© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/02 20. September 2002

 
Neue Technologien: Genetik des Wahlverhaltens
Katzen würden Whiskas wählen
Angelika Willig

Neben dem Putz- und Paarungsverhalten ist jetzt, kaum mehr erstaunlich, nachgewiesen worden, daß auch das regelmäßig alle vier Jahre stattfindende Wahlverhalten genetisch bedingt ist. Obwohl das entsprechende Gen noch nicht gefunden wurde, haben Beobachtungen ergeben, daß Kandidatenkür, Wahlkampf und Stimmabgabe nur leicht variabel sind. Der Ritualcharakter dieser Handlungsweisen ist offensichtlich. Bleibende Strukturen werden durch zufällig begegnende Individuen ausgefüllt.

Dieses Grundmuster genetisch gesteuerten Verhaltens hat zuerst Konrad Lorenz bei der sogenannten Prägung erforscht. Das heißt nicht unbedingt, daß jeder Wähler die Partei bevorzugt, von der er im Elternhaus am liebsten hörte. Es kann auch der gegenteilige Effekt eintreten, daß ein Trotzverhalten entsteht und Kinder von grünen Landtagsabgeordneten hartnäckig NPD wählen.

Im allgemeinen greift aber die Prägung, daher haben die Parteien in der ganzen Geschichte der Bundesrepublik jeweils etwa die gleiche Stimmzahl erhalten. Die FDP mit 18 Prozent ist vielleicht noch denkbar, die FDP mit 38 Prozent wäre eine ethologische Aberration, beinahe schon eine Epidemie. Der Tierversuch scheidet im Hinblick auf das menschliche Wahlverhalten völlig aus, da nicht einmal grobe Parallelen bestehen. Die Wahlgene gehören sicherlich zu den drei Prozent, in denen sich das menschliche Genom von dem des Schimpansen unterscheidet. Affen praktizieren den offenen Diskurs und tun nichts, bevor nicht alle restlos einverstanden sind. Da ihnen die Bananen praktisch in den Mund wachsen und in die hohen Bäumen kaum ein Feind nachkommt, hat sich das kommunikative Prinzip bewährt. Der Nachkomme des bösen Wolfes huldigt dem Untertanengeist, die Katze ist stolze Anarchistin. Schweine neigen seit Orwell zum Personenkult und zum Realsozialismus. Doch kein Tier ist je auf die Idee gekommen, eine Wahlkabine zu betreten. Wir zögern nicht zu behaupten, daß die Wahlfreiheit der Inbegriff der vielbeschworenen menschlichen Freiheit überhaupt ist.

Es hat keinen Sinn, sich über das politische Personal zu beschweren. Solange Wahlen stattfinden, werden sie das gleiche Ergebnis haben, ob es nun Schröder, Stoiber, Kohl oder Merkel heißt. Dafür sorgen schon unsere Anlagen. Es ist ähnlich wie mit dem Sexualtrieb, der sich auch durch keine Enttäuschung irremachen läßt. Die Wahlkampfstimmung steigt uns ins Blut, auch wenn wir längst eines Besseren belehrt sind. Immer wieder beflügelt die Hoffnung, daß es diesmal der richtige Kandidat ist. Ein spezielles Wahlhormon wird ausgeschüttet, wogegen die Vernunft machtlos ist.

Nur eine Gefahr droht der Demokratie, und das ist der - bisher streng verbotene - Eingriff in die menschliche Keimbahn, die genetische Manipulation. Auf diese verbrecherische Weise könnten die Wähler zu atmenden Robotern gemacht werden, denen es völlig egal ist, wer an der Regierung ist. Hauptsache, ihnen geht die Arbeit nicht aus. Ein Gezücht von Nichtwählern, pfui Teufel.


 
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