger unterhält. Seit 1991 werden alle Generaloberen mit ihrer Ernennung automatisch in den Bischofsrang erhoben; der aktuelle Generalobere des Opus Dei ist seit 1994 Bischof Javier Echevarría Rodríguez.

Nicht nur der unmittelbare Zugang zum Papst hat dem Werk viel Mißtrauen und Neid beschert, so daß Kritiker von der "ultrakonservativen Mafia" sprechen oder es mit einer sektenähnlichen Geheimorganisation vergleichen, auch sein Reichtum und sein hochkarätiges Personal wecken Begehrlichkeiten und Unbehagen. In der Tat sind die zahlreichen Organisationen und Besitzungen des Opus Dei schwer zu erkennen, weil sie in der Regel juristisch nicht dem Werk gehören - Träger sind ihre Mitglieder und Sympathisanten durch "Fördervereine" oder "Freundeskreise", die wiederum oft mit Stiftungen und Treuhandgesellschaften kooperieren. Ein undurchsichtiges Netzwerk.

Doch auch der Gründer selbst wurde und wird immer wieder attackiert, weil er zum Beispiel ein gutes Verhältnis zu Franco gehabt habe. Darüber, daß die republikanischen Truppen im Spanischen Bürgerkrieg Escrivá unbedingt ermorden wollten, wie Tausende andere Priester und Ordensleute auch, redet man heute wenig. Und auch daß Escrivá im Zweiten Weltkrieg vor allem eine Abwehrschlacht gegen den Bolschewismus zu erkennen glaubte, macht ihn für viele heutige Zeitgenossen eher verdächtig.

Zwischen 1949 und 1960 war Josemaria Escrivá achtmal in Deutschland. Das erste Mal traf er sich in München mit Kardinal Faulhaber und erörterte mit ihm - auf Latein - den Zustrom der aus den Ostgebieten vertriebenen Katholiken, sechs Jahre später las er die Messe im Kölner Dom. Josemaria Escrivá starb am 26. Juni 1975 in seinem Arbeitszimmer in Rom an Herzversagen. Im Mai 1992 wurde er von Papst Johannes Paul II. seliggesprochen.

Trotz seiner weltweit rund 85.000 Mitglieder scheint die personelle Expansion des Opus Dei gebremst zu sein. In Deutschland, wo es etwa 1.000 Mitglieder gibt, ist sogar von einer Nachwuchskrise die Rede. Womit das zusammenhängt, darüber läßt sich nur spekulieren, aber mit Sicherheit wird man eine Ursache in der von obersten Kirchenkreisen geduldeten Nachlässigkeit im Umgang mit den Glaubenswahrheiten sehen. Wieso sollte man - wie beim Opus Dei üblich - kniend die Mundkommunion empfangen, wenn der Papst selbst die heilige Hostie dem stehenden Gläubigen in die Hand drückt? Was bedeutet überhaupt Katholizismus, wenn seit dem Zweiten Vatikanum alle Wege via "anonymen Christentums" (Karl Rahner) zum Heil führen und mit Häretikern aller Couleur der "Dialog" gepflegt wird?

Verdrängt wird auch, daß Escrivá die 1969 eingeführte Neue Meßordnung mit Volksaltar und verstümmelten Hochgebeten nie akzeptierte und bis zu seinem Tod den tridentinischen Ritus praktizierte. Damit führte er etwas fort, für das heute die sogenannten Traditionalisten, zum Beispiel in der "Priesterbruderschaft hl. Pius X." hart angegriffen, als "Reaktionäre" und "Ewiggestrige" diffamiert werden - auch von Angehörigen des Opus Dei.

Vielleicht könnte aber genau die Rückkehr zur Tradition, die der neue Heilige nie verlassen hat, die Krise überwinden. Anzeichen dafür gibt es. So erklärte der Jesuit Pierre Blet in einem Interview im April 2002, der Papst selbst habe damit begonnen, die tridentinische Liturgie wieder zu erlernen. Der neue Heilige dürfte sich darüber freuen.


 
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