© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/02 20. September 2002

 
Verfassungsdeutung, Preußenschlag, Staatsnotstand
Gabriel Seiberth: Anwalt des Reiches. Carl Schmitt und der Prozeß "Preußen contra Reich"
Günter Maschke

Der Kampf Carl Schmitts gegen Adolf Hitler", so könnte etwas reißerisch, der Titel des Buches des jungen Berliner Politologen Gabriel Seiberth lauten, das, beruhend auf stupenden Kenntnissen des Schmittschen Nachlasses, des damaligen juristischen und politischen Schrifttums und der Tagespresse, einer der seltenen Lichtblicke der gegenwärtigen Schmitt-Literatur ist, die zumeist in die Gefilde der Metapolitik, der Philosophie und der Theologie flüchtet, anstatt den konkreten, historischen, politischen Schmitt vorzustellen.

Drei Etappen lassen sich in diesem Kampf unterscheiden: Schmitts Interpretation der Weimarer Reichsverfassung, besonders in "Legalität und Legitimität" (1932); dann der "Preußenschlag" vom 20. Juli 1932, mit dem die Reichsregierung von Papen die geschäftsführende preußische Regierung Braun-Severing amtsenthob, die im Oktober 1932 vor dem Leipziger Staatsgerichtshof gegen das von Schmitt verteidigte Reich klagte; schließlich die Staatsnotstandspläne von Papen und dann von Schleicher um die Jahreswende 1932/33, die Hitlers Vormarsch in letzter Minute beenden sollten und zu denen Schmitt wichtige Vorschläge erarbeitete.

In "Legalität und Legitimität", am 10. Juli 1932, noch vor dem "Preußenschlag" abgeschlossen, hatte Schmitt nicht nur ein Verbot der KPD, sondern auch der NSDAP nahegelegt. Er kritisierte in dieser intellektuell überanstrengten und auch deshalb verhallenden Warnung vor einer legalen Revolution die herrschende Meinung der Weimarer Staatsrechtslehre, laut der es keinerlei Grenzen der Verfassungsänderung gab. Gemäß dieser Deutung des Artikels 76 konnte jedes noch so revolutionäre, reaktionäre oder staatsfeindliche Ziel verwirklicht werden, fanden sich nur die nötigen Mehrheiten und wurden die vorgeschriebenen Prozeduren beachtet.

"Alles ohne Unterschied des Inhalts oder der politischen Tragweite" konnte, so Gerhard Anschütz, der einflußreichste Kommentator der Verfassung, umgestürzt werden, so daß die Weimarer Verfassung als ein gegenüber jedwedem Inhalt gleichgültiges Abänderungsverfahren erschien. Schmitt hingegen wollte den legalen Weg zur Beseitigung der Legalität versperren und forderte, daß demjenigen die "gleiche Chance" auf Machterwerb verweigert werden müsse, der sie einem selbst nicht offenhalten würde, sondern der, im Wahlsieg eine verfassungsändernde Mehrheit gewinnend, "auf legale Weise die Türe der Legalität schließen und den parteipolitischen Gegner als gemeinen Verbrecher" behandeln könnte. Zwar sollte Hitler den so gedeuteten Artikel 76 nicht benötigen und über das Präsidialsystem die Bühne betreten, doch wäre weder das Überleben noch das Wachstum seiner Bewegung ohne eine solche Deutung der Verfassung möglich gewesen.

Schmitt sah im zweiten Hauptteil der Weimarer Verfassung eine zweite, die eigentliche Verfassung. Die Entscheidung sollte "für das Prinzip der zweiten Verfassung und ihren Versuch einer substanzhaften Ordnung fallen". Wie diese "substanzhafte Ordnung" beschaffen sein sollte, war bestenfalls zu ahnen. Die Verfassung sollte gegen ihre Feinde verteidigt werden, indem man ihre Veränderbarkeit begrenzte. Zu diesem Zwecke war aus ihrem Text eine bis dahin verborgen gebliebene Verfassung herauszulesen, was eine tiefgreifende Veränderung eben dieses Verfassungstextes impliziert hätte!

Schmitts Resümée mußte aber als Plädoyer für eine radikale Verfassungsreform verstanden werden, was ihn als geistigen Nachbarn von Papens, dessen Innenminister von Gayl und den Ideologen um die Zeitschrift Der Ring erscheinen ließ. Andersherum: Die Reformideen dieses Kreises (vor allem: Oberhaus, Heraufsetzung des Wahlalters, Zusatzstimmen für Familienväter), die Seiberth ein wenig verächtlich erwähnt, leider jedoch nicht, etwa in einem Exkurs, genauer darstellt, konnten als Konkretisierung der raunenden Andeutungen Schmitts aufgefaßt werden und wurden es auch.

Mit größerer Sorgfalt widmet sich Seiberth einer weiteren Schrift Schmitts zu Verfassungsfragen, der Rede "Starker Staat und gesunde Wirtschaft", gehalten vor dem Langnam-Verein am 23. November 1932, einen Monat nach dem Leipziger Prozeß, der die Fama von Schmitt als einem "Manne Papens" neu belebte. Jetzt, nur Tage vor dem absehbaren Ende der Regierung von Papen und der vorhersehbaren Etablierung der Regierung von Schleicher, zeigte sich Schmitt eindeutig als "Mann Schleichers". Es sei richtiger, so der für viele überraschend gewandelte Schmitt, "zunächst nicht durch neue Institutionen, sozusagen auf Vorschuß, Autorität zu schaffen. Die Regierung soll sich aber aller verfassungsmäßigen Mittel, aber auch aller verfassungsmäßigen Mittel bedienen, die ihr zur Verfügung stehen und die sich in dem chaotischen Zustand als notwendig erweisen. Eine Verfassung ist schnell gemacht. Aber wenn sie einmal da ist, so wird man sie nicht leicht wieder los; sie ist dann nämlich eine Quelle der Legalität."

Jetzt sollte die Verfassung, ohne daß sie um ein Jota geändert wurde, durch eine strikt den Artikel 48 nutzende Regierung bis in ihre Grundfesten umgewälzt werden (können). Ein solches Verfahren, dem nur vier Monate zuvor offerierten geradezu entgegengesetzt, wie jenes aber angeblich innerhalb der Verfassung bleibend, mußte diese ad absurdum führen. Freilich: Wie hätte Schmitt 1932, mit einiger Aussicht auf Erfolg, sprechen können? Aber nach 1945 wäre es an der Zeit gewesen, ruhig festzustellen, daß die Weimarer Verfassung längst politikunfähig geworden war und daß es kaum noch darum gehen konnte, sie auch in einer gewaltsam ihre präsidial-diktatorialen Elemente herausstreichenden Interpretation, zu verteidigen. Es ging 1932 nicht mehr um die Rettung Weimars vor Hitler, sondern um die Rettung vor Hitler.

Im Sommer 1932 war die Verfassung politikunfähig

Dieser Rettung sollte auch der "Preußenschlag" dienen, der freilich gemäß volkspädagogisch verpflichtender Doktrin Hitlers Machtergreifung den Weg ebnete. Hier, so heißt es bis heute, sei "das letzte Bollwerk der Demokratie" geschleift worden. Und da es im Vorfeld der Aktion, die auf den ersten beiden Absätzen des Artikels 48 (Reichsexekution und Diktatur) beruhte, zu Konzessionen von Papens gegenüber der NSDAP kam (das SA-Verbot wurde am 14. Juni 1932 aufgehoben und die zugestandenen Neuwahlen am 31. Juli trieben die Mandatszahl der NSDAP von 107 auf 230) und dieser Reichskanzler, die bevorzugte bête noire der Zeitgeschichtler, ab der Jahreswende 1932/33 mit Hitler kollaborierte und seine Regierung im Oktober 1932 von Schmitt verteidigen ließ, der doch im März 1933 fiel, scheint solche Deutung plausibel.

Doch depossedierte der "Preußenschlag" nicht nur die unter dem kampfesmüden Otto Braun längst energielos gewordene preußische SPD und versuchte, auf eine brachiale Weise, die allgemein geforderte Reichsreform durch die Beendigung des Dualismus Reich-Preußen voranzubringen, - er richtete sich auch gegen den Zugriff eines möglichen preußischen NSDAP-Innenministers auf die preußische Polizei. Die Nationalsozialisten, durch die verfassungsrechtlich fragwürdige Änderung der Geschäftsordnung des Preußischen Landtages daran gehindert, durch Gewinnung einer relativen Mehrheit den Ministerpräsidenten stellen zu können und unter dem kommunistischen Terror leidend, der damals den ihren weit übertraf, forderten zwar einen Reichskommissar und begrüßten ihn in Gestalt von Papens bzw. von dessen Beauftragten am 20. Juli. Doch da die von von Papen abgesetzten Beamten in aller Regel nicht durch Nationalsozialisten ersetzt wurden und der NSDAP, gleichgültig, welche Erfolge sie noch erringen mochte, vom Reichskommissar die Kontrolle über die Polizei verwehrt wurde, schlug ihre Enttäuschung rasch in eine hemmungslose Agitation um. Die Details zeichnet Seiberth mit großer Akribie nach. Die Strategie der Nationalsozialisten, das Reich über Preußen zu gewinnen, war gescheitert und so wurden sie zu dem im Januar 1933 gelingenden Versuch genötigt, Preußen über das Reich zu erobern. Wobei ihnen die in Preußen gegen sie akkumulierten Machtmittel übereignet werden mußten, was auf paradoxe Weise die Gleichschaltung Preußens durch Göring erleichterte.

Ist für manche Leser die von Seiberth gut belegte, sich nach anfänglichen Hoffnungen entwickelnde Feindseligkeit der Nationalsozialisten gegenüber dem "Preußenschlag" überraschend, so liegt die wohl noch größere Überraschung darin, daß die SPD die Aktion, zum einen auf der Reichsexekution, zum anderen auf der Diktatur des Reichspräsidenten und dem daraus resultierenden Reichskommissariat basierend, nur wegen des Vorwurfs der Pflichtverletzung (sich in der angeblich zu laschen Bekämpfung der Kommunisten erweisend) ablehnte. Diesen Vorwurf hielt sie für ehrenrührig. An der Einsetzung des Reichskommissars mißfiel ihr nur die rüde Manier, in der sie geschah. Einem mit ihr vereinbarten Reichskommissar hätte sie zugestimmt, während sie sich mit dem ihr oktroyierten nach einigen Zugeständnissen ausgesöhnt hätte. Deshalb fanden hinter den Kulissen, die Seiberth gründlich ausleuchtet, viele, wenn auch fruchtlose, so doch ernsthaft geführte Gespräche statt, was von den halböffentlichen Überlegungen, ob hier nicht bewaffneter Widerstand vonnöten sei ebenso absticht wie die SPD-typische Phrase der Empörung, mit der die Parteigeschichte heute noch diese Episode verziert.

Weil, wie zu vermuten ist, die Reichsregierung ein partielles Einverständnis der preußischen Regierung unterstellte und sich nicht vorstellen konnte, daß die Aktion justiziabel sein könnte, traf sie auch keine juristischen Vorkehrungen. Die Klage der abgesetzten Regierung Braun überraschte und zwang sie dazu, sich nach juristischen Helfern umzusehen. So kamen Erwin Jacobi, Carl Bilfinger und Carl Schmitt ins Spiel. Die Initiative dazu ergriffen Männer aus dem Umkreis Kurt von Schleichers. Hier lehnte man von Papens "Verfassungsgequatsche" (von Schleicher) ebenso ab wie dessen Intentionen, die Absetzung der preußischen Regierung und ihrer führenden Beamten wie die Zusammenführung von Reich und Preußen als Definitivum anzusehen. Das Temporär-Pragmatische stand im Vordergrund und der erwähnte Langnam-Vortrag präzisierte die Haltung dieser Gruppe. Schmitt und seine Mitkämpfer waren gleichwohl im Leipziger Prozeß gezwungen, den von von Papen und besonders von Gayl gegebenen Begründungen der Maßnahmen des Reiches zu folgen und unter anderem die Gleichstellung der etwas ungebärdigen, vom nationalen Standpunkt aus aber doch erfreulichen NSDAP mit der offenkundig verfassungsfeindlichen KPD als "beleidigend" zu bezeichnen, - wodurch Schmitt sogar eine Kernaussage von "Legalität und Legitimität" widerrief. Das Zähmungskonzept von Papens und von Schleichers, nämlich Deutschland vor einer NS-Herrschaft zu bewahren, sich dabei aber punktuell auf diese Partei zu stützen, "das vergiftete Blut des Volkskörpers zu heilen durch ein aus ihm gewonnenes Serum" (Friedrich Meinecke), war der ständige stumme Gast dieses Prozesses, dessen außergewöhnlich verwickelte Einzelheiten Seiberth geduldig auflöst; wobei die Tatsache, daß sich hier die führenden Verfassungsjuristen trafen - auf der Gegenseite agierten neben Anschütz, Hans Nawiasky und Hermann Heller -, das Verfahren nur noch undurchsichtiger machte.

Leider enthält sich Seiberth weitgehend der nötigen Urteilsschelte und begnügt sich eher mit einer Revue zeitgenössischer Kommentare. Der Staatsgerichtshof billigte das Vorgehen des Reiches, was den Absatz 2 des Artikels 48 anging, lehnte jedoch die Berechtigung der Reichsexekution ab. So verblieb zwar der kommissarischen Regierung die reale Macht, aber die abgesetzte Geschäftsregierung behielt noch einige Rechte. Die damit verbundenen praktischen Probleme waren beträchtlich, viel wichtiger aber war, daß dem Reich und damit von Hindenburg Verfassungsbruch vorgeworfen wurde. Die alte deutsche Krankheit trat hervor: Daß das Staatsgebäude wenig mehr war "als die Summe der Rechte, welche die einzelnen Teile dem Ganzen entzogen haben" (Hegel). Diese justizförmige Politik, die verkannte, daß große politische Fragen innerhalb des Reiches für richterliche (Halb-) Entscheidungen ungeeignet waren und diese nur tiefer in den föderalistisch maskierten Parteienbundesstaat hineinführten, wäre einer scharfen Kritik wert gewesen. Und wenn man einmal im Optativ sprechen darf: Hätte der Staatsgerichtshof den "Preußenschlag" zur Gänze für verfassungskonform erklärt, hätte sich die bekannte Furcht Hindenburgs, die Verfassung zu verletzen und als Eidbrecher angeklagt zu werden, bedeutend vermindert, so daß sein "Umfall" im Januar 1933 nicht stattgefunden hätte.

Bei einem Staatsstreich herrschen Fuchs und Rabe

Der letzte Teil des Buches, das eine hier nicht wiedergebbare Fülle oft unbekannter Details aufweist und sie sachlich-konstatierend, ohne Bewältigungsrhetorik, ausbreitet, befaßt sich mit den Staatsnotstandsplänen. Sie wurden notwendig, als sich die vermeintlich "überscharf geschliffene Waffe des Artikels 48" (Meinecke) doch als schartig erwies. Nicht zuletzt wegen des "gespalteten" Leipziger Urteils. Seiberth, ganz im Stil eines kenntnisreichen Verfassungshistorikers die damalige juristische Situation umreißend, beleuchtet die verschiedenen Vorschläge eines Vorgehens gegen den Obstruktion übenden Reichstag, an deren Formulierung Schmitt und einige seiner Schüler und Freunde beteiligt waren. Entweder sollte a) bei Bevorstehen eines Mißtrauensvotums der Reichstag aufgelöst und die Neuwahlen auf unbestimmte Zeit verschoben werden, oder b) der Reichstag auf bestimmte Zeit zwangsvertagt werden, oder c) die Regierung ein destruktives Mißtrauensvotum ignorieren, sich vom Reichspräsidenten bestätigen lassen und in Ruhe weiterarbeiten.

Die Vorschläge a) und b) waren eindeutig nicht mit der Verfassung zu vereinbaren, und der Versuch zu ihrer Verwirklichung hätte die Gewaltbereitschaft der Parteiarmeen aufs Äußerste angestachelt. Die Lösung c) aber, so Seiberth und der ähnlich argumentierende Lutz Berthold in einer vorzüglichen Untersuchung ("Carl Schmitt und der Staatsnotstandsplan am Ende der Weimarer Republik", 1999) hätte am wenigsten mit der Verfassung kollidiert. Denn inzwischen war eine nicht unbeträchtliche Literatur entstanden, die die Ignorierung eines rein destruktiven Mißtrauensvotums als verfassungsrechtlich ansah. Der nicht aufgelöste Reichstag hätte zum Fenster hinausreden und "Agitationsentschlüsse" fassen können, während die Regierung, vermutlich in weit geringerem Maße als in den beiden anderen Fällen zu Gewaltmaßnahmen greifen müssend, durch sachliche Arbeit das Volk überzeugen sollte, um so zum Schluß auch die Parteien zum Einlenken zwingen zu können.

Seiberth ist zuzustimmen: Dies wäre die "mildeste Form" eines rettenden Verfassungsbruchs gewesen. Doch der Vorwurf, hier werde die Verfassung gebrochen, hätte sich auch so noch lautstark gemeldet, massiver wohl als bei der als verfassungskonform hingenommenen "Ausantwortung der Regierungsmacht an den Verfassungsfeind" (E. R. Huber) am 30. Januar 1933. Schien da der gescheiterte Versuch Schleichers, eine "Querfront" aufzubauen, nicht aussichtsreicher? Ein Versuch, an dem Schmitt nicht beteiligt wurde, weil es ihm an Verständnis für das Wesen von Massenbewegungen gebrach?

Schmitts dritter Weg "zwischen der vermeintlichen Alternative Legalität (= Ernennung Hitlers zum Reichskanzler) und Legitimität (=Verfassungsbruch zur Ausschaltung der radikalen Parteien im Reichstag)" war so pragmatisch-gangbar nicht, wie Seiberth annimmt. Auch deshalb nicht, weil die von Schmitt verfochtene Methode der "Verfassungsänderung durch Interpretation" sich rasch erschöpfen mußte. Ob es Grenzen bei der Veränderbarkeit von Verfassungen gibt, entscheiden Menschen. Aber die Grenzen ihrer Interpretierbarkeit sind den Verfassungen selbst an ihrer Oberfläche (nur selten sichtbar, tief eingeschrieben).

Wenn es, sieht man von Einzelheiten und der einen oder anderen Bewertung ab, an Seiberths Buch etwas zu mäkeln gibt, dann seine Scheu, nach Schmitts "Arcanum" zu suchen. Gerade wegen der Unbestimmtheit von Schmitts politischen Fernzielen sei es ratsam, seine "konkreten politischen Ziele aus den zur Verfügung stehenden Materialien herauszuarbeiten und alles, was sich nicht aktenmäßig belegen läßt, auszublenden". Das Ziel seiner Arbeit könne nur "Rekonstruktion, nicht Interpretation" sein. Doch zum einen war Schmitt auch ein Manierist, der lieber vieldeutig-anregende Skizzen zeichnete, als daß er große, klare Konturen besitzende Tafelbilder ausmalte. Zum anderen war der "Preußenschlag" ein zwar nicht juristisch sistierbarer, aber doch politischer Staatsstreich (durch das Urteil des Staatsgerichtshofes sogar, wie Seiberth treffend bemerkt, ein "steckengebliebener"), aber eben ein Staatsstreich. Da steht das Wichtigste nie in den Akten. Bei einem Staatsstreich herrschen Fuchs und Rabe, Simulation und Dissimulation, und man kann auf diesem Terrain, das keine schöne grüne Wiese ist, sondern seit Dekaden unter dem Pulverrauch von Intrigen, Gerüchten und geschichts-politischen Absichten liegt, nicht recht avancieren, begnügt man sich mit Rekonstruktionen. Tröstlich nur, daß Seiberth seinen Vorsatz immer wieder vergißt.

Doch vor allem eine Erkenntnis ist diesem Buche zu danken, die sein Autor leider nicht deutlich und geradeheraus ausspricht: Nicht die Ausweitung des Artikels 48 war eines oder gar das Hauptübel der sterbenden Republik, sondern dessen ihm trotz all seiner Verschärfungen bis zuletzt anhaftende Schwäche. Und Hitler war auch nicht das Ergebnis einer diktatorial deformierten Politik, sondern eines Zuwenig an Diktatur und Ausnahmezustand.

Gabriel Seiberth: Anwalt des Reiches. Carl Schmitt und der Prozeß "Preußen contra Reich" vor dem Staatsgerichtshof. Duncker&Humblot, Berlin 2001, 318 Seiten, Abb., 34 Euro


 
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