© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    41/02 04. Oktober 2002

 
"Eine bedenkliche Entwicklung"

Der Kommunikationswissenschaftler Wolfgang Donsbach über Medien, die Bundestagswahl und die Deformation der Demokratie
Moritz Schwarz / Michael Wiesberg

Herr Professor Donsbach, die SPD hat trotz der großen Schwäche ihres Herausforderers am 22. September lediglich ein durchschnittliches Wahlergebnis erzielt. Warum gelang es der seit dem Wahlsieg 1998 als mediale "Wunderwaffenschmiede" verklärten Kampa, der Wahlkampfzentrale der SPD, nicht, mehr Prozente für die Sozialdemokraten zu organisieren?

Donsbach: Die Kampa hat es diesmal wesentlich schwerer gehabt, ein solides Wahlergebnis für die SPD zu erreichen, da die Umstände für die Sozialdemokraten bekanntlich viel schwieriger waren als vor vier Jahren. Vor allem das nicht eingelöste Wahlversprechen Gerhard Schröders, die Arbeitslosenzahlen erheblich zu senken, lastete doch schwer auf der rot-grünen Koalition. Daneben haben die Korruptionsaffären in NRW der SPD Anfang des Jahres in der veröffentlichten Meinung schwer geschadet. Eine Wahlkampforganisation wie die Kampa ist eben keine "Wunderwaffenschmiede" und kann folglich auch keine Wunder entgegen den politischen Realitäten bewirken.

In Ihrer Analyse "Kampa. Meinungsklima und Medienwirkung im Bundestagswahlkampf", die Sie zusammen mit dem Mainzer Publizistikprofessor Hans M. Kepplinger und der Allensbacher Meinungsforscherin Elisabeth Noelle-Neumann herausgebracht haben, wurde festgestellt, daß es der Kampa 1998 gelungen war, eine Stimmung in den Medien aufzubauen, die nicht der tatsächlichen politischen Lage, sondern der Beeinflussung der veröffentlichten Meinung entsprach. Bedeutet die "Medialisierung" der Demokratie also das Ende der Sachpolitik?

Donsbach: In der Tat ist es der Kampa 1998 gelungen, durch beharrliches Betonen der negativen Seiten der Wirtschaftslage und der Lage auf dem Arbeitsmarkt die Stimmung gedrückt zu halten, obwohl sowohl beim Bruttosozialprodukt als auch am Arbeitsmarkt erste Indikatoren für eine Verbesserung der Lage erkennbar waren, die eigentlich für die Regierung Kohl gesprochen hätten. Die Stimmung in der veröffentlichten Meinung hat also damals die tatsächliche Sachlage überdeckt.

Wenn der Herausforderer 1998 die öffentliche Wahrnehmung der tatsächlichen Lage medial beeinflussen konnte, hätte die Union doch nun ihrerseits die damalige Strategie der Kampa übernehmen können. Haben die Wahlkampfleiter der CDU/CSU ihre Lektion nicht gelernt?

Donsbach: Im Gegensatz zu den Wahlkämpfern der Union hatte die Kampa 1998
die Erfordernisse eines modernen medialen Wahlkampfes erkannt: Es gilt, durch geschicktes Medienmanagement den Kandidaten immer wieder publikumswirksam in die Medien zu bringen. Vor allem war der Kampa die überragende Bedeutung des Fernsehens für den Wahlkampf bewußt. Unsere Untersuchungen haben ergeben, daß eine authentische Darstellung von Politikern generell dazu führt, daß diese besser wahrgenommen werden. In einem Filmbeitrag, in dem der Politiker zu sehen und mit eigenen Worten zu hören ist, wirkt er dank "O-Ton" und Bildern in der Regel nachdrücklicher, als wenn nur über ihn berichtet wird.

Sie haben geschrieben, Medienberichterstattung sei ein Produkt aus dem Handeln von Politikern und Journalisten. Ein Produkt, das nun erneut zugunsten einer rot-grünen Koalition ausgefallen ist. Tragen ergo die Journalisten für den Wahlausgang mit die Verantwortung? Inwiefern verträgt sich dieser Umstand mit dem politisch-ethischen Selbstverständnis der eigentlich unabhängigen "Vierten Gewalt"?

Donsbach: Wenn wir unsere bislang vorliegenden Daten, nämlich die Berichterstattung der vier großen überregionalen deutschen Tageszeitungen - die beiden konservativen FAZ und Welt und die beiden linken Süddeutsche Zeitung und Frankfurter
Rundschau ­- betrachten, dann erscheint die Berichterstattung diesmal ausgewogen gewesen zu sein. Wenn man aber die Zahlen nach dem Zeitverlauf aufschlüsselt, dann wird deutlich, daß die positive Berichterstattung für Schröder Mitte August in die Höhe schnellt, während die über Stoiber nur polarisiert: Das heißt, die positive Berichterstattung nimmt zwar auch leicht zu, aber ebenfalls­ die negative und diese zudem in weit höherem Maße.

Eine Parteinahme der Presse?

Donsbach: Soweit würde ich nicht gehen. Aber natürlich wissen wir, daß sich die subjektive Sicht der Dinge durch die Journalisten immer auch in der Berichterstattung niederschlägt.

Ein typisch deutsches Phänomen?

Donsbach: Nein, aber in der Tat haben wir in Deutschland einen stärker politisierten Journalismus als etwa in den angelsächsischen Ländern. In einer international vergleichenden Umfrage haben wir festgestellt, daß die deutschen Journalisten ihre Nachrichtenentscheidung stärker an die eigene politische Meinung anpassen als ihre ausländischen Kollegen.

Wie ist das zu erklären?

Donsbach: Wir Deutsche betrachten die journalistische Arbeit viel mehr als eine ganzheitliche, persönliche Leistung des "Individuums Journalist". In den angelsächsischen Ländern existiert dagegen ein ganz anderes Rollenverständnis des Journalisten und damit auch andere Berufsnormen. Dort stehen im Gegensatz zu Deutschland Neutralität und Objektivität an erster Stelle. Daher gibt es auch eine weit stärkere redaktionelle Kontrolle: Die Angelsachsen gehen zu Recht davon aus, daß eine gewisse Subjektivität auch bei Journalisten unvermeidbar ist. Also muß die Redaktion Vorsorge treffen, daß diese Subjektivität nicht allzu stark "durchschlagen" kann. Die Texte der Journalisten werden daher von den leitenden Redakteuren, den editors, viel stärker redigiert als bei uns. In Deutschland kommt bei solchen Praktiken gleich die Klage über fehlende innere Pressefreiheit und der Vorwurf der Zensur.

Also ist Parteinahme bei uns doch die Regel?

Donsbach: Das muß man differenzierter sehen: Die Vorliebe eines Journalisten für einen Politiker oder eine politische Seite muß nicht bedeuten, daß dieser dann offen parteiisch schreibt. Aber natürlich schenken Menschen der Seite, die ihnen sympathischer ist, eher Glauben, nehmen deren Argumente ernster und liefern von ihr das bessere Bild. Wir nennen das die "instrumentelle Aktualisierung": Einer Nachricht wird ein größerer Nachrichtenwert zugesprochen, wenn sie geeignet ist, die eigenen
Wirkungsabsichten, also die des Journalisten, zu transportieren.

Die große Mehrzahl der Journalisten in Deutschland ist tendenziell links eingestellt. Wie ist diese Präferenz zu erklären?

Donsbach: Journalisten sind eher Menschen, die abürgerlich sind, das heißt, Menschen, die sich in einem gewissen Gegensatz zum Establishment und bürgerlicher Gesellschaft sehen. Journalismus hat auch etwas bohemienhaftes, das gilt für alle Ländern, in denen der Beruf frei ist.

Verhält sich die Minderzahl nicht-linker Journalisten feststellbar anders?

Donsbach: Auch konservative Journalisten sind parteiisch und färben ihre Berichte. Aber unsere Untersuchungen haben ergeben, daß dieses Phänomen bei links eingestellten Journalisten in der Tat stärker ist.

Durch die mehr oder minder bewußte Parteilichkeit der meisten Journalisten zugunsten linker Inhalte ist die Union in einem strategischen Nachteil. Was kann sie dagegen tun?

Donsbach: Wir haben es dabei nicht mit einem speziell deutschen, sondern mit einem europäischen, ja wahrscheinlich sogar weltweiten Phänomen zu tun. Daß die Journalisten eher linksgerichtet sind, daran wird die Union auch in zwanzig Jahren nichts ändern können.

Also ist es nur folgerichtig, wenn Angela Merkel nun als Reaktion auf die Wahlniederlage verkündet, die Union weiter nach links zu führen?

Donsbach: Die Lösung kann nicht darin bestehen, des publizistischen Erfolgs wegen eigene politische Werte an die Einstellungen der Journalisten anzupassen.

Die Union traute sich nicht, ihr Thema Zuwanderung zentral im Wahlkampf zur Abstimmung zu stellen, weil sie "Prügel" von seiten der Medien fürchtete. Geht es nicht zu weit, wenn die Medien bereits die Wahlkampfthemen bestimmen?

Donsbach: Natürlich ist das eine dramatische Verschiebung der Kräfteverhältnisse. Entscheidend ist heute nicht mehr, wie Themen bei der Bevölkerung, sondern wie sie bei den Medien ankommen. Die Bevölkerung folgt fast immer notgedrungen den Themensetzungen und den inhaltlichen Tendenzen der Medien. Die wenigsten Menschen bilden sich eine politische Meinung auf Grundlage einer sachlichen Berichterstattung, die meisten Menschen tun dies entsprechend des meinungsbildenden Rahmens - wir bezeichnen diesen Prozeß als framing - den jedes Medium bietet. Auf diese Weise werden bestimmte Meinungen legitimiert, andere delegitimiert.

Die Medien machen allerdings erfahrungsgemäß nicht bei der Parteinahme für eine politische Richtung halt, sondern paktieren in gewisser Weise sogar mit der Politik gegen den Wähler: In der Frage der Einführung des Euros waren sich zum Beispiel alle Parteien einig, obwohl klar war, daß die Mehrheit des Volkes dagegen war. Die Medien sind damals keineswegs ihrer demokratischen Verpflichtung nachgekommen, Anwalt der Bürger gegen ein Kartell der Parteien zu sein.

Donsbach: Das ist richtig, die Medien haben die Differenz der Politik zur Meinung im Volk kaum aufgegriffen. Allerdings muß man sich vergegenwärtigen, daß ohne dieses Prinzip der repräsentativen Demokratie, dem Prinzip also, daß während einer Legislaturperiode die Abgeordneten nicht dem Volkswillen, sondern nur ihrem Gewissen verpflichtet sind, auch andere wichtige Entscheidungen ausgeblieben wären: Etwa die Wiederbewaffnung oder der Nato-Doppelbeschluß, der letztlich zum Zerfall des Ostblocks geführt hat.

Im Falle der Schill-Partei ist es den etablierten Parteien geglückt, sich durch deren Stigmatisierung als "rechtspopulistisch" unliebsame Konkurrenz vom Hals zu halten. Im Falle der PDS haben die Medien übrigens das von Unionspolitikern analog gebildete Adjektiv "linkspopulistisch" nicht übernommen, und die Stigmatisierung damit verhindert. Wie bewerten Sie die Übernahme eines solchen politischen Kampfbegriffs der Parteien durch die Medien, die dem Begriff damit Seriosität verleihen?

Donsbach: In dem Moment, in dem die Presse den Begriff nicht nur zitiert, sondern selbst klassifizierend verwendet, verhält sie sich in der Tat illegitim, weil sie nicht mehr sachlich berichtet. Schill ist von Anfang an in den Medien diskriminiert worden. Daß diese Stigmatisierung so hervorragend funktioniert hat, hängt im übrigen damit zusammen, daß man mit Haider und der FPÖ schon einen entsprechenden frame hatte. Die Münze war also sozusagen schon geprägt. Das gleiche sehen wir am Beispiel Möllemann/FDP. Weil zum Thema Antisemitismus bereits ein ausgeprägter frame besteht, wird die Affäre um Möllemann wesentlich stärker wahrgenommen, als so manche Äußerungen innerhalb der PDS zu den Grundlagen unseres Gesellschaftssystems.

Ist die deutsche Presse also besonders reaktionär, weil in besonderem Maße daran beteiligt, zum Nutzen der etablierten Parteien politische Neueinsteiger am erfolgreichen Zugang zum demokratischen System zu hindern?

Donsbach: Das glaube ich nicht, denn eine solche Synchronisierung mit dem etablierten Parteiensystem gibt es auch in anderen europäischen Ländern. Im Gegenteil: Die Presse hat ja mit ihrem natürlichen Instinkt für Neues ein Interesse daran, daß neue Institutionen und Personen "hochkommen". Bei den Grünen kam in den achtziger Jahren noch hinzu, daß deren antibürgerlichen Inhalte und Stimmungen mit den Ansichten vieler Journalisten übereinstimmten. Schill dagegen verkörpert genau das Gegenteil, nämlich eine Rückbesinnung auf bürgerliche Werte. Kein Wunder, daß das die Antipathie der, wie gesagt, tendenziell eher abürgerlichen Journalisten weckt.

Dennoch erweisen sich unsere Medien, die doch nach eigenem Verständnis Garant der Freiheit sein wollen, de facto als Wächter eines Systems geistiger Unfreiheit - Stichwort: "political correctness".

Donsbach: Mit "geistiger Unfreiheit" kann man unser freies Mediensystem sicher nicht kennzeichnen. Aber die Medien befinden sich in der Tat in einer ambivalenten Situation: Die Journalisten haben alle Freiheiten, ihre Themen und Meinungen zu publizieren tragen aber durch die hohe Konsonanz der Medieninhalte im Effekt zu einer strukturellen, sozialpsychologischen Unfreiheit bei, in-dem sie definieren, was legitime und was illegitime Meinungen sind. Eine bedenkliche Entwicklung.

Also droht das Ende der Demokratie, die sich zur Mediokratie, einer modernen Form der Ochlokratie, also der Herrschaft der durch Verführer manipulierten Massen, entwickelt?

Donsbach: Nach 40 Jahren Sozialismus - unser Institut sitzt in Dresden - muß man immer noch zuerst die neu gewonnene Freiheit feiern. Das gilt auch für den Rest der Republik, der erst nach 1945 die bürgerlichen Freiheiten bekam. Hinsichtlich Presse- und Meinungsfreiheit gehören wir im Vergleich zu den USA, Frankreich oder Großbritannien zu den historischen Nachzüglern. Vor dem Hintergrund dieser überaus positiven Entwicklung der jüngsten Vergangenheit: Ja, wir müssen uns Gedanken über die Folgen der Mediendemokratie für die Prozesse der politischen Meinungs- und Willensbildung machen. Aber die Medien können dabei nicht der Sündenbock sein. Es ist das unglückliche Zusammenspiel von Medien und Politik, das unsere Demokratie allmählich verändert.

 

Prof. Dr. Wolfgang Donsbach ist Geschäftsführender Direktor des Instituts für Kommunikationswissenschaft der TU Dresden und Mitherausgeber des Buches "Kampa. Meinungsklima und Medienwirkung im Bundestagswahlkampf 1998" (Verlag Karl Alber, 1999). Donsbach beschäftigt sich mit dem Spannungsverhältnis von Politik und Medien und Medienrezeption. Er studierte Publizistik, Politologie und Ethnologie und lehrte an verschiedenen Hochschulen in Deutschland und den USA. Geboren wurde er 1949 in Bad Kreuznach.

 

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