© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    41/02 04. Oktober 2002

 
Machtworte und "Blaue Briefe"
Koalitionsverhandlungen: Die rot-grüne Regierung wird um Steuererhöhungen kaum herumkommen / Personelle Auszehrung macht sich bemerkbar
Paul Rosen

Das von einer knappen Mehrheit der Wähler bestätigte rot-grüne Projekt hat keine Köpfe und kein Konzept. Als hätte man die letzten vier Jahre nicht regiert, einigten sich die Unterhändler von SPD und Grünen zu Beginn ihrer Koalitionsverhandlungen am Montag in Berlin erst einmal auf einen "Kassensturz". Dabei war längst klar, daß der Koalition die finanzielle Puste ausgegangen ist. Da die Konjunktur nicht laufen und die Arbeitslosigkeit nicht zurückgehen will, fehlen Gerhard Schröder und seinen Mannen zehn Milliarden Euro in der Kasse. Ansonsten kommt der "Blaue Brief" aus Brüssel.

Die Freude über den knappen Sieg dauerte bei den Regierungsparteien nur kurz. Bereits wenige Tage nach der Wahl preschten die Ministerpräsidenten von Niedersachsen und Rheinland-Pfalz, Sigmar Gabriel und Kurt Beck (beide SPD) vor, um nach Steuererhöhungen zu rufen. Die Länderchefs haben die Wiedereinführung der Vermögenssteuer und eine Erhebung der Erbschaftssteuer im Visier. Und mit gutem Grund: Beide Steuern fließen ausschließlich in die Länderkassen. Der Bund hätte nichts davon. 3,5 Milliarden Euro erhoffen sie sich von der Vermögenssteuer, 320 Millionen Euro durch die Erbschaftssteuer.

Doch Schröder mußte seine beiden Genossen stoppen, um nicht gleich zu Beginn seiner zweiten Wahlperiode in den Ruf des Wortbruchs zu kommen: Wenn "veritable Ministerpräsidenten" solche Vorschläge machten, dann sollten sie gefälligst auch überlegen, wie sie die Projekte durch den von der Union beherrschten Bundesrat bekommen, so der Kanzler.

Doch Gabriel und Beck waren nicht die einzigen Steuererhöher, die sich nach der Wahl zu Wort meldeten. Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, von der niemand weiß, ob sie dem neuen Kabinett überhaupt noch angehören wird, spielte mit dem Gedanken einer Gesundheitsabgabe auf Zigaretten, deren Preis um fünf Cent pro Stück gestiegen wären. Die Grünen sprachen sich für eine Weiterentwicklung der Ökosteuer aus, was nichts Gutes verheißen kann. Auch eine Anhebung der Mehrwertsteuer wurde und wird wieder ins Gespräch gebracht. Schröder bemühte sich, das lodernde Feuer der Steuererhöhungen auszutreten: "Es scheint, daß da einige unterwegs sind, die schneller reden als sie denken", lautete die Antwort auf die Frage nach einer höheren Belastung der Bürger.

Rot-Grün versäumte eine Strukturreform

Der neue SPD-Fraktionschef Franz Müntefering mußte ebenfalls in die Bütt: Eine Anhebung der Mehrwertsteuer werde es ebensowenig geben wie eine höhere Mehrwertsteuer, versicherte der Fraktionschef. Schließlich steht Schröder im Wort. Als die schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD) vor der Wahl eine Anhebung der Mehrwertsteuer forderte, griff Schröder ein: "Wir haben nicht die Absicht, die Steuern zu erhöhen, unabhängig von dem, was einer lieber hätte oder nicht lieber hätte." In ihrem Wahlprogramm hatte die SPD sogar Steuersenkungen versprochen. Die für 2003 geplante Senkung der Einkommenssteuer wurde aber wegen der Kosten der Flutkatastrophe bereits um ein Jahr verschoben.

Doch wo viel Rauch ist, ist bekanntlich auch Feuer. Und Dementis sind nun einmal das halbe Eingeständnis einer ganzen Dummheit. Die rot-grüne Koalition wird ohne Steuer- und Abgabenerhöhungen nicht über die Runden kommen. Egal ob die nächste Gesundheitsministerin nun Schmidt oder anders heißen wird, werden die Beiträge für die Krankenkassen im nächsten Jahr kräftig steigen. Rot-Grün versäumte eine Strukturreform, weil beide Parteien die Wähler nicht mit horrenden Zuzahlungen aller Art vergraulen wollten. Auch die Rentenversicherung, von Arbeits- und Sozialminister Walter Riester schlecht verwaltet, hat immense Finanzprobleme, die Rot-Grün nur durch eine Absenkung der Schwankungsreserve verschleiern konnte. Jetzt gibt es nichts mehr abzusenken, und die Folge werden höhere Rentenbeiträge sein.

Das Loch in der Staatskasse läßt sich auch nicht durch Einsparungen schließen. Selbst wenn Deutschland aus dem europäischen Projekt des neuen Militär-Airbus aussteigen würde, wäre die Ersparnis gering. Die mit der Industrie vereinbarte Finanzierung sah vor, daß das Geld erst im Jahre 2008 zu zahlen gewesen wäre. Bis dahin sind nur geringe Entwicklungskosten fällig, so daß Finanzminister Hans Eichel von einem Ausstieg oder einer Reduzierung der Stückzahlen (von 73 auf 40 bis 50) nichts hätte.

Die Debatte und Schröders Machtworte ändern nichts daran, daß Eichel zehn Milliarden Euro fehlen. Buchungstricks oder Steuerrechtsänderungen für Unternehmen (so sind Veränderungen bei Verlustvorträgen und bei der Körperschaftssteuer im Gespräch) dürften wenig bringen. Am Ende wird der Griff in die Taschen der Bürger stehen, auch wenn er vor den Landtagswahlen in Niedersachsen und Hessen am 2. Februar nächsten Jahres noch nicht stattfinden soll.

Für Schröder sieht es nicht so gut aus, wie seine doch deutliche rot-grüne Bundestagsmehrheit es verheißt. Sein Personal wirkt ausgebrannt. Der einzige Aktivposten im rot-grünen Lager nach dem Kanzler, dessen Politik der Beliebigkeit nicht allzu viele Wähler gestört hat, ist der grüne Außenminister Joschka Fischer. Fischer verstand es als Spitzenkandidat, den Niedergang der grünen Partei, statistisch nachweisbar anhand von 16 Landtagswahlen, zu stoppen. Doch schon der nächste Aspirant, Innenminister Otto Schily, ist inzwischen über 70. Ob er in vier Jahren noch so fit ist wie heute, bleibt dahingestellt. Von seiner Justizministerin Herta Däubler-Gmelin mußte sich Schröder wegen deren antiamerikanischen Äußerungen trennen.

Eigentlich hat Schröder schon abgewirtschaftet

Finanzminister Eichel ist, obwohl ihm seine Berater das Image des eisernen Sparkommissars angedichtet haben, genauso überfordert, wie der parteilose Wirtschaftsminister Werner Müller, von dem die meiste Zeit nichts zu hören waren. Riester will bleiben, hat aber keine Erfolge vorzuweisen, außer daß die erfolglos gebliebene "Riester-Rente" seinen Namen trägt. Die restlichen Kabinettsfiguren sind auch nach vier Jahren der breiten Öffentlichkeit weitgehend unbekannt geblieben.

Nur die Grünen-Minister Jürgen Trittin und Renate Künast machten ihrem Ruf als Bürger- bzw. Bauernschreck ein wenig Ehre. Und Schröders Allzweckwaffe Müntefering muß immer an die Front, wo es am meisten brennt: Erst wurde er aus dem Kabinett in die SPD-Zentrale versetzt, jetzt muß er die Fraktion führen. Eigentlich hat Schröder schon abgewirtschaftet, ehe es für die nächsten vier Jahre wieder richtig losgeht.


 
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