© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/02 20. September 2002


Appell an die wirtschaftliche Vernunft
Die Autoren Stefan Winckler und Arnd Klein-Zirbes fordern eine Rückbesinnung auf Ludwig Erhards Soziale Marktwirtschaft
Fritz Schenk

Zum Wahlprogramm ist es nicht geworden - aber es könnte Regierungsprogramm oder doch zumindest wichtiger Teil eines Regierungsprogramms sein: Das Buch "Zukunftsmodell Soziale Marktwirtschaft". Dabei darf man aber wohl apodiktisch feststellen, nicht für alle politischen Gruppierungen des Deutschen Bundestages.

Sollte Schwarz-Gelb das Rennen bei der Bundestagswahl am 22. September machen, könnte sich manches davon in einem neuen Regierungsprogramm wiederfinden. Bei der Fortsetzung von Rot-Grün, von Rot-Rot-Grün ganz zu schweigen, und selbst bei der unwahrscheinlichen Konstellation von Rot-Gelb oder gar einer Großen Koalition werden die 16 Autoren wohl eher für kritische Hoffnungsträger einer späteren Zukunft geschrieben haben. Umsonst war ihre Arbeit deshalb nicht, denn was sie zusammengetragen haben, bleibt auf der Tagesordnung und wird mit jedem Tag drängender, an dem ernsthafte Reformen hinausgeschoben werden.

Den Herausgebern Arnd Klein-Zirbes und Stefan Winckler ist es zu danken, daß sie mit Eberhard Hamer, Klaus Hornung, Wilfried Böhm, Norman van Scherpenberg und einem weiteren Dutzend kompetenter Fachleute eine Autorengruppe gewonnen haben, die mit ihren Beiträgen nicht nur die Finger tief in die Wunden unserer gegenwärtigen Wirtschafts-, Sozial- und allgemeinen Gesellschaftsordnung stecken, sondern, ausgehend von den treffenden Beschreibungen dieses miserablen Ist-Zustands, eine Fülle überzeugender Gedanken für Reformen entwickeln. Dabei orientieren sich alle hauptsächlich an Ludwig Erhard und rufen insbesondere für jüngere Leser in Erinnerung, was Erhard unter wesentlich widrigeren Bedingungen als heute durch mutige und wirklich vorausschauende Entscheidungen in Bewegung gesetzt hat. Dabei ist "Bewegung" wörtlich als eine Entwicklung nach vorn zu sehen, denn auch in seine Zeit fielen mit dem Korea-Krieg, der "Suez"-Krise, Unruhen und Aufständen in Osteuropa, dem sogenannten Berlin-Ultimatum durch den damaligen Sowjetherrscher Chruschtschow, außenpolitische Krisensituationen mit weltpolitischen wirtschaftlichen Rückschlägen, die für Erhard nicht im mindesten als Vorwand für innere wirtschaftliche Schwierigkeiten herzuhalten hatten.

Das übersichtlich in die Kapitel "Fundamente und Geschichte" - "Gefährdungen und Kritiker" - "Chancen und Leistungen" gegliederte Buch setzt Schwerpunkte zu "Verpflichtetem Eigentum", "Personaler Marktwirtschaft", "Christentum und Marktwirtschaft", "Globalisierung und Mittelstand", "Publizistik und Soziale Marktwirtschaft" und besonders hervorzuheben, zum Subsidiaritätsprinzip, den Gewerkschaften heute und immer wieder zum Thema Flexibilität als Voraussetzung zur Schaffung neuer Arbeitsplätze. In seinem Vorwort zu diesem Buch hebt der hessische Ministerpräsident Roland Koch hervor, welche Bedeutung für ihn, die Union und die hessische Landesregierung die Entbürokratisierung der gesamten öffentlichen Verwaltung hat, was in einem speziellen Beitrag des Buches anschaulich durch praktische Beispiele untermauert wird. Ebenfalls ist der Beitrag von Ronald Schroeder über das "Titanenwerk Wiedervereinigung" hervorzuheben, in dem sowohl die tatsächlichen Erfolge der Jahre 1991 bis 1996 dargestellt werden, wie auch die schlüssige Begründung dafür gegeben wird, warum die Entwicklung seit 1997/98 in den neuen Ländern stagniert: wegen des spärlicheren Flusses von öffentlichen Hilfsgeldern, sprich Subventionen und wegen der grundsätzlich zu geringen Eigenkapitaldecke, vor allem die Investitionstätigkeit hemmt. Alle Beiträge sind allgemeinverständlich geschrieben, daher auch von ökonomischen "Durchschnitts"-Lesern gut zu verstehen und geben Antworten für jeden, der sich fragt, wieso wir denn zu Beginn dieses neuen Jahrtausends zum Schlußlicht der europäischen Industrieentwicklung werden konnten und wie da wieder herauszufinden ist.

Arnd Klein-Zirbes, Stefan Winckler (Hrsg.): Zukunftsmodell Soziale Marktwirtschaft. Stimme der Mehrheit. Aton Verlag, Unna 2002, 271 Seiten, 15,50 Euro


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