© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    41/02 04. Oktober 2002

 
Krieg - die Mutter aller Antworten
Irak-Konflikt: Die Uno ist den USA bei ihren außenpolitischen Absichten ein Klotz am Bein / Alle Mühen sind auf eine Rechtfertigung eines Präventivschlages gerichtet
Michael Wiesberg

Mitte September dieses Jahres stellte die Regierung Bush ihr neues außenpolitisches Konzept vor, das in Deutschland aufgrund des zu diesem Zeitpunkt grassierenden Wahlkampfgetöses relativ unbeachtet geblieben ist. Das Papier mit dem Titel "The National Security Strategy of the United States" (NSS) ist die erste umfassende Erklärung zur Außenpolitik der Bush-Regierung. Jeder Präsident muß dem Kongreß ein derartiges Papier vorlegen. Das von Bush verantwortete Papier dokumentiert vor allem den Willen der USA, sich mit allen Mitteln gegen jeden möglichen Feind - auch präventiv - zu verteidigen. Das Papier unterstreicht ausdrücklich den Anspruch, die militärische Vorherrschaft der USA für alle Zeiten zu zementieren.

Mehr oder weniger deutlich wird auch dem Multilateralismus eine Absage erteilt. Das Prinzip internationaler Verträge, mittels derer die Nichtweiterverbreitung von Waffensystemen gewährleistet werden soll, habe sich in den Fällen der "Schurkenstaaten" Iran, Nord-Korea oder Irak als ineffektiv erwiesen. Statt dessen soll nun das Prinzip der "counterproliferation" bis hin zur gewaltsamen Entwaffnung in Ungnade gefallener Staaten gelten.

Entweder Vasallentreue oder internationale Ächtung

Im Mittelpunkt der NSS steht der unbedingte Wille, jede ausländische Kraft daran zu hindern, die exklusive militärische Führungsrolle der Vereinigten Staaten, die nach dem Fall der Sowjetunion entstanden ist, in Frage zu stellen. Jeder mögliche Feind hat mit Präventivschlägen zu rechnen, falls er es wagen sollte, die militärische Stärke der USA zu übertrumpfen oder auch nur mit ihr gleichziehen zu wollen. Die Konsequenz: aufgrund dieser selbst ausgestellten Generalermächtigung wird jede Nation allein dadurch zum Feind der USA, wenn sie deren hegemoniales Machtkalkül durch verstärkte militärische Anstrengungen provoziert.

Unter dem Strich kann man resümieren, daß die NSS den Rest der Welt auffordert, sich in Wohlverhalten gegenüber den USA zu üben. Dies gilt auch für die supranationalen Instanzen wie Uno, IWF und Weltbank, die sich dem Kampf um die Werte und Ideen der USA unterzuordnen haben.

Multilateralismus, so lautet eine Schlußfolgerung der NSS, könne es nur dann geben, wenn es Amerikas Interessen dienlich ist, die selbstherrlich mit den Interessen der freien Welt gleichgesetzt werden. Dem haben sich auch die "Alliierten" der USA zu fügen: Zwar sei man zu Allianzen bereit, um den Krieg gegen den Terrorismus zu führen. Im Fall nationaler Notwehr werde man aber nicht zögern, präventive Kriege auch alleine zu führen. Die Souveränität ausländischer Staaten wird also seitens der USA schlicht ignoriert. Alles und jeder hat sich dem Kampf gegen den Terrorismus unterzuordnen.

Konsequent zu Ende gedacht, kommt die NSS dem Ende der Politik souveräner Staaten bzw. der supranationalen Organisationen gleich. Hier liegt denn auch der eigentliche Kern der Verstimmung zwischen Deutschland und den USA. Im Prinzip will die Außenpolitik der USA nur noch bedingungslose Vasallentreue oder die internationale Ächtung bzw. Sanktionierung kennen. Die langfristigen Konsequenzen dieser Engführung der Außenpolitik der Regierung Bush können nicht anders als fatal genannt werden. Es bleibt jedoch fraglich, warum die US-Regierung ausgerechnet Deutschland nach den verbalen "Aussetzern" einiger Sozialdemokraten im Wahlkampf so scharf angriff - die Beziehung zu Berlin sei "vergiftet", konstatierte Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice - und anschließend sogar dadurch düpierte, indem man Gerhard Schröders Wahlsieg bewußt ignorierte oder der Verteidigungsministers Donald Rumsfeld auf dem Warschauer Nato-Treffen jedes Gespräch mit seinem deutschen Kollegen Peter Struck verweigerte. Vom französischen Nachbarn, immerhin vetoberechtigtes Mitglied im Weltsicherheitsrat, war man im Weißen Haus ähnliche Angriffe auf den Welthegemon lange gewöhnt. Ist Deutschland so wichtig für die USA, daß es so "gestraft" werden muß? Die Einschätzung des österreichischen Spezialisten für transatlantische Beziehungen im Institut für Internationale Politik in Wien, Heinz Gärtner, geht eher davon aus, daß die wichtige Stellung Deutschlands als "Frontstaat" mit der Wiedervereinigung verlorenging und der mitteleuropäische Staat auch als stotternder wirtschaftlicher Motor der Europäischen Union scheinbar seine wichtige Rolle verloren hat. Genau deshalb diene Deutschland nun praktisch dafür, zur Abschreckung anderer europäischer Mächte als "Punchingball" die Folgen zu demonstrieren, die eine Renitenz gegen die USA nach sich ziehen würde.

Der ehemalige Sicherheitsberater des demokratischen Präsidenten Jimmy Carter, Zbigniew Brzezinski, deutet Deutschlands Rolle unter genau umgekehrten Vorzeichen: "Deutschland ist der Angelpunkt, um den sich Kontinentaleuropa bewegen wird", sagte er jüngst in einem Interview mit der Tageszeitung Die Welt. Selbst Großbritannien hätte in europäischen Fragen nicht das Gewicht Deutschlands, von Frankreich ganz zu schweigen. Deshalb sähen die USA ihren Einfluß in Europa gefährdet, erst recht wenn Deutschland als "die Führungsmacht im Europäischen Einigungsprozeß heute mehr geneigt ist, offen zu sprechen", wie Brzezinski erklärt.

Deutschlands Widerspruch brachte die Uno auf den Plan

Der Widerspruch aus Deutschland in der vergangenen Wochen habe bereits die Kriegspläne der Falken im Weißen Haus dadurch durchkreuzt, indem die USA - entgegen der ursprünglichen Absicht, sich nicht durch multilaterale Prozeduren in ihrer Handlungsfähigkeit einschränken zu lassen - die Zuständigkeit der Uno anerkennen mußten. Deutschland habe sich damit entgegen aller Voraussagen aus Washington keineswegs isoliert, sondern die europäischen Stimmen vorweggenommen. "Militärschläge kann es laut Völkerecht nur in zwei Fällen geben: Erstens in legitimer Selbstverteidigung, zweitens in Übereinkunft mit einer Resolution des Weltsicherheitsrates", bringt Javier Solana die Haltung der EU-Außenpolitik im letztenWiener Profil auf den Punkt.

Doch genau das möchte die Weltmacht USA am liebsten verhindern. Das Völkerrecht und die internationalen Organisationen, die zumindest der Papierform nach die internationalen Beziehungen ordnen sollen, werden durch die USA sukzessive erodiert. Militärische Macht ist aber kein Selbstzweck, sondern der Garant einer internationalen Ordnung, die dem Recht zu dienen hat. Jetzt schicken sich die USA an, die Ordnung, die sie mitinstallierten, faktisch abzuschaffen. Scott Ritter, ehemaliger amerikanischer UNO-Waffeninspekteur, teilt diese Sicht: Bush riskiere die Zerstörung der Vereinten Nationen, die über ein halbes Jahrhundert die internationale Zusammenarbeit garantiert hätten, unterstrich Ritter in einem Interview für die aktuelle Ausgabe des Magazins Konkret (10/02): "Dies ist ein historisch einschneidender, ein sehr gefährlicher Augenblick."

Diese Entwicklung kommt einem Sieg des amerikanischen Provinzialismus gleich, dessen Verfechter seit jeher einen kleinkarierten Unilateralismus verfolgen und außer angeblichen amerikanischen Interessen keinerlei Maßstäbe kennen. Das "Recht zum Krieg", das seit der Völkerbundsatzung im Laufe der Jahrzehnte mehr und mehr geächtet zu sein schien, wird jetzt durch die Regierung Bush wieder hoffähig gemacht. Das ist, um es deutlich zu sagen, die Rückkehr zum Faustrecht, das zur Anarchisierung der internationalen Beziehungen führen könnte, sollte diese Doktrin "des amerikanischen Weges" Schule machen.

Diese Positionierung bringt die deutsche Außenpolitik, so wie sie sich nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt hat, in einen nachhaltigen Interessenkonflikt, der im Hinblick auf einen möglichen Irak-Krieg bereits offenkundig geworden ist. Die zwei Säulen nämlich, auf denen die deutsche Außenpolitik steht, sind in Konflikt miteinander geraten: die erklärte Westbindung und feste Allianz mit den USA auf der einen Seite und die Bindung der deutschen Außenpolitik an das Völkerrecht auf der anderen Seite. Die derzeitige US-Regierung hat mit ihrer neuen außenpolitischen Doktrin unmißverständlich klargemacht, daß sie von dem Völkerrecht und Bündnissen nur solange etwas hält, wie es ihren Interessen dienlich ist. Mit dieser Haltung sind die USA aus deutscher Sicht vom Partner zum Konfliktpartner mutiert. Vertieft sich dieser Konflikt - was zu befürchten ist -, dürfte es um die Zukunft des Völkerrechts und der Nato nicht zum besten stehen. Das heißt weiter, daß sich auch die Wirtschaftsbeziehungen zwischen den USA und Europa weiter eintrüben dürften. Dies gilt erst recht, wenn die USA und ihr "dressierter Pudel" Großbritannien einen Regimewechsel im Irak mit militärischen Mitteln erzwingen sollten. Das es hier zuvorderst um den Zugriff auf die irakischen Erdölreserven geht, dürfte inzwischen allgemein bekannt sein. Die Hegemoniestellung der USA mit dem Zugriff auf die relevanten Erdölvorkommen dieser Welt wäre gefestigt. Damit würden den Amerikanern ökonomisch weitreichende strategische Instrumente zuwachsen.

Zur Not den Konflikt mit der US-Regierung zuspitzen

Vor diesem Hintergrund kann die Haltung der rotgrünen Bundesregierung im Hinblick auf einen möglichen Irak-Krieg nicht anders als vernünftig genannt werden. Es darf in dieser Frage kein opportunistisches Taktieren geben, wie es die Unionsparteien einige Zeit versucht haben. Die Bundesregierung sollte die kürzlich erfolgte Wahl Deutschlands in den Weltsicherheitsrat entschlossen dazu nutzen, ihre Positionen im Hinblick auf einen möglichen Irak-Krieg weiter zu profilieren - auch wenn sie dadurch Gefahr läuft, den Konflikt mit der derzeitigen US-Regierung weiter zuzuspitzen. Die Wahrung des Völkerrechtes ist ein höheres Gut als die bedingungslose Bündnistreue gegenüber einem Staat, dessen Regierung jedes Maß verloren zu haben scheint.

Die Fragwürdigkeit der antiirakischen Fixierung der USA und Großbritanniens wurde im übrigen schon bei deren letzter Strafaktion gegen den Irak im Herbst 1998 überdeutlich. Der Irak beendete damals einseitig die Zusammenarbeit mit den Waffeninspekteuren der UNSCOM. Die USA schritten damals noch unter ihrem Präsidenten Bill Clinton mit Großbritannien, ohne irgendein Mandat abzuwarten, zur Züchtigung in Form eines viertägigen Bombardements des Iraks. Weder bemühten sich die USA um einen hinreichenden Rechtsgrund noch wählten sie den Weg eines korrekten Verfahrens. Bombardiert wurden militärische Einrichtungen und sogenannte "Führungs- und Kommunikationseinrichtungen". Entscheidend aber ist, was in der "Erfolgsbilanz" nicht auftauchte: nämlich die angeblichen Massenvernichtungslager und -waffen oder die Fabrikationsanlagen Saddam Husseins. Diese fanden sich in keiner Zielliste. Dieser Befund taucht die gesamte Strafaktion in ein mehr als trübes Licht und zeigt, daß es zumindest im Hinblick auf den Irak eine gewisse Kontinuität zwischen der Politik von Bill Clinton und George W. Bush gibt.

Auch diesmal sind die Argumente, die Großbritannien und die USA vortragen, mehr als dünn. Der bereits genannte Scott Ritter ist der Überzeugung, daß der Irak nicht in der Lage sei, Massenvernichtungswaffen herzustellen: Die Wahrheit sei, so erklärte Ritter, daß der Irak keine Bedrohung für seine Nachbarn darstelle und nicht auf eine Art und Weise handele, die irgendjemand außerhalb seiner Grenzen gefährde. Ritter hält das Gerede des US-amerikanischen Verteidigungsministers Rumsfeld, der behauptet, die notwendigen Beweise gegen Saddam Hussein in den Händen zu halten, schlicht für "dummes Geschwätz". Rumsfeld verletze alle Prinzipien, für die die USA einstünden. Schon allein deshalb, so unterstrich Ritter in Konkret, müßte Rumsfeld zurücktreten. Ritter weiß zweifelsohne, wovon er spricht. Der ehemalige Geheimdienstoffizier der US-Marine gehörte dem Uno-Waffeninspektionsteam im Irak immerhin mehrere Jahre an. Vor vier Jahren trat Ritter als Rüstungsinspekteur ab. Damals beschuldigte er noch die US-Regierung unter Bill Clinton, nicht aggressiv genug für die Umsetzung der Uno-Auflagen einzutreten. Inzwischen beschreibt er Irak als Opfer fehlgeleiteter Uno-Abrüstungsbeschlüsse, die Bagdad unmöglich erfüllen könne. Die Sanktionen sollten aufgehoben werden.

Ritter steht mit seinen Einwänden beileibe nicht alleine dar. Auch deshalb bemüht sich die Regierung Bush, allerlei fragwürdige "Kronzeugen" aufzubieten, die den USA die moralische Legitimation für ihr Vorgehen liefern sollen. Einer dieser Kronzeugen ist Khi-dir Hamza, ein irakischer Wissenschaftler, der behauptet, Saddam Hussein könne binnen weniger Monate eine Atombombe bauen. Hamza war bis 1994 am Atomprogramm des Iraks beteiligt. "Wenn er nicht bald gestoppt wird", verkündete Hamza, "wird Saddam nicht nur ein paar Bomben gebaut haben, sondern eine ganze Atombomben-Industrie aufgebaut haben." Vor einigen Wochen hatte Khidir Hamza bereits ähnliche Aussagen vor einem außenpolitischen Ausschuß des US-Senats gemacht. Was von diesem Kronzeugen zu halten ist, zeigt folgende Einlassung: "Erst in den vergangenen Tagen sei ihm (Kamza, d.V.) aber klar geworden, daß der Westen die von Saddam Hussein ausgehende Gefahr immer noch unterschätze." Immerhin noch rechtzeitig genug, um der Regierung Bush aus ihren Argumentationsnöten zu helfen.


 
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