© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/02 13. September 2002

 
Neue Technologien: Gen-Schalter aus Phytochrom
Beim Botanisieren gut aufgepasst
Angelika Willig

Es soll Leute geben, die mit ihren Pflanzen reden. Man lächelt darüber. Dabei ist der Abstand zwischen den Lebewesen nicht so weit, wie die meisten denken. Ob Pflanzen hören können und zum Beispiel auf Musik reagieren, ist noch umstritten. Sehen können sie jedenfalls. Im dunklen Keller treiben Kartoffeln immer nach dem Fenster hin aus. Dazu müssen sie Informationen über den Lichteinfall aufnehmen und verarbeiten können. Man nennt das Photomorphogenese und hat es bereits vor fünfzig Jahren ziemlich gründlich erforscht. Das Prinzip besteht darin, daß Lichtwellen auf ein Protein namens Phytochrom treffen, das sich überall in den höheren Pflanzen findet, und es in einen anderen chemischen Zustand versetzen. Davon geht dann, stark vereinfacht, der Anstoß zur entsprechenden Wachstumsrichtung aus. Phytochrom heißt daher auch das "Sehpigment der Pflanzen".

Diese klassischen botanischen Kenntnisse werden nun in ungeahnter Weise relevant. An der Universität Berkeley haben Peter Quail und sein Team aus Phytochrom einen universell einsetzbaren Genschalter gebastelt. Immer deutlicher hatte man in den letzten Jahren gesehen, wie wichtig diese sogenannten Schalter beim Umsetzen der genetischen Information in die benötigten Proteine sind. Da in jeder Zelle die gesamte Erbinformation liegt, braucht sie einen Hinweis, welche Abschnitte abgelesen und realisiert werden sollen. Vor jeder zusammengehörigen Reihe von Bausteinen liegt daher ein Stück Schalter-DNA, das sich entweder im Ein- oder im Aus-Zustand befindet. Mit der Beherrschung des Schaltermechanismus könnte man also jedes Gen jederzeit an- und abschalten - für die Techniker eine paradiesische Vorstellung. Mit Quails Erfindung ist das Paradies ein gutes Stück näher gerückt. Das aktivierende Gen GAL4 wird zur Hälfte an das Phytochrom im lichtlosen Zustand gebunden, die andere Hälfte von GAL4 hängt man an das belichtete Phytochrom. Der Schalter geht zu, wenn die beiden Teile sich verbinden, und das tun sie erst, wenn mit einem Laserstrahl punktgenau auch das "dunkle" Phytochrom aktiviert wird. Es können also einzelne Zellen manipuliert werden, ohne daß die Umgebung irgendwie beeinträchtigt würde.

Mit dieser groben Vereinfachung glaubt der Laie, sich etwas vorstellen zu können. Das Staunen bleibt jedoch. Wie sehen die Gehirne aus, die sich Genschalter und ähnliche Raffinessen ausdenken? Woher nehmen sie ihre Ideen? Nur aus der Natur selbst. Die Biologen sind in allen Schlichen geschult und können ihren Lehrer überlisten. Die Natur bevorzugt ja keineswegs das Einfache und Geradlinige. Das ist bloß ein hartnäckiges Vorurteil. Wenn es zehn Wege gibt, dann nimmt die Natur den kompliziertesten und erfindet gleich zehn weitere, um diesen überhaupt gangbar zu machen. Die riesige Menge von ungenutztem Genom, das wir in jeder einzelnen Zelle mitschleppen, ist nur ein Beispiel dafür. Die Wege der Evolution sind Umwege zu einem Ziel, das es gar nicht gibt. Das Chaos, das die Physiker vor einiger Zeit für die Wissenschaft entdeckten, bildet den Quell jeder uns bekanntenProduktivität.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen