© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/02 20. September 2002

 
Ein Kämpfer gegen den Sittenverfall
Katholische Kirche: Vor 450 Jahren wurde der Dominikaner Girolamo Savonarola geboren
Georg Oblinger / Thorsten Thaler

In früheren Jahrhunderten verurteilte die katholische Kirche Häretiker und ihre als Irrlehren ausgelegten Auffassungen, indem sie über sie das Anathema (Bannfluch) verhängte. In neuerer Zeit wird nun zunehmend dazu aufgerufen, solche Lehrverurteilungen zu überdenken und wenn möglich zu revidieren. So wird Martin Luther heute nicht mehr als "protestierender Häretiker" gesehen, sondern lieber als "Bruder im Glauben", der nur "nach seinem Gewissen gehandelt hat". Ebenso fordern einige Kirchenvertreter die Rehabilitierung des tschechischen Reformators und Nationalhelden Jan Hus (um 1370-1415), und dies obwohl seine Lehren (Ablehnung der kirchlichen Hierarchie und des Lehramtes) 1410 durch eine Bulle von Papst Alexander V. sowie durch das Konzil von Konstanz ausdrücklich verurteilt wurden. 1415 wurde er zum Tode verurteilt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt.

Immer wieder werden aber auch Stimmen laut, die die Rehabilitierung eines Mannes fordern, dessen Fall ganz anders gelagert ist: Girolamo Savonarola. Geboren am 21. September 1452 im norditalienischen Ferrara, brach er ein Medizinstudium ab, um dem Dominikanerorden beizutreten. Seit 1475 Mönch in Bologna, prangerte der redegewandte Savonarola in seinen Predigten den Sittenverfall der weltlichen und kirchlichen Herrscher an. Ihn trieb der Gedanke um, daß die Kirche vor ihrer drohenden Verweltlichung bewahrt und das Volk von der Tyrannei des Geldes und der Aristokratie befreit werden müsse. Häufig tauchte in seinen Reden das Motiv des göttlichen Strafgerichts auf. 1489 wurde er nach Florenz gesandt, wo er als Abt des Klosters San Marco sehr bald strenge Reformen durchführte. In Florenz und in ganz Oberitalien trat Savonarola weiterhin als Bußprediger auf, der nicht mit Kritik an kirchlichen Amtsträgern sparte und mit seinen Reden großen Zulauf beim einfachen Volk fand. Er lehrte ein Leben in Glauben, Liebe und Sittenstrenge und forderte die politische Freiheit der Völker als göttliches Recht. Sein asketisches Bekenntnis und seine moralische Standfestigkeit verschafften ihm im Volk wachsendes Ansehen und daher großen Einfluß.

Nach dem Sturz der Medici 1494 erhielt Florenz das Recht, seine Staatsform selber zu bestimmen. Savonarola wurde vom Volk zum Oberhaupt gewählt; er errichtete einen theokratischen und republikanischen Staat.

Beim Volk beliebt, machte Savonarola sich bei der kirchlichen und weltlichen Obrigkeit immer mehr verhaßt. Alexander VI., ein Borgia, der durch Simonie Papst geworden war, erteilte ihm 1495 Predigtverbot, das Savonarola aber nicht befolgte. Man konnte ihm keine Glaubensirrtümer anlasten. Als auch die Verleihung der Kardinalswürde Savonarola nicht verstummen ließ, wurde er 1497 von Papst Alexander VI. allein wegen seines Ungehorsams exkommuniziert. Nachdem sich schließlich auch die Bevölkerung, aufgestachelt von Franziskanern, gegen ihn gewandt hatte, wurde er als Ketzer zum Tode verurteilt. Am 23. Mai 1498 wurde Girolamo Savonarola zusammen mit zwei Freunden erhängt, anschließend verbrannte man seinen Leichnam.

Savonarola war schon zu Lebzeiten eine umstrittene Persönlichkeit - und er ist es bis heute geblieben. War er ein gefährlicher Demagoge? Oder ein Asket mit hohen Idealen? Kritiker werfen ihm vor, daß seine Anhänger Überfälle begingen, Häuser anzündeten und Bücher verbrannten. Doch es bleibt fraglich, inwiefern man ihm dafür die Schuld anlasten kann. Auch hat die neuere Geschichtsforschung anerkannt, daß Inquisition und Hexenverbrennung nur aus ihrer Zeit heraus zu verstehen sind.

Eines ist gewiß: Savonarola war kein Häretiker. Schon im Jahre 1558 wurden seine Schriften von der Indexkongregation für rechtgläubig erklärt. Wird er demnächst von der Kirche offiziell rehabilitiert und sogar selig- oder heiliggesprochen? Es wäre gut denkbar. Selbst Jeanne d' Arc, die 1431 als Ketzerin auf dem Scheiterhaufen in Rouen verbrannt wurde, erfuhr 1456 eine Aufhebung ihrer Verurteilung. Ab dem 19. Jahrhundert setzte ihre Verehrung in ganz Frankreich ein. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde sie seliggesprochen (1909), die Heiligsprechung folgte 1921. Der heutigen Gesellschaft täte ein Girolamo Savanarola jedenfalls gut: Ein Heiliger, der sich auszeichnet durch Strenge, Kampfgeist, Frömmigkeit und moralische Integrität.

Weiterführende Literatur: Girolamo Savonarola: O Florenz! O Rom! O Italien! Predigten, Schriften, Briefe. Aus dem Lateinischen und Italienischen übersetzt von Jacques Laager. Manesse, Zürich 2002, geb., 786 Seiten, 24,90 Euro.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen