© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/02 20. September 2002

 
Spitzeldienste als Mitnahmeeffekt
Verfassungsschutz: Die Schill-Partei beklagt, daß die Kieler Schlapphüte einen V-Mann in ihre Reihen einschleusen wollten
Peter Freitag

Hamburgs Innensenator Ronald Schill ist sauer auf seine Kollegen aus Schleswig-Holstein. Grund für seine Verstimmung ist die Tätigkeit des Anfang September enttarnten V-Mannes und NPD-Vorstandsmitglieds Bastian Tilger, der zuvor gemeinsam mit zwei anderen NPDlern aus Schleswig-Holstein zwecks Unterwanderung in die Lübecker Schill-Partei eingetreten war.

Schill äußerte gegenüber der Presse den Verdacht, daß die schleswig-holsteinischen Verfassungsschützer von diesem Vorhaben ihres V-Mannes gewußt und so die Infiltration zumindest geduldet haben müssen. "Sollte sich der Eindruck bestätigen, daß der Kieler Verfassungsschutz den Kampf gegen unsere Partei unterstützt hat, wäre dies unerträglich", äußerte der Bundesvorsitzende der Partei Rechtsstaatlicher Offensive. Von seinen Amtskollegen an der Förde verlangt der Innensenator nun eine lückenlose Aufklärung.

Ove Ralf, Sprecher des Kieler Innenministeriums, stritt gegenüber der JUNGEN FREIHEIT eine Mitwisserschaft der Verfassungsschutzbehörde ab. Unmittelbar nachdem Anfang August in der Presse von Tilgers Doppelmitgliedschaft berichtet worden sei, habe man den V-Mann "abgeschaltet". Von einer bewußten Einschleusung in die Schill-Partei könne überhaupt keine Rede sein. "Wir können noch nicht einmal mit Sicherheit sagen, daß Tilger überhaupt richtiges Mitglied bei der Schill-Partei war; nach unserem Kenntnisstand lag lediglich ein Aufnahmeantrag vor", sagte Ralf gegenüber der JF. Die Schill-Partei selbst habe schließlich ein Aufnahmestop erlassen, um mögliche Unterwanderungen zu verhindern.

Bastian Tilger sollte auf der Gründungsveranstaltung der Schill-Partei in Lübeck zum Mitglied des Vorstands gewählt werden. Beteiligt an dem Unterwanderungsversuch waren neben ihm auch die NPD-Mitglieder Jörn Lemke und der Landespressesprecher Jürgen Gerg, die beide auf der Kandidatenliste der NPD zur Bundestagswahl stehen. Nach Auskunft der Landesgeschäftsstelle der Schill-Partei in Schleswig-Holstein hätten die drei ihre NPD-Mitgliedschaft auf dem Aufnahmeantrag verschwiegen (was im Falle einer Unterwanderung auch logisch ist), nachdem sie allerdings von Lübecker Schill-Funktionären erkannt worden seien, habe die Partei ein erfolgreiches Ausschlußverfahren eingeleitet.

Gegen die Version des Verfassungsschutzes, man habe davon erst aus der Presse Kenntnis erhalten spricht allerdings, daß Michael Wolf, Mitarbeiter des Kieler Innenministeriums, bereits am 9. August gegenüber der Hamburger Lokalausgabe der taz erklärte, die NPD "diskutierte diese Möglichkeit" einer Unterwanderung der Schill-Partei, um "gezielt" einen Wahlerfolg von Schill zu verhindern. Weiter heißt es in der taz: "Spätestens zu den Kommunalwahlen 2003", so Wolf, "wollte die NPD diese 'rechten Verbindungen' selbst aufdecken." Da von einer NPD-internen Konspiration auszugehen ist (wie sollte sonst eine Unterwanderung erfolgreich sein), liegt der Verdacht nahe, daß über diese Diskussion der Verfassungsschutz nur durch seinen V-Mann Tilger in Kenntnis gesetzt worden sein kann. Tilger hatte immerhin als Mitglied des NPD-Landesvorstands gute Kenntnisse von den parteiinternen Vorhaben. Da V-Leute in der Regel dazu tendieren, ihre eigene Wichtigkeit zu unterstreichen, ist von der Unterrichtung seines zuständigen Führungsbeamten auszugehen. Im Widerspruch zu den Angaben der Verfassungsschützer steht auch die aus NPD-Kreisen lancierte Behauptung, Lemke, Gerg und Tilger seien bereits im April bzw. Mai 2002 in die Schill-Partei eingetreten, also noch vor dem Aufnahmestop. Sollte dies zutreffen, ist es noch unwahrscheinlicher, daß der Verfassungsschutz drei Monate lang nichts von Tilgers Doppelmitgliedschaft wußte. Die schleswig-holsteinische Partei Rechtsstaatlicher Offensive will sich nach eigenen Aussagen gegen jegliche Versuche einer Durchsetzung mit V-Leuten des Verfassungsschutzes zur Wehr setzen, da die Partei sich als strikt grundgesetzkonform ausgerichtet hat. Skandalös sei in diesem Zusammenhang, so ein Schill-Funktionär gegenüber der JF, daß beispielsweise Briefe der Partei an Mitglieder von der Post mit dem Hinweis "geöffnet laut Gefahrenabwehrgesetz" untersucht worden seien.

Wenn auch eine gezielte Einschleusung von V-Leuten in die Schill-Partei nicht unbedingt beabsichtigt war, so ist doch der "Mitnahmeeffekt" im Fall Tilger an sich schon ein unheimlicher Vorgang, Die NPD behauptet jedenfalls, Belege dafür zu haben, daß Tilger erst nach seiner parteiinternen Enttarnung als V-Mann durch die NPD vom Verfassungsschutz abgeschaltet worden sei. Der Hamburger Innensenator hat diesen Ungereimtheiten zufolge allen Grund, seinen Kieler Kollegen gründlich auf die Finger zu schauen.


 
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